Tugendrausch und Lernblockade

Vor einigen Tagen führte ich eine Unterhaltung über die deutsche Geschichte, deren Verlauf mich ehrlicherweise etwas aufwühlte. Es passte ganz gut zu Björn Höckes jüngster Gesangseinlage und stieß mich mit der vermeintlichen Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus vor den Kopf. Tatsächlich ärgere ich mich im Nachhinein eher über mich selbst. Ich hatte nicht die Geduld und Disziplin, mein Gegenüber unvoreingenommen verstehen zu wollen. Wieder einmal haben zwei Menschen nicht miteinander, sondern nacheinander geredet.

Bei Gesprächen über die Schuld, den Totalitarismus und den Holocaust trifft man meist auf zwei Arten des Umgangs damit. Die eine Gruppe sieht sich fernab der Täter. Mit ihnen, ihrer Schuld und dem „Warum“ und „Wie“ müssen sie sich nicht auseinandersetzen, denn sie wären ja sowieso im Widerstand gewesen – egal, wie klein der damals war. Ihren Kampf „gegen Rechts“ führen sie heute heldenhaft und unbedroht fort. Sie haben den Lauf der Geschichte verstanden und sind moralisch so überlegen, dass sie den Kreis des totalitären Denkens sofort wieder schließen.

Die zweite Gruppe fühlt sich persönlich angegriffen. Sie sehen sich dem „ganz normalen Deutschen“ im Zweiten Weltkrieg sehr nahe. Sie führen an, welches Leid andere Nationen über andere Volksgruppen gebracht haben und dass einzig die Deutschen für ihre Tat ewig büßen müssten. Höckes Reden und Bühnengesänge und Gaulands „Vogelschiss“ sehen diese Gesprächspartner lediglich als mutwillig falsch verstanden und aus dem Zusammenhang gerissen, oder aber als richtig und wichtig, um endlich mal aus der Büßerecke herauszukommen.

Von der ersten Gruppe wurde ich größtenteils in der Schule unterrichtet, saß mit ihnen gemeinsam in Klassenzimmern und Vorlesungssälen. Die zweite Gruppe trifft man eher im Alltag – so wie ich vor einigen Tagen. Sie sind ein Teil der unveröffentlichten Meinung. 

Längst auf der abstrakten Ebene

Beide Formen der Reaktion auf die nationalsozialistische Vergangenheit haben jedoch eines gemeinsam. Sie betrachten die persönliche Verantwortung für die Monstrosität der absoluten Entmenschlichung der aus der Volksgemeinschaft Ausgeschlossenen nicht. Ihre Beweggründe, warum sie das tun, sind dabei jedoch unterschiedlich.

Gruppe 1 – das erwähnte ich bereits – sieht sich als moralisch überlegen. Ich habe einiges Nachdenken über das Gespräch mit der Person aus der 2. Gruppe benötigt, um zu verstehen, was sie mit – für mich teils schockierenden – Relativierungen ausdrücken wollte. Der Verweis auf Untaten Anderer entbindet nicht von der Frage der Verantwortung des Einzelnen. Ich war empört, wie man Schuld und Leid so völlig negieren und relativieren kann.

Mit einigen Tagen Abstand glaube ich, dass diese Person vor allem einen anderen Fokus hatte als ich. Während ich auf der Ebene der persönlichen Verantwortung und Moral argumentierte, war mein Gesprächspartner längst auf der abstrakten Ebene. Der Holocaust ist in Deutschland mittlerweile vor allem ein Symbol, ein Argument für (links) oder gegen (rechts) eine politische Handlung. Gesinnungsterror von Tagesschau bis Tatort hat den Fokus weggerückt von der persönlichen Auseinandersetzung mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten und dem Schweigen der Masse.

Die Erinnerung an den Nationalsozialismus ist heute vor allem ein Mittel, um jeden Diskurs zu unterbinden, der das herrschende Narrativ angreift. Und mein Gesprächspartner merkte die Absicht seit langem und war augenscheinlich schon länger sehr verstimmt. Seine Äußerungen und die Unterstützung für moralische Grenzüberschreitungen von Höcke und Gauland sind die Reaktion auf die Instrumentalisierung des Holocaust. 

Die Gruppe 1 hat die Gruppe 2 geschaffen. Schon in den 1990er warnte Irenäus Eibl-Eibesfeldt davor, dass der herrschende politische Moralismus eine extreme Gegenreaktion richtiggehend provoziere. Die Nachfrage nach angeblichen „Nazis“ führt zu einem Angebot von angeblichen „Nazis“. „Wenn der ein Nazi sein soll, dann bin ich halt auch einer“, denkt so mancher bei haltlosen Stigmatisierungen Andersdenkender. Das Wort Nazi ist längst so abgenutzt, dass es jeglichen Schrecken der ursprünglichen, zugrundeliegenden Verbrechen verloren hat.

Eine stumpfe, inhaltsleere Verurteilung einer gesamten Nation, ohne dem WARUM auf den Grund zu gehen, ja sich gar nicht für das WARUM, sondern nur für die Monstranz des „Zeichensetzens“ zu interessieren, erzeugt die Abwehrreaktion derer, die sich zu recht als verunglimpft und Objekt von Manipulationsversuchen sehen. Als Kind teilte ich den Reflex des Verteidigens der Gruppe, derer ich mich zugehörig fühlte. „Ich habe doch keine Schuld an den Taten der Vergangenheit“, warf ich im Geschichtsunterricht in der 8. Klasse meiner Lehrerin entgegen. Oder, wie es Daniel Cohn-Bendit Jahre zuvor in einem Spiegel-Interview ausdrückte: „Man kann keinem zehnjährigen Kind sagen: Dein Pech ist es, daß du Deutscher bist. Du mußt dein Leben lang mit einem schlechten Gewissen leben. Wenn also Walser und andere erklären, daß Deutschland nicht permanent in antifaschistischer Zwangsquarantäne gehalten werden dürfe, dann stimme ich zu.“ 

Der Holocaust wird immer mit am Tisch sitzen

2015 beschäftigte sich Anja Reschke in einem Kommentar für die Tagesthemen mit der Schlussstrichdebatte um das Holocaust-Gedenken. Sie hat recht damit, wenn sie sagt, dass die Gräueltaten der Nationalsozialisten Teil ihrer deutschen Identität sind. Ein nichtjüdischer Deutscher und ein Jude, egal welcher Nationalität, werden sich – solange ich lebe und wahrscheinlich noch für längere Zeit danach – nicht alleine begegnen. Der Holocaust wird immer mit am Tisch sitzen. Jeder wird die mögliche Familiengeschichte des Anderen im Hinterkopf haben. Täter und Opfer. Tatsächlich hätte Anja Reschke meinem 13-Jährigen selbst damit eine ziemlich gute Antwort auf meine kindlich naive Aussage im Geschichtsunterricht geben können. Ihren Kommentar schloss sie 2015 dann jedoch mit einem Schwenk zu Pegida ab. Mit moralischer Überlegenheit der Gruppe 1 imprägniert, zeichnet sie eine direkte Linie von Auschwitz zu den Demonstranten. 

Es sind Journalisten, Politiker und sonstige Meinungsmacher, die mit Äußerungen wie dieser den Nationalsozialismus verharmlosen. Mir fehlen die Worte anlässlich dieser Verunglimpfung der Opfer des Holocaust; glücklicherweise haben schon viele hierzu, auch auf diesem Blog, die richtigen Worte gefunden. Folgt man den Äußerungen der Aktivisten „gegen Rechts“ jeglicher Berufsgruppen, so waren Nazis Wirtschaftsprofessoren mit fundierter Kritik an einer heterogenen Währungsunion, alte weiße Männer in Tweed-Jacketts und eigenwilligen Krawatten, Menschen mit Deutschlandhüten – oder junge Männer, mit Gel in den Haaren, wie es Böhmermann in den letzten Wochen moralisch überlegen verlautbarte.

Das Beispiel des Berliner Edelitalieners, der die AfD nicht bewirten will und das groß verkündet, zeigt eins: All diese öffentlichen Bekenntnisse sind kein Beweis von Rückgrat. Es ist vielmehr das Resultat eines gründlichen Screening-Prozesses des deutschen Untertans, was höchstherrschaftlich für opportun gehalten wird.

Als Martin Schulz, der Ritter der traurigen Gestalt, im September 2018 in unflätiger Weise die AfD auf den Misthaufen der Geschichte wünschte, zeigte er auch bewährte deutsche Tugenden. Unter Entmenschlichung können wir Deutschen den politischen Gegner anscheinend nicht kritisieren. Berlusconi hatte damals mit seiner Charaktereinschätzung vielleicht nicht ganz unrecht. Diese politischen Instrumentalisierungen des unsagbaren Verbrechens führt zu einer extremen Abwehrreaktion. 

Die Erinnerungskultur an den Holocaust in Deutschland ist abstrakt und verlogen. Hohle Phrasen und klebrig moralisierende Elemente dürfen in keiner politischen Rede zum Nationalsozialismus fehlen. Das Ganze ist weit weg vom Menschen. Aber eine Sache, die – aus dem Blickwinkel derer, die nicht mit dabei waren und aus Geschichtsbüchern wissen, wohin alles führte – klar zu bewerten ist, bei der sich Handeln tatsächlich einmal eindeutig in „gut“ und „böse“ einteilen lässt, in der auch Unterlassen eine persönliche moralische Niederlage war, kann man nicht abstrakt betrachten.

Die Möglichkeit, sich im Dritten Reich nicht schuldig zu machen

Was bitte soll ein kollektives Gewissen sein? Das Gewissen ist etwas sehr Persönliches – und die Auseinandersetzung damit kann richtig unangenehm werden. Das Beschäftigen mit dem „Wie“ und „Warum“ bringt einen an die Abgründe der eigenen menschlichen Existenz. „Ich schäme mich, Mensch zu sein, denn Kain war Abels Bruder“, zitierte Peter Bamm eine Frau, die dies einem Deutschen entgegnet, der ihr gegenüber, nachdem er erfuhr, dass sie Jüdin war, seine Scham über seine Herkunft ausgedrückt hatte.

Aber es gab sie, die Möglichkeit, sich im Dritten Reich nicht schuldig zu machen. Der Bremer Senator und spätere Bürgermeister Wilhelm Kaisen legte seine politische Karriere zu Zeiten der Nationalsozialisten nieder und bestellte als Bauer sein Feld. Joachim Fest schildert in seiner Biographie „Ich nicht“, wie sein Vater, Johannes Fest, seine Karriere und soziale Stellung aufgab, weil er sich nicht mit den Nationalsozialisten gemein machen wollte. Es steht mir nicht zu, die Menschen dieser Zeit, die älteren Mitläufer oder die begeisterten, fanatisierten Jugendlichen, zu verurteilen. Niemand, der nicht dabei gewesen ist, kann das Leben in einem totalitären Staat und im totalen Krieg wirklich begreifen.

Sicherlich sind Menschen wie Kaisen oder Fest Ausnahmeerscheinungen in jeder Generation. Aber dieser Blickwinkel lenkt die Sicht auf die Frage, wo Schuld beginnt und vor allem, wie man nicht schuldig wird. Genau das sollte der Fokus der Aufarbeitung des Nationalsozialismus sein. Es ist nicht mehr der Kampf um die Kollektivschuld. Die Schuldigen, Mitläufer und selbst die begeisterten und missbrauchten Kinder von damals sind heute kaum noch unter uns. Es geht vielmehr darum, welche Lehren wir aus dem Totalitarismus ziehen – oder eben nicht.

Denn nur, wenn man versteht, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, kann man sie beim nächsten Mal verhindern. „Es darf nie wieder passieren“ ist jedoch längst nur noch eine Floskel und die Erinnerung an den Holocaust reine Folklore. Kein Appell an die „Grenzen der Menschheit“, keine Warnung vor dem Philosophenkönig, keine Absage an die Entmenschlichung Andersdenkender. Politik und Medien versuchen mit der Geschichte von damals nicht das heute zu verstehen, sondern es zu beeinflussen. Die Gruppe 1 ist im Tugendrausch, und die Gruppe 2 hat die Schnauze voll davon.

Deutschland bleibt eine „verletzte Nation“, wie es Elisabeth Noelle-Neumann formulierte. Aus der Geschichte gelernt hat das Land nicht. Wir sind immer noch mitten drin.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Martin Landvoigt / 28.05.2019

Ein guter Text! Das mutige: ‘Vergesst Ausschwitz!’ von Henryk M. Broder meint dabei genau das: Die Frage nach dem Heute, und auch den Umgang mit Israel. Denn jene glühenden “Anti"faschisten sind allzu schnell bereit, jeden Meinungsketzer mit “Nazi” zu titulieren, aber den Feinden Israels und der Juden in die Hände zu spielen. Die kognitive Dissonanz ist nicht nur Standard, sondern gehört für einige zum guten Ton. Wer heute mit offenen Augen durch die Welt und Medienlandschaft geht, wird die Menschen um 1933 und danach viel besser verstehen können. Höcke hatte unrecht, wenn er in der Dresdner Rede eine 180 Grad Wende zur Erinnerungskultur forderte, denn das entspricht eben einer überzogenen Anti-Reaktion auf diesen seltsamen Schuld-Kult. Richtig ist vielmehr ein Neubesinnen, dass sich nicht in dem Antagonismus eindimensional positioniert.

Manfred Lang / 28.05.2019

In der Tat kann ich aus meinem eigenen Erfahrungsbereich diese Zwei-Gruppen-Theorie von Frau Kraus bestätigen. Die Gruppe, die sich als moralisch höherwertig in dem versteht, was sie als Kampf gegen rechts begreift, hat sich mittlerweile politisch wirksam bis in den konservativen Bereich der CDU ausgedehnt. Es sind Netzwerke, die von den Hochschulen und Universitäten über linke Stiftungen wie z.B. die FES ihren „wissenschaftlich“ legitimierenden ideologischen Hintergrund beziehen. Oder Anti-Rechtsextremismus-Initiativen, die manchmal personelle Überschneidungen zu ganz linken Gruppierungen, bis hinein in DGB-Gewerkschaften und deren Jugendorganisationen aufweisen. Nicht zu vergessen die kirchlichen, vor allem protestantische Gemeinden/ Dekanate, die solche Initiativen nicht nur politisch unterstützen.  Und wenn man selbst erlebt hat, wie sich Parteien wie die SPD, die sich immer als„anti-faschistische und antirechtsextremistische“ Partei mit langer Tradition stolz artikuliert, selbst aber vor Ort sich gegen wirklichen Rechtsextremismus feige hinter dem Ofen versteckt, dann hinterlässt das einen schalen Beigeschmack. Gleiches gilt übrigens für die Kirchen und manche Initiativen, aber auch für Gewerkschaften.  All diese Organisationen werden dann aber bemerkenswert lebhaft, wenn sie sich gegen die AfD verbünden. Dann kommen bunte Demonstrationen, seltsame Konzerte oder sonstige publikumswirksame Veranstaltungen zustande. Und dann feiert auch der scheinbar „wissenschaftliche Background“ Urständ, den die linke Politikwissenschaft generiert hat und z.B. über die FES an das linke Parteivolk infiltriert wird. Dann wird das Objekt des linken politischen Zorns alles Mögliche geheißen, von „Rassismus“ über „Nazi“ , „Fremdenfeinde“, Gefahr für die Demokratie, “nationalistisch”, “völkisch” und und…An dieser Stelle beginnen auch bürgerliche Parteien wie die CDU, CSU und FDP sich in diesen links dominierten Diskurs einzuklinken. Und untermi- nieren damit das GG.

Bruno Baumann / 28.05.2019

Haben sie die Vogelschissrede überhaupt gelesen? Wir haben eine ruhmreiche Geschichte, die länger dauerte als 12 Jahre. Und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die 12 Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte. ... Liebe Freunde, denken wir immer daran, dass ein deutscher Jude, Ernst Kantorowicz, den Ruhm des Stauferkaisers beschrieben hat. ...Aber das deutsche Judentum von Ballin und Bleichröder über Rathenau und Kantorowicz war Teil einer deutschen Heldengeschichte, die Hitler vernichten wollte. Liebe Freunde, uns muss man nicht vom Unwert des Nationalsozialismus überzeugen. —- Sie verstehen wohl nicht das der Deutsche mit diesem Thema zum Selbsthass umerzogen wurde,wird eine Tochter Vergewaltigt oder umgebracht sehen sich die Eltern genötigt erst mal zu sagen das sie keine Nazis sind.Wie krank ist das? Ausländer verachten Deutsche deshalb weil sie nicht zu ihrem Land stehen.Warum sollte ein Ausländerkind Deutscher werden wollen?Um sich als Nazi beschimpfen zu lassen? Wahrscheinlich schrecken auch sie zurück wenn jemand ihre Tochter vergewaltigt,sie ihr helfen wollen er aber NAZI ruft,stimmts? Sie werden sicherlich zuerst sagen-Ich bin kein Nazi-anstatt ihm einen Knüppel über den Kopf zu ziehen…

Karla Kuhn / 28.05.2019

Aus der Geschichte (hier beziehe ich mich auf die DDR Geschichte !) scheinen viele nichts gelernt zu haben, denn sonst hätten sie nicht, wenn auch nur mit knapper Mehrheit, 2005 Frau Merkel, eine ehemalige DDR Aigt-Prop, zur Kanzlerin gewählt und damit den Weg mit geebnet für die heutige Politik und teilweise Politikverdrossenheit.  Aus der gesamten Weltgeschichte wurde leider fast gar nichts gelernt, denn überall auf der Welt gibt es Korruption, Haß, Kriege,  ausufernde Kriminalität, die Dekadenz blüht wieder.  der Waffenhandel mit immer perfideren Waffen explodiert und diese Waffen werden nicht zum Spaß gekauft, unter denen leidet meistens die Bevölkerung am schlimmsten. Ein Kriminalkommissar hat gesagt (nicht im Film) der Mensch ist das gefährlichste Tier. Ein weiser Mann !!

Karl Schmidt / 28.05.2019

Schuld ist immer nur persönlich, denn sie beruht auf dem Vorwurf nicht richtig gehandelt zu haben. Solange ich eine Gruppe nicht beherrsche, trage ich keine Verantwortung für die Taten anderer. Das ist schon im Ansatz nicht möglich. Vollens abstrus wird die Idee einer kollektiven Schuld - altes Thema -, wenn es zudem um die (aus heutiger Sicht) verwerflichen Handlungen früherer Generationen geht (Beispiel Sklaverei). Zum einen kann diesen Generationen nicht das Verständnis ihrer Zeit vorgeworfen werden: Ein Römer findet Eigentum an Menschen ganz selbstverständlich. Zum anderen ist die Unmöglichkeit des richtigen Handelns für den Nachgeborenen nicht zu übersehen. In Konsequenz dessen gibt es keine Verantwortung “als Deutscher” (ist das nicht nationalistisch - der Deutsche als festgefügtes, geschichtlich zementiertes Kollektiv?). Es gibt auch keine deutsche Identität als Verursacher und Ausführender des Holocaust. Schon der Gedanke, etwas Besonderes zu sein, weil man so schön mordgierige Vorfahren hatte, lässt mich am Verstand solcher Leute zweifeln. Sie sehen sich aber nicht wirklich als Nachfahren der Täter, Erben der Schuld - dann wären sie ja eher im Gefängnis. Nein, diese Leute sind die neuen Aufseher über andere. Nicht mit einer Tötungsabsicht, doch die Stellung haben sie streng genommen von ihren Vorgängern übernommen. Frei denken und Einzelverantwortung sehen anders aus. Einsicht auch. Wie wäre es mal die Wachtürme zu räumen und vor allem auf sich selbst aufzupassen? Keine Befehle befolgen, keinem Glauben zu folgen, keine Macht über andere auszuüben?

Burkhart Berthold / 28.05.2019

Wir waren in den letzten beiden Jahren zweimal in Israel und haben dort mit sehr vielen Israeli gesprochen (kommunikatives Völkchen).  Durch die Bank waren alle freundlich, hilfsbereit, sogar geduldig - und vor allem: sehr interessiert an Deutschland. Es wird schon so sein, dass es auch andere gibt, und diese werden ihre Gründe haben. Aber die Mehreren - das war unser Eindruck - freuen sich, wenn sie (halbwegs) nette Deutsche treffen, besonders wenn diese auf ihren Nationalsport, andere zu belehren und ihnen z.B. den Nahost-Konflikt zu erklären, verzichten können.

Friedrich Neureich / 28.05.2019

Meine Familie kam aus christlicher Überzeugung mit den Nazis nicht gut klar; meine Großtante etwa verbrachte rund zwei Drittel der “1000 Jahre” wegen ihrer Involvierung in die Bekennende Kirche hinter Gittern. Als von mir als Gymnasiasten dennoch verlangt wurde, die Erb- und Kollektivschuld zu akzeptieren und meine eigene Mitschuld an den Naziverbrechen anzuerkennen (einschließlich eines Blankobekenntnisses für meine Nachkommen und deren Nachkommen ohne zeitliche Limitation: “Es kann nie-mal-s Vergessen und nie-mal-s Verzeihen geben!”), war es das für mich. Auf moralinsauren Appellen fußende politische Manipulationsversuche prallen seitdem wirkungslos an mir ab, die “holier than thou”-Masche verfängt bei mir nicht mehr. Ich weiß nicht, wie ich mich “damals” verhalten hätte, und die Frage ist mir insofern auch egal, weil wir nicht “damals” leben, sondern heute, und ich mir meine Zukunft nicht von pharisäischen Trickdieben stehlen lassen möchte.

F. Lutz / 28.05.2019

Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wieviel Schuld die Menschen wirklich auf sich geladen haben. Natürlich trifft die Schuld all jene, welche die grausamen Taten begangen haben, sicherlich auch jene, die die Täter aktiv unterstützt haben. Schuld hat natürlich auch derjenige, welcher die Verbrechen der Nazis für gut befunden hat. Aber wieviel Schuld haben die anderen? Ist jemand schuldig, der sich nicht der Gestapo in den Weg gestellt hat, wenn sie den jüdischen Nachbarn abgeholt haben? Ist jemand wirklich schuldig, der aus Angst vor den Folgen für sich und die eigene Familie, keine Juden versteckt hat? Welche Schuld über den Holocaust trifft einen Soldaten der irgendwo an irgendeiner Front gekämpft hat? Dessen einzige Sorge die war, heil zu seiner Familie zurück zu kommen? Es gab viel zu viele Schuldige und viel zu wenige Helden. Aber viele andere eben auch. Und ganz besonders ekeln mich jene Linken an, welche Sprüche wie “Do it again Bomber Harris” propagieren. Denn dieser Spruch ist in seiner Abartigkeit kaum zu übertreffen. Nicht nur wird damit den damaligen Deutschen eine Kollektivschuld, vom Säugling bis zum Greis, bescheinigt, deren einzig gerechte Strafe der Tod durch wegbomben oder verbrennen war, nein, die Kollektivschuld wird selbst auf die heute lebenden Menschen ausgeweitet, welche in deren Augen nur den Tod verdient haben, weil sie nicht genauso linksextrem wie sie selbst sind. Diese Linksfaschisten wären damals genau die Täter gewesen, die sie heute verurteilen. Denn auch diese waren damals der Meinung, dass die Juden das verdient haben, was ihnen angetan wurde.

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