Ahmet Refii Dener / 24.10.2024 / 14:00 / Foto: Imago / 4 / Seite ausdrucken

Türkei: Ein gewöhnlicher Terroranschlag

Die Türkei hat eine lange Tradition des andauernden Terrors. Der gestrige Anschlag von Ankara steht in einer langen Reihe. Immer wieder vermeldet die Armeeführung Erfolge, aber es fehlt an zuverlässigen Informationen.

Gestern um 15:37 Uhr geschah es. Die beiden Täter kamen mit einem Taxi. Wie man im Nachhinein feststellte, hatten sie den Taxifahrer kurz vor der Ankunft überwältigt. Danach fuhr einer der Terroristen das Taxi weiter. Ein Mann und eine Frau fuhren bis zum Eingang. Der erste Kontrollposten hatte sie bis dahin passieren lassen. 

Ich war zweimal bei der TUSAS (Türkische Luft- und Raumfahrtindustrie), einer Tochtergesellschaft der staatlichen Agentur für Verteidigungsindustrie. TUSAS ist das Herzstück der türkischen Waffenindustrie, wo neben Waffen auch Drohnen, Hubschrauber und Übungsflugzeuge für Militärpiloten produziert werden. Man kann sich leicht vorstellen, wie streng die Sicherheitsvorkehrungen sind. Jedes Betreten des Geländes dauerte mindestens zehn Minuten, selbst wenn man direkt an der Reihe war. 

Fünf Tote und mindestens 22 Verletzte

Wie es passieren konnte, dass die beiden Terroristen so weit vordringen konnten, muss noch geklärt werden. Mit schweren Rucksäcken auf dem Rücken stiegen sie am Haupteingang aus dem Taxi aus und eröffneten das Feuer. Es war leicht zu vermuten, dass sie Sprengstoff in den Rucksäcken hatten. Kurz darauf war offenbar auch eine Explosion zu hören. Der Mann und die Frau schossen wahllos um sich. Das weitläufige Gelände, das das Zentrum der türkischen Rüstungsindustrie bildet, liegt etwa 37 Kilometer vom Stadtzentrum Ankaras entfernt und ist gleichzeitig ein Militärgelände. 

Die Spezialeinheiten eilten herbei. Da die Fahrt von Ankara nach TUSAS etwa 40 Minuten dauert, mussten die Soldaten und Sicherheitskräfte vor Ort die beiden Terroristen niedergestreckt haben. Zunächst wurde bekanntgegeben, dass es vier Tote und 14 Verletzte gab, darunter vier Schwerverletzte. Später erlag einer der Schwerverletzten seinen Verletzungen, sodass schließlich fünf Tote und mindestens 22 Verletzte gemeldet wurden. 

Da die Türkei am selben Tag Stellungen im Nordirak und in Syrien bombardierte, wo PKK-Terroristen vermutet werden, liegt die Vermutung nahe, dass die PKK hinter dem Anschlag steckt. Dies ist allerdings nur eine Vermutung. Die Türkei führt seit Jahren eine Offensive gegen die PKK, deren Hauptquartier sich in den Kandil-Bergen im Nordirak befindet, sowie gegen die syrische Kurdenmiliz YPG, die sie als Ableger der PKK betrachtet. 

Immer wieder vermeldet die Armeeführung Erfolge, bei denen angeblich zwei bis fünf Terroristen getötet werden. Ob diese Zahlen stimmen, lässt sich nicht überprüfen. Wenn man bedenkt, dass selbst Wirtschaftsdaten verfälscht dargestellt werden, könnten auch diese Zahlen ungenau sein. Sicher ist jedoch, dass die Türkei in diesem Kampf viele Soldaten verloren hat – in den letzten 10 Jahren mehr als 300. Einige von ihnen sind über diesen Link sichtbar, obwohl ich feststellen muss, dass die Seite in den letzten drei bis vier Jahren nicht aktualisiert wurde, obwohl die Medien über mehr Bestattungen von gefallenen Soldaten berichten, als dort angegeben. 

Die Spekulationen über einen neuen Friedensprozess 

Erst vor zwei Tagen überraschte Erdogans Koalitionspartner, die nationalistische MHP, mit einem Friedensvorschlag. Parteivorsitzender Devlet Bahçeli erklärte, dass Türken und Kurden schon immer zusammengehört hätten. Diese Aussage aus seinem Mund sorgte für Erstaunen und aber auch Gelächter, denn seine Partei hatte die Kurdenpartei HDP und deren Nachfolgerin, die Demokratische Partei der Völker (DEM), stark angegriffen und sogar den Ausschluss der Partei aus dem Parlament gefordert. 

Viele sehen darin den Versuch, neue Wählerstimmen von den Kurden zu gewinnen. Bahçeli ging so weit, zu sagen, dass der seit 25 Jahren auf der ägäischen Insel İmralı inhaftierte PKK-Führer vor dem Parlament sprechen und die Auflösung der PKK verkünden könnte. Diese Idee löste in der Türkei ein politisches Erdbeben aus. Einen Mann, den man am liebsten gehängt hätte – obwohl die Todesstrafe seit langem abgeschafft ist –, nun vor dem Parlament sprechen zu lassen? Während die Diskussionen tobten, ereignete sich der Terroranschlag. 

Natürlich lässt sich eine Verbindung herstellen, doch es bleibt unklar, wie viel Einfluss der inhaftierte Öcalan noch auf die PKK hat. Sollte er es wollen, könnte er tatsächlich bewirken, dass die PKK die Waffen niederlegt, aber würde die PKK seinen Befehlen noch folgen?

Das Vertrauen in die türkische Politik ist auf ein Minimum gesunken. Die zahlreichen Flüchtlinge – deren Zahl inoffiziell auf bis zu 10 Millionen geschätzt wird, offiziell jedoch bei rund 4 Millionen liegt – sowie Drogenkartelle, Mafiaorganisationen und die Passivität der Sicherheitskräfte, die oft aus Angst um ihr Leben ein Auge zudrücken, haben die Lage in der Türkei verschärft. Parallel zu diesem Chaos nimmt die Armut drastisch zu. Die türkische Lira verliert stetig an Wert, die Arbeitslosigkeit steigt, und die Mieten werden jedes Jahr um 25 bis 100 Prozent erhöht, sodass viele in Zelten oder bei Bekannten leben müssen. 

Die Türkei hat eine lange Tradition des andauernden Terrors. Zuletzt geschah dies, als Erdogan sich zum Präsidenten wählen ließ – im Grunde zum Alleinherrscher. 

 

Ahmet Refii Dener, Türkei-Kenner, Unternehmensberater, Jugend-Coach aus Unterfranken, der gegen betreutes Denken ist und deshalb bei Achgut.com schreibt. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite und bei Instagram.

Foto: Imago

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Leserpost

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Lutz Herrmann / 24.10.2024

Derweil springt der Kryptomuslim Putin im Dreieck. Wollte er doch die Türkei in die BRICS-Staaten integrieren. Indien macht nicht mit. Die kennen ihre muslimischen Pappenheimer nur zu gut.

Thomas Schmidt / 24.10.2024

Na ja, die Türkei hatte ja Atatürk, und das Istanbul vor der Massenzuwanderung hatte wenig Ähnlichkeit mit Berlin Neukölln. Der Islam war deutlich zurückgedrängt. Problem ist daher wohl eher Demokratie und Frauenwahlrecht . Die alten Preußen wussten wir man’s macht: Dreiklassen Wahlrecht nur für Männer. Dann sähe die Türkei heute ganz anders aus.

Wolfgang Kolb / 24.10.2024

Lieber Herr Dener, Folgt man Ihren Beiträgen, muss man schließen, dass sie die Türkei so langsam wieder einmal zum kranken Mann am Bosporus entwickelt. Die Türkei hat meines Erachtens den Fehler gemacht, sich mit Qatar einen Partner einzuhandeln, der dank seiner Bodenschätze und Geld seine eigene ‚Entwicklungspolitik‘ betreibt, was leider der laizistischen Ausprägung, die Kemal Ataturk eingeführt hat, genau entgegenwirkt. Leider entwickelt sich die Türkei rückwärts, wie so viele westliche Nationen, welche dem Islam zu viel Freiraum geben. In Betracht der Entwicklungen, die Erdogan angestoßen hat, den Umbau des Staates und der Armee, die stets als die Bewahrerin der Traditionen Ataturks angesehen wurde, sehe ich leider keinen einfachen Ausweg für dieses schöne Land. Danke für den Beitrag, bitte halten Sie uns über weiter Entwicklungen auf dem Laufenden!

janblank / 24.10.2024

Parlamentarische Demokratie, innerer Frieden und Islam geht einfach nicht. Wenn im muslimischen Kulturkreis halbwegs Stabilität angetroffen wird, dann ist es die Friedhofsruhe der in Petrodollars ersaufenden Golfstaaten. Völlig unbegreiflich, wie ein komplett geschichts- und geistvergessener ehemaliger deutscher(!) Bundespräsident behaupten konnte, dass diese Religion des Feldlagers zu Deutschland gehöre. 400 Jahre Aufklärung und Säkularisation für die Katz! Es geht stramm in Richtung Alemanistan. Molekularer Bürgerkrieg( Enzensberger) inklusive. Weder die “Einmänner” noch Herr Erdogan werden jemals Ruhe geben. Und die hiesigen Regenten ziehen derweil großmäulig gegen Kohlendioxid und Grippeviren in den Krieg. Humor kennt tatsächlich keine Grenzen. Inschallah!

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