Der Ökologe Michael Brombacher besuchte die verbotene Zone rund um den Unglücksreaktor – und entdeckte ein Naturparadies
FOCUS: Herr Brombacher, warum wollten Sie ausgerechnet ein radioaktiv verseuchtes Gebiet besichtigen?
Brombacher: Ich bin für die Zoologische Gesellschaft Frankfurt nach Tschernobyl gereist. Uns Naturschützer interessiert, wie sich eine Landschaft entwickelt, wenn der Mensch nicht mehr eingreift. Die Sperrzone ist mittlerweile eines der größten Wildnisgebiete Europas. Vor 27 Jahren wurde die Landwirtschaft dort aufgegeben und die Siedlungen evakuiert. Jagd und Forstwirtschaft finden nicht mehr statt. Der einzige menschliche Eingriff ist die Feuerbekämpfung, weil Waldbrände Radioaktivität freisetzen würden.
FOCUS: Wie viel Strahlung haben Sie abbekommen?
Brombacher: Zwischen drei und sechs Mikrosievert. Das ist ungefähr so viel, als ob man von Frankfurt nach Rom fliegt.
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FOCUS: Wie sieht es in der Sperrzone aus?
Brombacher:Eine grandiose Wildnis aus Mooren, Wäldern, Heideflächen, dominiert vom Flussauensystem des Prypjat. Vom Boot aus bieten sich fantastische Einblicke in diese Naturlandschaft.
Wenn man aus Deutschland kommt, ist das ziemlich überwältigend. Hierzulande findet Naturschutz ja eher in sehr kleinen Dimensionen statt. Man legt ein Feuchtbiotop an oder hängt Nistkästen auf. Dort reicht die Wildnis bis zum Horizont und noch weiter.
Tschernobyl ist voller Tiere, die sich am hellen Tag zeigen wie in den großen Nationalparks Nordamerikas. Weil es keine Jagd gibt, haben sie ihre Scheu verloren.
FOCUS: Auch Elche mit zwei Köpfen und Wölfe mit sechs Beinen?
Brombacher: Nein, ich habe keine Missbildungen gesehen, alles sieht auf den ersten Blick ganz normal aus. Die radioaktive Belastung, die man in einzelnen Tieren gemessen hat, nahm über die Jahrzehnte stark ab. Die Bestände vieler Arten entwickeln sich gut. Es gibt jedoch einzelne Untersuchungen, zum Beispiel an Rötelmäusen, bei denen genetische Veränderungen festgestellt wurden. Viele Tiere wandern von außen in die Sperrzone, dadurch kommt es zu genetischer Auffrischung. Inzwischen leben so viele Wölfe, Luchse und auch Bären dort, dass kranke Jungtiere sofort gefressen würden. Man müsste einmal diese Raubtiere untersuchen, ob sich in deren Körper Radioaktivität angesammelt hat, und ob sich das überhaupt negativ auf die Population etwa der Wölfe auswirkt. Das hat aber bisher noch niemand ausreichend erforscht.
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Das ganze Interview steht hier:
http://www.focus.de/digital/multimedia/forschung-und-technik-medizin-tschernobyl-ist-voller-tiere_aid_1008452.html
Dazu eine E-Mail von Quentin Quencher:
Im September letzten Jahres strahlte Arte einen Beitrag aus mit dem Titel: „Tschernobyl - Die Natur kehrt zurück“. Auch da ging es um genetische Mutationen, welche bei Mäusen angenommen wurden, was sich dann aber als Falschinterpretation der natürlichen genetischen Vielfalt entpuppte. Insgesamt war Flora und Fauna in einer ausgezeichneten Konstitution. Ich hatte das damals kommentiert:
http://glitzerwasser.blogspot.de/2012/09/die-mause-von-tschernobyl.html
Wenn ich mich recht erinnere hatte Benny Peiser auf der Achse auch schon mal diesen Link gebracht. Bei mir auf dem Blog ist dieser Eintrag jedenfalls ein Dauerbrenner mit den höchsten Zugriffszahlen. Es scheint wohl in Köpfen so mancher immer noch nicht hineinzupassen, dass Radioaktivität ein ganz natürlicher Begleiter in unserem Leben ist.