In der Rubrik "The Ethicist" im New York Times Magazine können Leser Fragen stellen zu moralischen Aspekten im Alltag. Ein gewisser Kwame Anthony Appiah, Philosophielehrer an der New York University, gibt Antwort. An seiner Stelle übernehme ich heute.
Unter dem Titel "Was soll ein Liberaler tun, wenn seine Frau eine Trump-Fanatikerin ist?" beschrieb ein Mann neulich die angespannte Situation in seiner 30-jährigen Ehe: Seit Trump Präsident sei, reagiere sie mit Zorn auf jegliche Kritik an ihm, feuere gegen die "weinerlichen Demokraten", freundschaftliche politische Dispute seien nicht mehr möglich. Er möchte wissen, ob es ethisch vertretbar sei, wenn er ihr einfach mit Schweigen und gelegentlichem Nicken begegne – weil das ja als Zustimmung ausgelegt werden könnte.
Nun ist es ja so eine Sache mit der Partnerschaft. Fest steht: Der Mann ist seiner Frau grundsätzlich zur Bestätigung verpflichtet. Es geht zwar in Ordnung, wenn Männer hie und da ihre eigene Meinung haben und diese kundtun. Nur liegt das Geheimnis einer glücklichen Ehe eben darin, dass sie ihrem Gedankengelage laufend und bedingungslos zustimmen, oder zumindest ein gehöriges Mass an Assimilationsbereitschaft an den Tag legen – Happy wife, happy life. Ethisch ist das vertretbar, weil Männer in einer Ehe sowieso das Nachsehen haben und es somit keinen rationalen Grund gibt, sich so zu benehmen, als wüssten sie das nicht.
Ist eine Ehe mal etwas über ihre erste Frische hinaus, kann man von Glück reden, wenn man sich überhaupt noch etwas zu sagen hat. Worüber unterhalten sich denn Eheleute, abends, wenn sie unter sich sind? Die älteren Semester starren in die Glotze, die jüngeren ins Smartphone. So gesehen ist Trump einer langjährigen Beziehung durchaus dienlich.
Glück ist, wenn man sich überhaupt noch etwas zu sagen hat
Dann gibts noch diese Studie. Laut "Welt.de" haben Britische Wissenschaftler vor ein paar Jahren herausgefunden, dass bei Ehepaaren mit unterschiedlichen Ansichten über Politik die Wahrscheinlichkeit, dass diese mit einer Scheidung endet, acht Mal grösser ist als bei Paaren, wo beide die gleiche Partei wählen. Hat man das Heu diesbezüglich also nicht (mehr) auf derselben Bühne – mit der Zeit stellen sich Beziehungspartner meistens als etwas anderes heraus, als man sie einst vorgefunden hat – gehört Schweigen erst recht zum Grundstock des ehelichen Anti-Stress-Managements.
Nur ahnungslose Männer werfen der Gattin allfällige Lücken in ihrer Trump-Argumentation vor. (Warum Schweigen für Männer plötzlich ein Problem sein soll, erschliesst sich mir sowieso nicht; es ist wissenschaftlich belegt, dass ein männliches Hirn nur eines nach dem anderen zustande bringt, weil eine gehörte Information nur von einer Gehirnhälfte verarbeitet wird – sie können also nicht gleichzeitig zuhören und verwerten. Gender-Gap eben). Abgesehen davon streben Frauen in den meisten Fällen gar keine Antwort an – sie wollen nur ihr Läster-Ventil entkalken: Wer will zuhause schon vernünftig argumentieren, wenn eine ausgelassene unreflektierte Schimpftirade so viel befreiender ist?
Alles dagegenrudern bringt also nichts. Anstatt in Leserbriefen herumzujammern, lieber Herr XY, sollten Sie dem uneingeschränkten ehelichen Meinungsaustausch vermehrt eine Obergrenze setzen, höchstens Diskussionen ohne Konfliktpotential zulassen, und auch das nur in Zeiten von humanitären Härtefällen, wie etwa dem allmonatlichen Östrogenüberschuss. Alles andere ist ethisch einfach nicht vertretbar.
Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernlis Kolumne gibt es auch als Videobotschaft, man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter. Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin bei der Basler Zeitung. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen.