Mit seinem revolutionären Isolationismus trägt Donald Trump dazu bei, dass sich Amerika beim Versuch, die Welt zu verändern, selbst ein Stück von der Welt verabschiedet.
Donald Trump arbeitet sich noch an die Hundert-Tage-Grenze heran, hat aber schon soviel durcheinander gewirbelt wie einer, der schon Jahre lang gewirbelt hat. Bereits jetzt lässt sich sagen: Trump hat eine Revolution angezettelt. Er ist ein Revolutionär. Und er sorgt für die Probleme und brockt sich die Probleme ein, die typisch für Revolutionäre sind.
Es ist die alte Geschichte von den ungewollten Konsequenzen revolutionärer Aktivitäten. Bei Trump sind sie besonders schnell deutlich geworden, weil er sich nach seinem eindrucksvollen Wahlerfolg zu einer rasanten Revolution von oben entschlossen hat.
Wie die meisten Revolutionäre untergräbt er das bisher geltende System, ignoriert geltendes Recht und höchstrichterliche Entscheidungen und trägt seinen ideologischen Umsturz bis tief in die etablierten Organisationen hinein. Seine Methoden sind nicht systemkonform, ob er nun Universitäten auf seine politische Linie zwingt oder den staatlichen Apparat nach seinen Vorstellungen ausdünnen und umbauen lässt. Der Revolutionär wird im Dienste seiner Revolution typischerweise zum Autokraten.
Ein Klassiker revolutionären Versprechens
Sein großes revolutionäres Ziel ist die politische und wirtschaftliche Veränderung der Welt. Make America great again heißt für ihn: Verändere die Welt im Sinne Amerikas. Seine Methode: radikaler Protektionismus gepaart mit imperialistisch wirkenden Ambitionen. Vom Strafzoll-Krieg bis zu Drohungen, sich attraktive Nachbarn einzuverleiben. Seine Revolution hat einen Retro-Charakter. Vorwärts in die Vergangenheit.
Trumps Problem sind die ungewollten und unerwarteten Konsequenzen. Im Innern muss er sich damit auseinandersetzen, dass sein Amerika erst einmal ärmer wird ehe es in einer strahlenden Zukunft wieder groß werden soll. Ein Klassiker revolutionären Versprechens.
Im Äußeren, dem ein entscheidender Teil seiner revolutionären Ambitionen gilt, löst er eine Bewegung aus, die seinen eigentlichen Plänen, die Welt Amerika zu Diensten zu machen, diametral zuwider läuft. Im Zentrum seiner heftigen Zollpolitik steht nicht Europa. Ihm geht es in erster Linie um China, also um den stärksten Konkurrenten im Kampf um die Neugestaltung der Welt. Darum haben sich die beiden größten Wirtschaften der Welt in einen totalen Handelskrieg hinein manövriert.
Amerika und China sind aneinander gefesselt
Wir erleben eine reale Wagner-Oper: Endkampf der Giganten um die politische und ökonomische Vorherrschaft.
Aber da ist ein großes Aber: Die beiden Giganten sind so eng ineinander verkeilt, dass sie sich zwar blutig schlagen, aber nicht voneinander lösen können. Sie brauchen einander. Trumps amerikanischer Traum von der Autarkie hat einen vertrackten Haken: Was auf der Oberfläche wie made in USA aussieht, ist im Innenleben fast immer auch made in China. Selbst Tesla ist kein lupenreiner Amerikaner sondern ein Chinese in Cowboy-Stiefeln. Dass die Merchandise-Ware, die Donald Trump an seine Anhänger verhökert, großenteils made in China ist, sei als Anekdote nur nebenbei erwähnt.
Außerdem ist China der mit Abstand größte Gläubiger Amerikas. Mit anderen Worten: Die Amerikaner kaufen massenhaft chinesische Waren mit Geld, das sie sich von den Chinesen leihen. Theoretisch könnte China die amerikanischen Schuldner einfach zur Kasse bitten, indem man die Milliarden amerikanischer Staatsanleihen verkauft, die man wie Schuldscheine gesammelt hat. Aber damit würde man sich selbst ins Knie schießen, so wie es auch Trump es gerade tut. China braucht den großen und reichen amerikanischen Markt und muss ihn am Leben erhalten.
Amerika und China sind aneinander gefesselt wie in einer Zwangsehe. Man mag sich nicht, aber man kann voneinander nicht lassen. Und der Rest der Welt? Auch hier gibt es die unerwarteten Reaktionen, die allen Revolutionären zu schaffen machen.
Kanada und die Europäische Union rücken näher zusammen
Der Umstürzler Trump treibt unfreiwillig und unbeabsichtigt den Rest der Welt enger zusammen. Und zwar gegen sein Amerika. Der nicht-amerikanische Teil der Welt rückt aufeinander zu, um notfalls an Amerika vorbei eine nach traditioneller Art funktionierende Wirtschaftsordnung aufrecht zu erhalten. Es entstehen Notgemeinschaften gegen Trumps Weltrevolution.
Kanada und die Europäische Union rücken noch näher zusammen als bisher. Es wird schon darüber spekuliert, ob Kanada, das „europäischste Land Amerikas“, der EU beitreten kann. Das ist unwahrscheinlich. Aber eine enge Verbindung nach dem Vorbild Norwegens ist durchaus denkbar. Und in Norwegen denkt man wieder einmal über einen Beitritt zur EU nach.
Dieselbe EU möchte ihr Power-Potenzial als einer der großen Handelsblöcke stärker ins Spiel um die künftige Weltordnung bringen. Als Vorkämpfer gegen den Protektionismus Trumps und für den inzwischen traditionellen Globalismus. Das kann zwar nur gelingen, wenn man gemeinsam handelt und wenn nicht jedes Land für sich wurschtelt. Aber Trump verstärkt – ungewollt – die bisher mangelnde Motivation der Europäer, eine immer engere Union zu verwirklichen. Auch das Brexit-England, das sich von den Fesseln der EU befreien wollte, robbt sich dank Trump wieder näher an den Kontinent heran.
Trump, der Retro-Revolutionär
Zu der neuen Trumpschen Weltszene gehört auch, dass sich Europa und die Welt verstärkt nach alternativen Handelspartnern umschauen. Und zwar im neuen gegenseitigen Flirt. Dazu gehören die von Trump schlecht behandelten Mexikaner, außerdem Südamerika mit dem Mercosur. Nach Indien reist man inzwischen sogar als oberster Bayer. Südostasien und Japan locken verstärkt und drängender. Und auch China erscheint in neuem Licht. Der Handelskrieg Amerikas mit China bewirkt, dass trotz aller Bedenken, Europas wichtiges, aber schwieriges Verhältnis zu China neu gedacht wird.
Mit anderen Worten: Trump, der Retro-Revolutionär will eine altmodische Handelsmauer um sein Land errichten und muss erleben, dass wie von selbst lauter Umgehungsstraßen um Amerika entstehen.
Ähnlich ist die Entwicklung in der Verteidigungspolitik. Dass Europa beginnt, sich energischer um die eigene Verteidigung zu kümmern, ist ein Erfolg der Trumpschen Droh- und Druckpolitik. Sein Motto: Wer nicht zahlt, hat auch keinen Anspruch auf Schutz. Das spornt Europa an, wehrhafter zu werden. Doch Trump erlebt einen Pyrrhus-Sieg. Europa wird das zusätzliche Geld für den Kauf von Waffen nicht mehr bevorzugt in Amerika ausgeben sondern setzt verstärkt auf heimische Waffen, Panzer und Kampfflugzeuge. So macht man sich nicht nur weniger abhängig von den USA. Die expandierende europäische Waffentechnologie kann den Amerikanern mehr als bisher Konkurrenz auf dem Weltmarkt machen.
Amerika muss nicht wieder great werden
Es führen nicht mehr alle Straßen nach Washington. Viele neue Straßen führen an Washington vorbei. Ob es Umgehungsautobahnen werden oder nur Umgehungsgassen, wird sich zeigen.
Der Revolutionär Trump hat bereits die Welt verändert und wird sie weiter verändern. Er hat ein mächtiges Gebilde im Rücken. Amerika muss nicht wieder great werden, es ist ohnehin great. Die Abnabelung Europas vom amerikanischen Riesen beginnt erst und wird nur ein Stück weit gelingen. Europa und Amerika sind, wenn auch auf andere Weise, aneinander gefesselt wie Amerika und China.
Aber mit seinem revolutionären Isolationismus trägt Donald Trump dazu bei, dass sich Amerika beim Versuch, die Welt zu verändern, selbst ein Stück von der Welt verabschiedet. Revolutionen verlaufen eben nie so, wie es sich die Revolutionäre vorstellen. Ihre Zukunft sieht nie so aus, wie sie von den Revolutionären entworfen wird.
Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.