Trittin, Merkel und das wahre Gegenteil von Utopie

Trittin geht in Ruhestand und wird von Merkel gelobt, er habe "Spuren" hinterlassen, "die bis heute nachwirken". Meint sie, dass Unternehmen auswandern, weil Strom zu teuer ist? Es ist eine "Spur der Verwüstung", von Merkel und nun Habeck fortgesetzt!

Freunde, hört tief in euch hinein, seid extra ehrlich, und dann fragt euch: Was fühlt ihr, wenn ihr den Namen "Angela Merkel" hört? Ist es Liebe, ist es Hass … oder ist es Gleichgültigkeit? Und was die politische Richtung betrifft, die Deutschland unter Frau Merkel einschlug: Geht es mehr in Richtung einer Utopie oder in Richtung einer Dystopie? Zur Erinnerung: Das Wort "Utopie" stammt aus dem Griechischen. "Ou" bedeutet nicht, und Topos natürlich Ort. Die Utopie ist der Ort, der nicht ist, doch von dem wir uns so sehr wünschen, dass er wahr werden und dann sein möge. "Dystopie" dagegen enthält "Dys", was schlecht bedeutet, wie wir es von den Begriffen dysfunktionalDyslexie und Dissonanz kennen. Ist Deutschland – auch dank Merkel – eher auf dem Weg zur Utopie oder zur Dystopie?

Ich las über Angela Merkel letztens wieder in den Schlagzeilen, wenn auch nicht auf der Titelseite. Und ich war nicht ganz sicher, ob ich Hass oder doch eher genervte Gleichgültigkeit empfand. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass – das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit. Liebe und Hass sind womöglich von ähnlicher Erwartung getragen. Liebe sieht die Erwartung erfüllt. Verliebtsein hofft auf sie. Der brennende Hass hält die Erwartung hoch, während er über das Ausbleiben der Erfüllung schimpft und flucht.

Hass und Liebe verleihen dem gehassten beziehungsweise geliebten Objekt eine besondere Bedeutung. Die Gleichgültigkeit ist ein Gegenteil von Liebe, aber auch ein Gegenteil von Hass, denn sie verweigert dem jeweiligen Objekt (beziehungsweise der Person) eine besondere Bedeutung. Liebe und Hass gehören realistischerweise zum vollständigen Leben dazu. Wenn auch niemand auf Liebe verzichten sollte, so könnte ich zumindest gern auf Hass verzichten.

„Merkel verabschiedet Trittin launig in den Ruhestand“

Liebe kann in Hass umschlagen, und zwar dann, wenn die liebende Partei ihre Erwartungen als dauerhaft unerfüllt sieht und ihre Investition verloren gibt. Das dauerhafte Umschlagen von Hass nach Liebe ist hingegen logischerweise eher selten. Ohne ernsthafte Operationen an der Tube bekommst du Zahnpasta nicht wieder hineingepresst. Das Omelett ist nicht wieder zum Ei auftrennbar. Und der von Liebeshoffnung Ge-täuschte kann ent-täuscht werden, doch Ent-ent-täuschung kann kaum wieder zur Liebe werden – das Wissen um die Täuschung bleibt ja. (Im realistischen und wohl gar nicht seltenen Fall kann sich ein "Sich-Abfinden" einstellen, das man im Amerikanischen auch "to settle" nennt und dessen resignativer Habitus vielleicht nicht nur äußerlich der Gleichgültigkeit sehr ähnlich ist.)

Wenn wir aber von Täuschungen, Enttäuschungen und Sich-Abfinden reden, sind wir thematisch natürlich zwingend bei den politischen Nachrichten des Tages. Ich lese aktuell eine Nachricht, da drehen sich mir als Mensch, Deutscher und Demokrat die Zehennägel hoch. Mehrfach, weil es gleich um zwei politisch aktive Personen geht. Um zwei Personen, die als Jungkommunisten zu bezeichnen, wahrscheinlich nicht ganz falsch wäre – womöglich sogar noch euphemistisch. Es geht um Angela Merkel und Jürgen Trittin. "Merkel verabschiedet Trittin launig in den Ruhestand", so lesen wir (n-tv.de, 13.5.2024).

Über Trittin weiß die Wikipedia stolz zu berichten: "Während seines Studiums (1977) war Trittin für die Sozialistische Bündnisliste (SBL), einen Zusammenschluss aus maoistischem Kommunistischem Bund (KB), Mitgliedern der trotzkistischen Gruppe Internationale Marxisten (GIM) und weiteren linksradikalen Studenten, Mitglied im Fachschaftsrat Sozialwissenschaften." Von seinen kommunistischen Anfängen aus war die Aufnahme Trittins bei den Grünen kurze Zeit später, 1980, nur eine logische Entwicklung.

Die junge Angela Merkel war bei der SED-Vorfeldorganisation FDJ engagiert. Es ist nur nicht ganz klar, ob als "Kulturreferentin" oder doch tatsächlich für "Agitation und Propaganda" zuständig (welt.de, 19.6.2005). Während ihres Physikstudiums nahm sie am Jugendaustausch nach Moskau und Leningrad teil. Nach Oskar Lafontaines Einschätzung kann Angela Merkel als "überzeugte Jungkommunistin" bezeichnet werden (domradio.de, 2.8.2024). Merkel und Trittin werden beide im Juli 2024 stolze siebzig Jahre alt. Es war Trittin, der Merkel vor über einem Vierteljahrhundert (n-tv.de, 13.5.2024) als Umweltminister beerbte.

Eis mit weißen Trüffeln und Goldblättern?

Beide, Merkel wie Trittin, hinterlassen als Vermächtnis nicht nur erheblichen Schaden an Deutschland, sondern auch einen Satz, der plausibel als "große Lüge" beschrieben werden kann. (Für eine vermutlich unnötig ausführliche Analyse hierzu siehe den Essay „Die Mutter aller Lügen" vom 4.9.2020.) Wenn es eine "große Merkel-Lüge" gibt, dann wohl natürlich: "Wir schaffen das."

Wenn es aber einen Satz gibt, der "große Trittin-Lüge" genannt werden muss, dann wohl diesen: "Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund 1 Euro im Monat kostet – so viel wie eine Kugel Eis." (bmuv.de, 30.7.2004)

Tatsächlich kostet der bundesdeutsche Energiewahnsinn erheblich mehr als eine gewöhnliche Kugel Eis, selbst nach der Teuerungswelle. Hatte Trittin gelogen? Oder meinte er tatsächlich japanisches Byakuya-Eis (siehe foodandwine.com, 25.5.2023), also Eis mit weißen Trüffeln und Goldblättern, welches tausende Euro pro Kugel kostet? Ach, was kümmert solche Jung-, Ex- und sonstigen Kommunisten ihr Geschwätz von gestern, solange nicht sie, sondern die Bürger mit den Schäden beschäftigt bleiben, während sie selbst sich komfortable Datschas und die ganz persönliche sozialistische Utopie gönnen.

Letzten Dezember hatte Trittin seinen Rückzug aus dem Bundestag angekündigt, und im Januar 2024 schied er dann auch aus. Als wollte man öffentlich betonen, dass in der Politik heute außerhalb der AfD alles eine Einheitssoße ist, lud die Grünen-Fraktion im Bundestag nun Angela Merkel ein, um die politische Eulogie auf Jürgen Trittin zu sprechen (@GrueneBundestag, 13.5.2024). (Apropos Gleichgültigkeit: Für die Lobrede auf ihren Seelenfreund Trittin ersparte sich Merkel die Teilnahme am zeitgleichen CDU-Parteitag; siehe etwa @HugoMuellerVogg, 14.5.2024.) "Als Bundesumweltminister hinterließ Jürgen Trittin Spuren, die bis heute nachwirken", so wird Merkel zitiert (n-tv.de, 13.5.2024).

Ich weiß nicht, warum diese Leute das tun

Was für "Spuren" meint sie wohl? Meint sie das "Dosenpfand" beziehungsweise "Einwegpfand", diese zweite Schiene des deutschen Sozialsystems? (Siehe auch tagesschau.de, 29.12.2023spiegel.de, 19.3.2015.) Meint sie Meldungen wie den aktuell angekündigten Stellenabbau ausgerechnet durch den Wärmepumpenhersteller Vaillant (merkur.de, 15.5.2024)? Sind es Firmen, die insolvent werden, auch weil sie sich die Energiekosten nicht mehr leisten können? So sagen sie zumindest (wie aktuell "Sachsen Guss"; focus.de, 13.5.2024). Sind es die inzwischen zum "neuen Normal" zählenden Stromausfälle (jungefreiheit.de, 11.5.2024)?

Die haben keine Utopie geschaffen – zum Glück immerhin auch noch keine Dystopie. Eher das wirkliche Gegenteil von Utopie. Denn so wie Gleichgültigkeit das Gegenteil von Liebe ist, so ist das wirkliche Gegenteil von Utopie das mittelmäßige Durchwurschteln. Nein, ich empfinde nicht Hass für diese Figuren – aber auch ganz bestimmt nicht Liebe. Eher eine leicht verächtlich gefärbte Gleichgültigkeit. Dazu aber Wut. Um Angela Merkel zu zitieren: "Ich habe sprichwörtlich unendlich viel darüber nachgedacht." (Spiegel TV, via YouTube)

Auch ich habe darüber nachgedacht, und ich bin zur Erkenntnis gekommen: Ich empfinde ein wenig Wut auf diese Gestalt und ihre Helfer. Doch ich empfinde ordentlich Wut auf uns, auf das Volk, das diesen Leuten viel zu viel Macht über uns gegeben hat.

Warum tun diese Leute, was sie tun? Ist es, weil sie "Öko-Stalinisten" sind, wie Michael Glos einst einen der beiden nannte? Ich weiß nicht, warum diese Leute das tun. Ich frage mich auch viel dringender, warum wir Bürger so etwas mit uns machen lassen, wieder und wieder. Die sind wie sie sind, ob wir sie lieben oder hassen, ob wir gleichgültig sind oder uns mit denen abfinden. Warum aber sind wir, wie wir sind?

 

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog Dushanwegner.com

Foto: Jonas Rogowski CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Didi Hieronymus Hellbeck / 16.05.2024

Spontane Frage (habe den Beitrag nicht gelesen, folgt, muss gleich noch mal weg): der Typ im Bild oben - das ich doch Erich Mielke ca. 1985, oder? frappierende Ähnlichkeit jedenfalls

Ralf.Michael / 16.05.2024

Spuren hinterlassen ? Wo ? In der Sahara ? Wer ? Der Fuzzy mit dem Flaschenpfand ? Never_Ever !!

Stefan Riedel / 16.05.2024

Spuren? Politik der verbrannten Erde in D? Lasst die Spürhunde los! Jürgen Trettin oder Angela Kast? Kommunistischer Bund und Gründung der Grünen Im Alter von fünfzehn Jahren nahm er an Demonstrationen in Bremen teil. Während seines Studiums (1977) war Trittin für die Sozialistische Bündnisliste (SBL), einen Zusammenschluss aus maoistischem Kommunistischem Bund (KB), Mitgliedern der trotzkistischen Gruppe Internationale Marxisten (GIM) und weiteren linksradikalen Studenten, Mitglied im Fachschaftsrat Sozialwissenschaften. Die SBL koalierte mit der Sponti-Gruppe Bewegung undogmatischer Frühling (BUF) und stellte 1977/78 den Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) der Universität Göttingen, der wiederum die Studentenzeitung Göttinger Nachrichten herausgab, die im April 1977 den Buback-Nachruf und damit eine Auseinandersetzung mit den Sympathien für den Mord am damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback veröffentlichte. Die Süddeutsche Zeitung (SZ), die tz und die Abendzeitung stellten 2001 klar, Trittin sei nie Mitglied der Redaktion gewesen. Auch der damalige AStA-Vorsitzende Jürgen Ahrens bestritt eine Beteiligung Trittins, wie es die Bildzeitung behauptet hatte. Trittin verteidigte in den 1970er Jahren den Nachruf, was er später als „schweren Fehler“ bezeichnete. 1978 kandidierte er zum ersten Mal auf der Liste demokratischer Kampf (LDK) des Kommunistischen Bundes für den AStA. Von 1979 bis 1980 war Trittin dann in einer Funktion im AStA, zuständig für das Außenreferat. Zeitgleich war er von 1979 bis 1980 Präsident des Studentenparlaments (StuPa). Dort lernte er auch den Sozialdemokraten Thomas Oppermann kennen. In dieser Funktion organisierte er Demonstrationen unter anderem gegen Rekrutengelöbnisse der Bundeswehr und war als Hausbesetzer in Göttingen aktiv. Trittin bewegte sich im breiten Umfeld der Göttinger K-Gruppen und war aktives Mitglied (bis 1980) des vom Verfassungsschutz beobachteten Kommunistischen Bundes.[14] Nach Aussagen ehemaliger Kommilitonen

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