Gastautor / 08.04.2012 / 01:59 / 0 / Seite ausdrucken

Traumschiff mit Twitter-Boys

Sabine Reichel

Man könnte schweißgebadet im Traum aufschrecken. Wie aus einem Deja vu. Eine Gruppe von schlurfigen, extrem schlecht angezogenen, recht unattraktiven blassen Bubis nennt sich „Die Piraten“ und will die abgefuckte Welt wieder funktionsfähig zurechttwittern. Und was passiert? Sie werden nicht etwa ausgelacht, sondern ergattern fast 9 % der bisherigen Wählerstimmen.

Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal fast sehnsuchtsvoll an solche alten Haudegen wie Theodor Heuss, Helmut Schmidt, Willy Brandt, ja selbst das krustige Schlitzohr Adenauer denken und ihre Präsenz herbeiwünschen würde? Natürlich nicht wirklich, sondern nur in einer Art Polit-Musical, das die Stile der verschiedenen Generationen zeigt. Und siehe da, Retro lebt! Die heutigen Twitteraner und Facebookies sind von romantischen Seeräuber-Ideen besessen. Ein Vergleich fällt allerdings höchst ungünstig aus.

Bei Piraten denkt man an schöne, furchtlose Mannsbilder, und wie immer bei Images hilft der Film. Errol Flynn, Tyrone Power, der junge Burt Lancaster und sogar Johnny Depp sind elegante, furchtlose Helden, unglaublich charismatisch und sexy!! Männer in fantastischen Klamotten, die lachen, küssen und den Säbel schwingen, treten für Recht und Ordnung ein – und gewinnen immer.

Schwenk auf die unflotte „Piraten“-Besatzung, die geradezu aus irgendeiner verhassten Großstadt und der Latte-und-Bionade-Szene zu kommen scheint, aber Großes auf ihre orangenen Flaggen geschrieben hat.

Revolution (in Spiegelschrift)! Was für ein hippes Wort für eine so lahme Truppe mit Gewichtsproblemen. Natürlich bleibt, wenn man schon lange genug auf der Welt ist, der „alles schon gesehen, alles schon gehört“ Seufzer nicht aus. Aber bei den jungen Piraten (Durchschnittsalter 25 Jahre) fällt der Imageklauversuch besonders offensichtlich und penetrant aus. Hier ein bisschen nervige „Grünen“- Patina, dort etwas peace-loving Hippie-Schmuddelcharme, oder ein Eckchen 68er-Randalebereitschaft – und obenauf einen großen Schlag modische „Nerd“-Sahne. Alles in allem: Anarchie-Aufgussware.

Die Beliebigkeit der Standpunkte – eine Mischung aus „Null Bock“ und diesem immer penetranter werdenden deutschen Fake-Liberalismus, der universelle „Menschlichkeit“ und Verständnis für alles, was trist, alternativ und erfolglos ist, vortäuscht – ist ein Albtraum. Das Fehlen von einer klaren Linie, von Transparenz, Erfahrung und politischem Geist, erzeugt Gänsehaut.

Es läuft darauf hinaus, dass die Piraten „echt“ dafür sind, dass alle Leute „irgendwie“ cool drauf sind, dass Wale gerettet werden und Kühe nicht so eng im Schlachthof stehen sollen, dass man ungebleichtes Klopapier benutzen und man einfachen Leuten wie „Schlecker“-Verkäuferinnen schon „irgendwie“ helfen muss und auch den Soldaten in äh, wo waren die man noch? Nur wie, na ja, da haben die Piraten nun nicht drüber nachgedacht. Man kann ja nicht alles wissen, müsste man mal ne Meinungsumfrage auf Facebook stellen oder die Bürger selber Vorschläge twittern lassen – ist doch ne Demokratie, da könnte man schon die Bürger einbinden. In jedem Fall, erstmal kräftig zu Demos aufrufen, egal wogegen, in jedem Fall ein bisschen „occupy wall street“ -Zirkus, sozusagen als Geschmacksorte des Monats.

Als Anhängerin der „you are what you wear“-Philosophie kann ich nicht von Stilfragen lassen, tut mir leid. Und hier befinden wir uns im modischen Gruselparadies. Die uralte und wunderbare Fabel von des “Kaisers neuen Kleidern“ im modischen wie auch politischen Sinne wird hier aktuell inszeniert. Oh mein Gott! ist das tatsächlich noch möglich? Ein gewisser Gewald Claus-Brunner trägt orangene Latzhosen, einen Davidstern um den Hals und ein Palästinenser Geschirrtuch um das Langhaar geschlungen. „Ich bin, wie ich bin“, trumpft er treuherzig auf.

Nie im Leben würde ich jemanden wählen und schon gar nicht mein kostbares Leben in die Hände eines Menschen legen, der seine Gesinnung auf und nicht im Kopf trägt. Ein Torge Schmidt dagegen hat dieses fürchterliche Ziegenbärtchen am Kinn, ein Sebastian Nerd, äh, Nerz aus Tübingen, er ist Kapitän des Schiffes, sieht bieder aus wie der Typ „Junge Union“ ca. 1970. Ein anderer Herr im zu großen, verknautschten Trevira-Anzug von der „Oxfam“-Spendenstelle trägt dazu ein verwegenes Hütchen im Safari-Look. Ansonsten hängen lange, dünne Pferdeschwänze mit taschenübersäten Riesenhosen und langen Schals um die Wette. Wow. Irre. Kampf der Konformität. Faust hoch, geil Alter, alles klar!

Ein düsteres Thema ist die „Frauenfrage“. Frauen sind in der Minderzahl, denn die konnten die Piris nicht so richtig für ihren Kahn kapern. Marina Weisband, Psychologiestudentin und das einzige vorzeigbare „Glamour Girl“ der Truppe, ist ganz charmant, lebendig und intelligent, aber sie hat sich zurückgezogen, weil sie zuviel Hassmail bekommen hat. Nicht nur weil sie Jüdin ist, sondern wahrscheinlich weil sie auf dem Traumschiff der Twitter-Boys mächtig stört. Was leider nachbleibt, ist der Kristina-Schröder-Typ, blass und angestrengt, oder rot gefärbt, das offizielle Zeichen für „linke“ Frauenpower. Und über allem thront der Fake-Feminismus, der dafür steht, dass öffentliches Stillen endlich die Wichtigkeit erlangt, die es verdient und per Gesetz alle Bürger das Café verlassen, wenn Kleinkinder darin grölen und spielen wollen, sowie automatisch von den Fußwegen preschen müssen, wenn irgendwo riesige Kinderfortbewegungsfahrzeuge im Anrollen sind. Dabei liegen wirkliche Dinge im Argen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass eine junge Piratin Lohngleichheit und die offenbar nötige Frauenquote bei den Geschlechtern durchboxt, wenn die beiden talentierten Füchsinnen von der Leyen und Merkel es nicht geschafft haben.

Die Vorstellung, dass Kids, die nichts vorzuweisen haben, was sie als politische Macher auszeichnet, wichtige politische Entscheidungen ausserhalb der Bürgerwahl beeinflussen dürfen, wenn sie nicht mal wissen, wo Aserbeidschan liegt und wer Bunuel, Jon Stewart und Joni Mitchell sind, drückt aufs Gemüt und stimuliert gleichzeitig mit einem Anflug von Verzweiflung die Lachmuskeln. Ja, sicher geht es hier auch um den Generation-Gap. Und klar, wollen die Baby-Boomers nicht ihre heißgeliebte Position als wichtigste narzisstische Nachkriegsgeneration ohne Kampf aufgeben. Sie haben ja auch hart an ihren Positionen gearbeitet. Das ist so ein bisschen wie Lady Gaga, die kräftig in Madonnas Fersen gebissen hat, so dass die aus ihrer Pop-Mutti-Position aufgeschreckt ist und neu gestählt und gebotoxt in die Manege geht, um zu zeigen wo’s immer noch langgeht.

Die Katzbuckelei des Establishments hat auch schon angefangen. Ich sah ein Foto mit Klaus Wowereit, der mit gequältem Lächeln ein Piratenmitglied begrüßt, während Mitglieder anderer Parteien sich langsam auf die   Pirsch machen. Könnte ja sein, dass die Piraten doch ein paar mehr Prozente als man dachte einfahren und man sie dann ins eigene sinkende Boot holen müsste. „Freundliche Ahnungslosigkeit“ bescheinigt zwar der Spiegel der Partei, aber man kann sie nicht in den Keller einschließen und will sie offiziell nicht zu sehr ignorieren.

Und so ist es keine Überraschung, zu erfahren, wer denn nun so einen Boy-Club wie die Piraten wählt: Es nützt nun nichts, meine Herren, ihr unter 25 Jahren seid wieder in der absoluten Mehrzahl. Anhand von langjährigen Studien seid ihr der Welt potentiell mächtigste, gefährlichste und leider auch verwirrteste und unsicherste Gruppe. Könnte man Euch ablenken? Vielleicht gibt es noch ein paar ausgediente Piraten-Kopftücher mit Totenkopf von der „Fluch der Karibik 2“ Werbekampagne, die können sich dann Bubi & Co um ihren Kopf schlingen und träumen sie wären Käpt’n Sparrow! Keira Knightley, bitte beim Headquarter melden! Das Boot sinkt. Oder noch besser, gib uns erfahrene Frauen vom Format einer Suu Kyi, Hillary Clinton, oder meinetwegen auch Margret Thatcher. Sie könnens besser!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 16.04.2024 / 06:00 / 203

Doch, es war alles falsch!

Von Andreas Zimmermann. Wir brauchen eine Aufarbeitung der Corona-Jahre, bei der eben nicht diejenigen das Sagen haben, die die Verantwortung für die Verheerungen dieser Zeit…/ mehr

Gastautor / 30.03.2024 / 14:00 / 6

Islamische Expansion: Israels Wehrhaftigkeit als Vorbild

Von Eric Angerer. Angesichts arabisch-muslimischer Expansion verordnen die westlichen Eliten ihren Völkern Selbstverleugnung und Appeasement. Dabei sollten wir von Israel lernen, wie man sich mit…/ mehr

Gastautor / 30.03.2024 / 06:15 / 44

Wer rettet uns vor den Rettern?

Von Okko tom Brok. Seit der deutschen Einheit ist Deutschland von einem eigenartigen „Rettungsfieber” befallen. Jeder Rettung korrespondierte dabei eine „Wende”. Beide Begriffe wurden dabei…/ mehr

Gastautor / 04.03.2024 / 06:00 / 52

Corona-Aufarbeitung: Skandal-Antworten der Bundesregierung

Von Andreas Zimmermann. Die Bundesregierung beantwortete eine parlamentarische Anfrage zu eklatanten Impfrisiken: Arrogant, ignorant und inkompetent. Und genauso geht sie mit der Gesundheit der Bürger um.…/ mehr

Gastautor / 03.03.2024 / 20:00 / 0

Wer hat’s gesagt? (Auflösung)

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Gastautor / 03.03.2024 / 09:00 / 8

Wer hat’s gesagt? „Der­zeit wird mRNA als Gen­the­ra­pie­pro­dukt ange­se­hen.“

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Gastautor / 29.02.2024 / 10:00 / 64

Wenn korrupte Wissenschaft die Weltpolitik bestimmt

Von Roland Wiesendanger. Die Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlichte 2020 eine extrem einflussreiche, aber betrügerische Arbeit zum Ursprung von Covid-19. Eine internationale Petition fordert jetzt, diese…/ mehr

Gastautor / 25.02.2024 / 20:00 / 0

Wer hat’s gesagt? (Auflösung)

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com