Die vielzitierte Politikverdrossenheit der Bürger entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Parteienverdrossenheit und handfeste Enttäuschung über die Politik, die die konservativ-liberale Regierungskoalition seit ihrem Amtsantritt ihren Wählern zumutet. Denn die Bürger sind erwachsen und realistisch genug, um zu begreifen, dass die Rundumversorgung des Wohlfahrtstaates angesichts exorbitanter Staatsverschuldung und dramatischer demografischer Lage nicht mehr finanzierbar ist. Anstatt Koalitionsgezänk und parteiinterner Ränkeschmieden erwarten sie endlich eine Politik, die dieser Realität mit Tatkraft begegnet und Reformen auf den Weg bringt – und nicht ständig über selbst vermasselte Neustarts jammert. Die Kanzlerin scheut sich weiterhin, den Bürgern mehr an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung „zuzumuten“. „Die Kraft der Freiheit“ beschwört sie nicht hier, sondern wie letztes Jahr in weiter Ferne vor dem amerikanischen Kongress. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass sie die Erfahrung mit dem sozialdemokratischen Partner in der großen Koalition tief berührt hat und sie ihm womöglich immer noch nachtrauert. Vom Aufbruch in die Freiheit ist jedenfalls bis heute auf den Regierungsbänken wenig zu spüren. Auch die Hoffnungsträgerin FDP hat die in sie gesetzten Erwartungen bisher bitter enttäuscht. Mehr hier.