Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 05.01.2007:
Ein Künstler, der an einer großen deutschen Bühne arbeitet, erzählte uns von einer bezaubernden brasilianischen Tänzerin, die er sehr sympathisch findet. Sie kam am Tag vor Silvester zu ihm und sagte: „Hast du die Nachrichten gesehen? Saddam Hussein ist tot.“ Und dann fügte sie hinzu: „Das hat mich so traurig gemacht. Ich habe fast geweint.“ So empfanden offenbar nicht nur zart besaitete Balletteusen, sondern viele andere auch. Wir staunten nicht schlecht, wie Trauer und Betroffenheit aus Bildschirmen und Zeitungsspalten trieften. Ein Kommentator der Frankfurter Rundschau schrieb von „nahezu einhelliger Empörung“ und charakterisierte den Tyrannen als „wehrloses Opfer“ seiner Henker. Selbst der Pressesprecher des Vatikans sprach von einer „tragischen Nachricht.“
Nun, wir wollen es positiv sehen. Ist es nicht ein zivilisatorischer Fortschritt, dass die Menschen nun sogar für Tyrannen ein Tränchen abdrücken? Womöglich eine zwangsläufige Folge des sich im 20. Jahrhundert rasant erweiternden Mitgefühls. Früher waren Menschen anderer Hautfarbe oder Religion, Verbrecher und Geisteskranke davon ausgeschlossen. Heute erwecken auch Kröten und Krokodile Mitleid und edle Gefühle. Warum nicht auch Saddam Hussein?
2006 erschien uns eigentlich als ein gutes Jahr, weil neben dem irakischen Ex-Despoten auch Slobodan Milosevic, Abu Musab al-Sarkawi und Augusto Pinochet die Welt verließen. Letzterer friedlich und in Freiheit. So ganz tief drinnen finden wir es immer ein wenig unbefriedigend, wenn steinalte Massenmörder im Bett dahinscheiden. So betrachtet fanden wir den Tod Mielkes, Maos oder Idi Amins viel trauriger als die Hinrichtung in Bagdad. Aber wahrscheinlich sind das völlig reaktionäre Gefühle, die dringend therapiebedürftig sind.
Der Mensch von heute möchte gern sanfte Medizin, sanften Tourismus und sanfte Gerechtigkeit. Auch gegenüber den Unsanften will er ein guter Mensch bleiben. „Zittert, Tyrannen und ihr Niederträchtigen,“ heißt es noch in der Marseillaise, einst ein Hit der Linken. Heute klingt das völlig unsensibel (mal sehen, wann die Franzosen ihre Nationalhymne in „gerechte Sprache“ umdichten). Statt „Tyrannen an die Laterne!“ hieße der zeitgemäße Slogan „Tyrannen in den humanen Strafvollzug!“
Oder könnte der Grund des Mitfühlens noch ein anderer sein? Schließlich sind nicht alle Tyrannen gleich. Nehmen wir mal Augusto Pinochet. „Der Gesellschaft ist ihr Recht auf Vergeltung vorenthalten worden,“ bedauerte ein Kommentator (der sich jetzt mächtig für Saddam ins Zeug legt) Pinochets natürliche Form des Ablebens. Hätten die Chilenen den General vorher gehenkt, wäre hierzulande wohl kaum die große Betroffenheit ausgebrochen. Warum? An der Zahl der Opfer kann es nicht liegen. Menschenrechts-Organisationen schätzen, dass etwa 5000 Tote auf das Konto des chilenischen Diktators gehen, und über 250 000 auf das des irakischen (die Gefallenen des Irak-Iran-Krieges nicht mitgerechnet).
Doch der verkniffene Pinochet mit seinen lächerlichen Operetten-Uniformen ist mit dem ästhetisch-habituellen Zeitgeschmack völlig inkompatibel - und war außerdem noch ein erklärter Rechter. Saddam dagegen machte schon mal modische Anleihen bei Che Guevara, zeigte sich mit Dreitagebart und Barett in Guerilla-Outfit. Ideologisch chargierte er zwischen Stalin und Hitler, die er beide bewunderte. Er verfolgte zwar Kommunisten aber unterstützte den „heldenhaften palästinensischen Widerstand.“ Vor allem war er im Gegensatz zu Pinochet Feind der Amerikaner. Und das scheidet nun mal in den Augen vieler den guten vom schlechten Tyrannen.
Ach ja, das Gespräch unseres Freundes mit der brasilianischen Tänzerin ging noch weiter. „Hast du ihn so gern gehabt?“ fragte er. „Das weiß ich nicht,“ meinte sie, „aber ich habe mich nur gefragt, warum er und nicht der andere da…?“ „Welchen anderen meinst Du?“ „Na, den Bush, natürlich…“ sagte sie.