Wenn es nach Friedrich Merz geht, ist das Parlament ein Störfaktor für „unsere“ Demokratie.
Was ist Demokratie? „Unsere Demokratie“, das wissen wir mittlerweile, es wurde uns lange genug eingebleut, ist jedenfalls nicht Ihre, Deine oder meine Demokratie, sie gehört den demokratischen Parteien, die darüber bestimmen, welche Partei nicht demokratisch ist, und damit auch nicht die Stimme für diese Schwefelpartei. Kapiert?
Könnte man die schwefligen Mandatsträger einfach aus dem Bundestag vertreiben, bräuchte man das neue Wahlrecht nicht, das bei der nächsten Bundestagswahl im Februar gilt: Es soll den aufgeblähten Bundestag von 733 Abgeordneten auf nur noch 630 Repräsentanten verschlanken. Das dürfte kaum auffallen, sind doch die Reihen selbst bei wichtigen Debatten meist ziemlich gelichtet. Und im Notfall haben die Abgeordneten eh nichts zu sagen. Man erinnere sich an Angela Merkels Griechenland- und Eurorettung: Da wurde ein kompliziertes Werk auf Englisch den Abgeordneten unter solchem Zeitdruck zum Abstimmen vorgelegt, dass sie höchstens kurz drüberblasen konnten. Also!
Doch natürlich gibt es mehr als einen Haken bei der Sache. Damit die Parteienherrschaft nicht überhandnimmt, gibt es eine Erst- und eine Zweitstimme, mit der Erststimme wird ein Direktkandidat gewählt, mit der Zweitstimme eine der Parteien und ihre Liste. Ein Direktkandidat aus dem Wahlkreis, davon jedenfalls wird ausgegangen, könnte prinzipiell dem Wähler persönlich bekannt sein, das wäre demokratietheoretisch schön, weil es Vertrauen herstellt
Die Liste der Parteien aber ist den Wählern denkbar fern, hier werden bewährte Genossen bedient, die oft nichts anderes vom Leben kennen als die Partei. Wenn man sich Gestalten wie Emilia Fester oder Tessa Ganserer ansieht oder an die letzten drei Verteidigungsministerinnen denkt, müsste man der Erststimme den Vorzug geben. Den Dödel oder die Dödelin kenne ich wenigstens, sie vom Brillengeschäft, ihn vom Getränkemarkt. Doch nun richtet sich die Sitzverteilung ausschließlich nach den Zweitstimmen. Direktmandate zählen nur, wenn sie durch die Zweitstimmen gedeckt sind.
Wieder eine kleine Illusion weniger
Partei sticht Person. Mit anderen Worten: Ob die mit den Erststimmen gewählte Person am Ende tatsächlich das Mandat erhält, wird erst nach der Wahl berechnet.
Okay. Also wieder eine kleine Illusion weniger, für alle, die noch gehofft hatten, der Parteienmacht sei wenigstens ein bescheidener Bremsklotz beigegeben. Doch was macht das schon? Bereits jetzt entmachtet die „Brandmauer“ faktisch die Stimmen für die Schwefelpartei AfD, mit der ja niemand will.
Wenn es nach Friedrich Merz geht, ist das Parlament ein Störfaktor für „unsere“ Demokratie. Und So zitierte ich ihn in meiner vorherigen Kolumne für die Achse: „Ich möchte, dass wir jetzt nur noch die Dinge auf die Tagesordnung setzen, die wir vorher im Konsens zwischen Opposition und restlicher Regierung vereinbart haben. Um uns alle – die Regierung und uns – davor zu bewahren, dass wir am Ende Zufallsmehrheiten im Saal mit der AfD oder den Linken haben. Ich will das nicht!“
Wer auf „Zufallsmehrheiten“ verzichten will, was immer das sein soll, muss bei jedem Gesetzesvorhaben, das es auf die Tagesordnung schaffen soll, einzeln prüfen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Grotesk? Irgendwie schon. Und irgendwie nicht konsequent genug. Denn wenn das so ist, dann stellt sich doch messerscharf die Frage, wozu wir überhaupt ein Parlament brauchen, in dem es zu Mehrheiten kommen könnte, die Friedrich Merz nicht will. Weil der Wähler nicht wählt, was er wählen soll? Faktisch entscheidet damit die AfD darüber, welche Angelegenheiten nicht zur Sprache kommen dürfen, weil ihre Abgeordnete zustimmen könnten, derweil eine Große Koalition (die dank der SPD nicht mehr sonderlich groß ist) schon vorher auskungelt, was zu beschließen sei.
765.000 Euro je Abgeordnetem
Konsequent wäre es, man schaffte den Bundestag einfach ab und natürlich auch die Wahlen, die angesichts steigender Papierpreise sowieso viel zu teuer sind.
Der Bundestag kostete 2022 mehr als eine Milliarde Euro. Die aktiven mandatsbezogenen Kosten betrugen jährlich 765.000 Euro je Abgeordnetem, hinzu kommen Pensionsansprüche. Ein Viertel der Gesamtkosten geht auf das Konto von Mitarbeitern, die Abgeordnete eingestellt haben.
Es lebe die Freiheit, dammich, möchte man da mit Javier Milei rufen, noch sinnloser als ein Parlament, in dem es keine „Zufallsmehrheiten“ gegen den Willen von Friedrich Merz geben darf, ist eine Regierung, die desto aufgeblähter ist, je weniger sie zustandebringt.
Afuera! Raus damit!
Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.