Kürzlich beschwerte sich ein alter Freund bei mir, weil ich auf Facebook spontan so etwas wie „Defund the ÖRR“ gepostet hatte. Sei das nicht auch mal meine Heimat gewesen? Doch. Jahrzehntelang sogar. Aber die Zeiten ändern sich.
Aufgrund der Empfehlung eines liebenswürdigen Herrn durfte ich nach Promotion und gescheiterter Bewerbung für eine Universitätskarriere seit 1977 im Kulturprogramm des Hessischen Rundfunks moderieren – die Sendung hieß „Alternative am Vormittag“. Oder am Morgen? Im Internet habe ich sie nicht mehr gefunden.
Während heute jede Zehnjährige weiß, wie man in ein Mikrofon spricht, war ich extrem aufgeregt. Aber das Programm der Sendung war streng gestrickt und verlangte keinerlei Improvisation. So würde heute niemand mehr senden – mit hohem, allerhöchstem Kulturton. Egal, so ging das los, mit mir und dem Hörfunk. Später kam noch das Fernsehen hinzu. Aber der Hörfunk war meins. Er erzog. Zu Kürze und Klarheit. Ich schrieb jahrelang Meinungskommentare und Features für beinahe alle deutschen Sender.
Lange war der Hörfunk ein Ermöglicher: Er sponsorte längere Essays für Printmedien, auch für „alternative“. Von einer Essayreihe wie die halbstündigen „Gedanken zur Zeit“ beim WDR profitierte ab und an das von Karl Markus Michel herausgegebene „Kursbuch“. Man muss die damaligen Ausgaben heute legendär nennen, zumal das Heft mittlerweile von eher schmalbrüstigen Akademikern mit festem Weltbild und karger Sprache verantwortet wird. Der geniale Karl Markus Michel aber schlug von 1964 bis zum Ende seiner Ägide 1999 seinen Autoren Themen vor – und forderte sanft, aber unnachgiebig Nachbesserungen an, wenn er die sprachliche Umsetzung nicht gelungen fand. Stilbildend. Von ihm stammt der feine Titel für einen meiner Essays über die vergehende DDR: „Im Drüben fischen“. Ohne ihn und Ingrid Karsunke wäre das Kursbuch nicht denkbar gewesen.
Bei Radio Bremen entstand mit dem „Journal am Morgen“ 1984 eine drei Stunden lange Sendung, in der Kultur nicht nur Platz für drei Minuten bekam (und auch nicht nur aus Literaturrezensionen bestand), und in dem auch der hohe Kulturton nicht mehr erwünscht war. Ich hatte diesen Ton beim Hessischen Rundfunk eingebläut bekommen, in Bremen gewöhnte man ihn mir ab. „Journal am Morgen“ war die Morgenröte des Hörfunks.
Der Koloss ÖRR zeigt sich bereits wieder bedürftig
Okay. Schluss mit den Reminiszenzen à la Oma erzählt von ihrer lustigen Jugendzeit. Doch Sendungen wie „GZZ“ verdienen es, gewürdigt zu werden, sie wurden von altgedienten Redakteuren betreut, ich weiß nicht, ob ich ihnen allen Konservatismus unterstellen sollte, aber sie waren Journalisten und nicht „Haltungsjournalisten“, sie nahmen die Sache mit der Ausgewogenheit ernst und ließen sogar Antiautoritäre wie mich ans Mikrofon.
Gewiss ist es normal, dass mit dem Führungswechsel an der Spitze auch altgediente Kommentatoren ins Gras beißen müssen, die Neuen bringen ihre Leute mit. Doch so offen wie die alten Knacker waren die Nachfolgenden nicht. Und was mit Julia Ruhs beim NDR-Fernsehen geschehen ist, gibt es natürlich auch beim Hörfunk. Die ihrem eigenen Geständnis nach überwiegend grünroten Mitarbeiter lassen andere als ihre eigenen Meinung ungern zu.
Nun bläst ihnen ein scharfer Wind entgegen. Die zur „Demokratieabgabe“ Verpflichteten wollen mit ihrem Geld keine Propaganda mehr finanzieren. Die Klage einer Frau, die eine „Demokratieabgabe“ nicht mehr zahlen will, weil sie dem Bayerischen Rundfunk mangelnde Ausgewogenheit vorwirft, wird aktuell vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt. Und was geschieht, wenn ihrer Klage stattgegeben wird?
Ein Ende des ÖRR? Oder endlich der Zwang, Leistung zu erbringen, für die der Beitrag sich lohnt? Oder – sich auf die eigenen Beine stellen? Der Koloss ÖRR zeigt sich bereits wieder bedürftig. Wofür die Kohle? Für überbezahlte Intendanten? Für hohe Pensionsrückstellungen? Fürs Programm wohl am wenigsten, vieles davon überlassen die vielen kleinen Chefchen freien Mitarbeitern.
Alle Funkhäuser verkaufen und die Demokratieabgabe abschaffen!
Treten wir doch einfach mal einen Schritt zurück. Dann sieht man: alle Sender sitzen auf einem Berg von Gold. Jedes Funkhaus besetzt Latifundien in bester Lage, mit Platz für Sendesaal und die hr-Bigband, mit Aufnahmestudios, Bürokratie (die man längst bündeln könnte) und Büros für Mitarbeiter. Wenn man das alles verkaufen würde und sich mit, sagen wir: einer Fabriketage begnügte, könnte die ganze Zwangsabgabe wegfallen.
Sicher: Für die kunstvollen Produktionen wie Hörspiele braucht man Studios mit Technik und Technikern. Und der Tatort entsteht nicht am Küchentisch. Aber wenn Katharina Thalbach Schauermärchen der Gebrüder Grimm vorliest, kann sie das überall machen, sogar zuhause. Und drei Teilnehmer zu einem Gespräch zusammenspannen? Das geht selbst dann, wenn die drei an drei verschiedenen Orten sind.
Das hat zuletzt Corona gelehrt: Hörfunk kann überall entstehen. Das beweist nicht zuletzt der „Kontrafunk“, den der alte Radiofahrensmann Burkhard Müller-Ulrich 2022 gründete. Seit 1978 arbeitete Müller-Ulrich als Journalist und moderierte unter anderem dreißig Jahre lang das SWR2-Forum. Und der hatte irgendwann die Nase voll: „Also 45 Jahre habe ich als Kind des öffentlichen Rechts Karriere gemacht und habe es auch gern gemacht, weil ich glaube, dass das eine tolle Sache ist oder zumindest war und nicht ich habe mich verändert, sondern die haben sich verändert.“ Der Kontrafunk hat kein Funkhaus, man arbeitet online zusammen. Und viele Mitarbeiter haben einander noch nie gesehen. Und siehe da: Es funktioniert. Und es macht auch noch Spaß.
Lasst uns alle Funkhäuser verkaufen und die Demokratieabgabe abschaffen! Wie wäre denn das?
Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.
Beitragsbild: Der ursprünglich hochladende Benutzer war Millebises in der Wikipedia auf Deutsch - Übertragen aus de.wikipedia nach Commons., CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons

Werte Frau Stephan, auch wenn ich ein Anhänger Ihrer Recherchen bin, so möchte ich Ihnen hier widersprechen. Der ÖRR war schon immer, was er heute ist, Staatsfunk. Nur, daß der Staat früher meinungspolitisch anders lag. Ausgewogen war er noch nie. Niemand hat etwas dagegen, wenn TV- & Rundfunkleute reich werden, wenn sie das, wie früher in anderen Branchen gehabt, das Geld an einem Markt (hier Info & Medien) verdienen. Aber mittlerweile glaubt auch die Deutsche Bank an einen sozialistisch steuerfinanzierten Aufschwung, wie Ihr Kollege, Herr Kolbe, schreibt. Wenn ein idealer Staat Geld an Medien verteilen würde, müßte dies entweder nach politischem Proporz (inklusive der teuren Tatort-Produktionen) &/oder Reichweiten der “Medienschaffer” verteilt werden. Wir hatten den Öffentlichen Schundfunk von den Briten geerbt, die aus eigener Erfahrung den Staatsfunk bei uns etablierten. Das hatte aber in der Vergangenheit nicht immer wirklich zu einer friedlichen Koexistenz geführt, tut es heute auch nicht. Selbst, wenn man jetzt den ÖRS auf Phoenix & ARTE beschränken würde, wäre er in 20 oder 30 Jahren wieder so gigantisch wie heute, weil Politiker in logischer Konsequenz Eigenwerbung auf Zwangsbeitragszahlers Kosten ausdehnen würden. Es gibt also nur die Option, den Staatsfunk abzuschaffen. Auch die Achse hat natürlich meinungspolitisch sensible Punkte. Aber auch die Herren Broder, Maxeiner & Nicolay können erwägen, wenn Sie nicht dafür sorgen, generell ausgewogen zu berichten, tun es die meinungspolitischen Gegner in der Branche.
Wie ich vor einiger Zeit schon vermutete, ist Julia Ruhs nicht die Einzige, der man übel mitgespielt hat. Da tun sich Abgründe auf im Umgang mit Mitarbeitern. Was wenig bekannt ist: einige Themen hat Ruhs gar nicht erst durchbekommen für ihre KLAR-Sendung, z.B. über die negativen Folgen der Transideologie. Der neue NDR-Intendant verspricht jetzt Besserung bei der Mitarbeiterführung, gleichzeitig behauptet er, es sei niemand gecancelt worden (lol). Ich war immer Befürworter des ÖRR, bis vor einigen Jahren viele Sendungen immer ungenießbarer wurden, weil die Manipulation und die politische Schlagseite so offensichtlich sind. Dabei bin ich noch nicht mal erzkonservativ. Ich sehe jetzt nur noch arte, und ab und an irgendeinen Spielfilm in der Mediathek, das war’s. Als ersten Schritt (und das wird vermutlich irgendwann auch passieren) würde sich ein Zusammenlegen von ARD und ZDF anbieten. Die Zwangsgebühren sollte man in ein freiwilliges Abo-Modell umwandeln: kleine monatliche Beiträge für Pakete von Sport, Regionales, Quizshows, Serien oder Filme. Das kann sich dann jeder selbst zusammenstellen. Oder es ganz bleiben lassen. Noch eine Empfehlung: „Das ist der Anfang vom Ende“ – Alexander Teske im Interview über die Affäre um Julia Ruhs” auf Apollo News (Video vom 19.09.25).
Richtig so Frau Stephan! Ein Profi braucht keinen bestimmten Arbeitgeber, um seiner Profession nachzugehen. Zur Not muß er in der Lage sein auch auf sich alleingestellt brauchbare fachlich korrekte Arbeit zu leisten. Was sind das für Leute, die sich selbst zumeist im progressiven Lager verorten, aber Ihren Mitmenschen keine selbstbestimmte Entwicklung oder gar komplette Neuorientierung gestatten wollen? Für mich steht fest das der ÖRR nur hohe Qualität hatte, als er allein war. Da hat ihn jeder beim angucken auch maßgeblich auf die Qualität geprüft. Entsprechend ist nach meiner Analyse der Mythos der Qualität von früher nicht in den Sendern aus eigenem Impetus entstanden, sondern schlicht von außen erzwungen worden. Die heute unterirdische Qualität kommt allerdings komplett von innen. Weg damit! Komplett. Bin voll dafür. Das Konzept des Privatfernsehens ist gegen eine derartige Verlotterung gefeit, da es ausschließlich von freiwilligem Konsum bezahlt wird. Zwar vornehmlich um die Ecke auf dem Umweg der Werbung, letztlich aber durch den Endverbraucher. Ich kann seit Beginn des Privatfernsehen bestens mit den Pausen leben. Anders als in Theater, Kino verpasst man nix, wenn man mal aufstehen muß. Beim gemeinsamen gucken von Sendungen ergibt sich zudem erheblicher Raum für soziale Interaktion. Zudem stört mich, daß bei der ganzen Gebührendiskussion meist das ganze Ausmaß der Geldmittel verschwiegen wird, die der ÖRR fröhlich verbrät. Wir haben ganz vergessen, warum dem ÖRR einst Werbung gestattet wurde. Der Grund war, die Gebühren niedrig zu halten und die Sender mit Freiheit und Verantwortung für Ihre Ausgaben auszustatten. Sie kommen mit dieser Aufgabe von Anfang an nicht klar.
WIR…SIND…NICHT…FREI!
Für den Rundfunk gilt wie für die ÖRR ebenfalls, sie sollen informieren, bilden, unterhalten und nicht belehren, bekehren und politisch auf Linie zu bringen. Ich muß gestehen, bei mir läuft Radio nur in der Küche und das per Internet. Als Norddeutscher habe da den bayrischen Rundfunk an, weil mir NDR und Komplizen einfach zuviel reinquatschen und das auch noch in einem Ton und mit Themen die jeden intelligenten Hörer in die Flucht schlägt. Beim BR läuft Musik nach meinem Geschmack und die Wortbeiträge beschränken sich auf Verkehrs- und kurze Nachrichten die ich ohne Probleme überhören kann. Natürlich könnte man den ganzen Schmonsenz verhökern, wenn sich denn potente Käufer finden was ich für Fragwürdig heiße. Den gesamten ÖRR incl. Radio eindampfen wäre eine Möglichkeit und Vorschlage dafür gibt es zu Hauf. Ich weiss nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll. Zitat G. C. Lichtenberg
Liebe Cora Stephan! Als ehemalige Mitgestalterin öffentlich-rechtlicher Kulturschnarchsendungen steht Ihnen natürlich grenzenloser Optimismus zu. Aber, wer wird den Verkauf des ÖRR zulassen? Nicht nur, weil man damit ein Propagandainstrument aus der Hand gäbe. Vor allem, weil da eine ganze Günstlingswirtschaft zusammenbrechen würde, ach was, eine Günstlingsindustrie. Keine Posten und Pöstchen mehr zu vergeben. Keine hohlen Wichtigtuer mehr in den Redaktionen, die Programme andenken, vordenken, überdenken, umdenken. Kein Herstellungsleiter mehr, der für 10.000 Euro im Monat einmal am Tag eine Rechnung unterschreibt. Kein demokratisch nicht legitimierter Rundfunkrat, in den Parteien, Kirchen und Verbände ihre geschwätzigen Apparatschiks installieren können. So eine Landesrundfunkanstalt ist ein Garten des Nepotismus. Mehr oder weniger entfernte Verwandten blühen und gedeihen an allen Ecken und Enden, wuchern durch die Redaktionsflure, Produktionsgesellschaften und Zulieferer. Das alles wollen Sie verkaufen? Der ÖRR ist doch so etwas wie die BRD im kleinen. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Verkaufen wir die BRD, mit allen Ihren Parteien, Exekutive, Legislative, Juristen und Verwaltungen. Den Erlös teilen wir unter dem Souverän auf. P.S. Ich hatte beim HR mal, zeitlich befristet, eine Kollegin vertreten. Als ich meinen Gehaltszettel bekam, dachte ich erst, die hätten sich verrechnet. Aber dann hatte ich realisiert, das mir das beim HR übliche 13. und 14. Monatsgehalt auf das Gehalt aufgeschlagen wurde. Paradiesische Zustände sind das.
Wie heisst es so schön ? Es ist Nie zu spät für einen Gesinnungswechsel ( so bin ich z.B. mal spontan der Zwangsmitgliedschaft der EKD entkommen ). //°o°\\