Cora Stephan / 29.08.2024 / 12:00 / Foto: Leopold Zielke / 40 / Seite ausdrucken

Toxische Weis(s)heit: Zuhause bleiben!

Die Probleme des Menschen fangen damit an, dass er neugierig auf die Welt ist und ständig irgendwo hin will. Das muss sich jetzt unbedingt ändern.

Schluss mit dem Pessimismus. Glaubt mir: Wir sehen idyllischen Zeiten entgegen. Es geht zurück ins Biedermeier. Mutter sitzt am Küchentisch und schreibt Liebesromane. Vater verteilt im Homeoffice Bußgelder. Der Sohn daddelt im Kinderzimmer, zuletzt war er damit beschäftigt, in einer grünen Hölle zu überleben, in der jeder Farn tödlich sein konnte. 

Die Wohnung verlassen die drei nur, wenn es gar nicht anders geht, was selten der Fall ist. Das meiste lässt sich digital erledigen, Lebensmittel bringt der bewaffnete Lieferdienst. Denn da draußen lauert die Gefahr. Tröstender Gedanke: Was muss man auch hinaus in die Welt, wenn die Welt zu einem kommt?

Prophetisch verkündete der Wuppertaler Polizeipräsident Markus Röhrl nach den Messermorden in Solingen: Jeder müsse mit sich „ausmachen, ob er beispielsweise zu Festivitäten geht, ob er zu Fußballspielen geht, ob er im öffentlichen Personennahverkehr unterwegs ist.“ 

Am besten also, man bleibt zuhause. Das Auto ist längst aus den Innenstädten verbannt. Nur Politiker dürfen noch in gepanzerten Limousinen und mit schwer bewaffnetem Begleitschutz unterwegs sein. Busse und Bahnen sind den Eingewanderten vorbehalten, die man nicht mehr Schwarzfahrer nennen darf, wobei sich manches Problem von selbst erledigt, ein von der Politik mit Erleichterung wahrgenommener Nebeneffekt. 

Flüge ab Berlin gestrichen

Flugreisen sind klimaschädlich – vor allem: wer will uns denn noch an seinen Stränden haben, wo der kleine deutsche Mann und die noch kleinere deutsche Frau den Blick aufs Meer verstellen könnten? Nur die Außenministerin darf an exotische Strände fliegen, am besten mit einer Regierungsmaschine, sie muss ja überprüfen, was der Klimawandel mit fernen Atollen so anstellt. (Nicht viel, natürlich, aber man muss schon mal nachschauen, gell?)

Vorausschauend hat Billigflieger Ryanair 20 Prozent der Flüge ab Berlin gestrichen, das sind 750.000 Sitzplätze weniger, nach einem die Entscheidung fördernden Fußtritt von Seiten der Regierung: Zuletzt wurde zum 1. Mai 2024 die Luftverkehrssteuer um rund 25 Prozent erhöht. Ab Januar wird es noch teurer. Ryanair bezeichnete die einst vom damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble eingeführte neue Steuer als Strafsteuer und einen Angriff auf die Reisefreiheit. Ja, natürlich! Was denn sonst!

Auch die Kreuzfahrt fürs mittlere Budget ist in Bedrängnis. Venedig will keinen der Riesen mehr in seine Nähe lassen, vor der Corona-Pandemie liefen pro Jahr mehr als 500 Kreuzfahrtschiffe Venedig an. Insbesondere zwischen Mai und Oktober fuhren die großen Passagierschiffe durch den vergleichsweise schmalen Kanal von Giudecca, um den Gästen einen uneingeschränkten Blick auf die Sehenswürdigkeiten wie den Markusplatz bieten zu können. Dass das weder für die Fundamente der Stadt noch für das ökologische Gleichgewicht der Lagune gesund ist, lässt sich denken. 

Freuen auf das neue Biedermeier!

Da fragt man sich schon, warum und wofür die deutsche Regierung die Meyer-Werft retten will. Die bauen dort Kreuzfahrtschiffe. Aber ist das noch zeitgemäß? Hat Deutschland ein Interesse daran? Und was wird die EU dazu sagen?  Und was, im übrigen, würde geschehen, wenn sich einmal ein Mann aufs Schiff verirrt, der in der Kombüse ein Messer abgreift? Es hilft alles nichts: Zuhause bleiben, lautet die Devise. 

Und wer könnte das besser als die Deutschen, die sich während der Panikpandemie durch und durch korrekt verhalten haben (bis auf jene, die wir nicht nennen wollen)? Daheimbleiben! Begrüßen wir also das neue Paradies. Bewegung ist nur etwas für Schwurbler, Querdenker, Leugner von diesem oder jenem, kurz: für Sozialschädlinge. Der anständige Bürger freut sich aufs neue Biedermeier. 

 

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.

Foto: Leopold Zielke - Own scan from "Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit" (Early Victorian period. The Invention of Simplicity). Catalogue of an exhibition. Hatje Cantz Verlag Ostfildern. ISBN 978-3-7757-1795-3 (german) and .....-0 (english)., Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Herbert Priess / 29.08.2024

Das erinnerte mich sofort an die blöde Geste mit Armen über seinem Kopf ein Dach zu formen wo ich damals schon sagte, das zeigt den Dachschaden der Leute an.  Ich las irgendwo, daß im Haushalt die meißten Unfälle passieren also von einem sicheren Ort wohl nicht die Rede sein kann.  Wer sich schon mal an einem Deckel einer Konservendose geschnitten hat, weiß wovon ich rede. Früher wurde geworben: Zu Gast bei Freunden, heute sind Touris immer weniger gern gesehen, in vielen Ländern wird gesagt, die Leute sollen kommen, ihr Geld abgeben und wieder abhauen. Barcelona, Venedig, Mallorca ehemaliges 17. Bundesland genannt, treiben die Preise in, für den Otto-Normalverbraucher, unerschwingliche Höhen, was auch abschreckt. In der Türkei sollen ganze Hotelanlagen leer stehen, weil die Preise sich verdoppelt, teils verdreifacht haben. Ich fliege nächsten Monat hin um mal nach dem Rechten zu schauen.

Sam Lowry / 29.08.2024

Hier waren während der Corona-Zeit so oft 3 Haushalte anwesend, dass es bei mir sicher für lebenslänglich reichen würde. Während dieser Zeit sah ich, was die Medien sogar aus den besten Freunden machen können. Verängstigte unwissende beratungsresistente Irre, die zurückzucken, wenn man ihnen zu nahe kommt. Als eine Freundin Corona hatte, habe ich sie hier gepflegt, wohlwissend, dass ich mich dabei auch anstecken werde. 1 Tag Fieber, Ende. Das war es mir wert, es ist schließlich eine Freundin. Für mich würde das leider keiner mehr tun und genau deshalb sitze ich lieber alleine im Garten im Meerwasser-Pool und meide eine Mitmenschen so gut es geht. Daran ist für mich absolut nichts negativ. Ich verzichte gerne. Mein Bedarf an @rschlöchern ist in diesem Leben gedeckt…

Rainer Niersberger / 29.08.2024

So ist es, zumindest als ein Teil der Zukunft zutreffend beschrieben. Ein paar unangenehmere Aspekte koennte man noch ergaenzen. Aber die CDU wird das natuerlich verhindern. Deshalb ist die Wahl der Schwefler voellig überzogen und unangebracht.  Ob der Biedermann in seinem überwachten Zuhause tatsaechlich frei von Unbill bleibt ist noch offen. Vor allem ist die Frage ungeklärt, ob er dieses Zuhause, vermutlich überdimensioniert, behält. Immerhin kommen ja immer mehr Eingeladene herein. Ich vermute, dass Frau Stephan hier nur ein Intermezzo beschreibt, eine Zwischenstation auf dem Weg zum Finale des Sieferle’schen Epochenwechsels. Aber noch einmal: Es gibt fuer den “Konservativen” nicht den geringsten Grund, die Unaussprechlichen zu waehlen.  Die Worte “Hoecke” und ” rechts” duerften genuegen. So etwas wählt der Biedermann nicht. Niemals.  Wir werden den Prozess, das Experiment der Elite, weiter verfolgen. Bis zur deutschesten aller Fragen, wie es denn wieder soweit kommen konnte. Wir werden sehen, wer der Erste ist, der fragt.

Walter Weimar / 29.08.2024

Der Deutsche, neben manchem Westeuropäer, ist es in die Wiege gelegt, zu gehorschen. Schon schlecht über die Obrigkeit zu denken, treibt Schuldgefühle in ihnen hoch. Was gibt es besseres, als die Verordnung bleibt zu Hause, halts Maul, mach’ die Glotze an, dann weißte alles was wichtig ist. Es besteht auch keine große Gefahr die Leute zu Hause zu lassen, wer hat schon noch einen Bücherschrank, vielleicht sogar Billy, mit den Aufklärern der Geschichte und käme in die Versuchung. Das war vor der Wende, Rollo runter, Staat bleibt draußen, innen gibt es Bildung aus dem Buch. Bis ‘89.

Lutz Herrmann / 29.08.2024

Zuhause ist es unerträglich. Meine Frau verzehrt Blaubeeren. Ja, die AfD-Nazis der Natur, vor denen uns Edeka neulich gewarnt hat.

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