Cora Stephan / 17.10.2024 / 10:00 / Foto: pixabay.com / 15 / Seite ausdrucken

Toxische Weis(s)heit: Wir leben in interessanten Zeiten, jawoll!

Die Frankfurter Buchmesse ist mal wieder keinen Besuch mehr wert.

Man nehme das an allen Fronten angegriffene Israel. Immer wieder erstaunlich, wie viele ansonsten als nicht als schrecklich  dumm aufgefallene Europäer das Land des Westens im Nahen Osten hassen. Weil die Israeli Völkermord an den Palästinensern begehen? Deren Zahl im Gazastreifen ist von 0,25 Millionen im Jahre 1950 auf heute über 2 Millionen angestiegen, der Streifen hat die höchste Geburtenrate der Welt. Egal: Der eigene Hass auf den Westen scheint das Narrativ vom völkermordenden Israel zu befeuern.

Was sonst noch los ist? Die Buchmesse, natürlich. Bei der es immer um „Menschlichkeit“ geht, wie Jürgen Boos, der Direktor der Messe, erklärt: „Der Terrorkrieg gegen Israel widerspricht allen Werten der Frankfurter Buchmesse. Bei der Frankfurter Buchmesse geht es immer um Menschlichkeit, im Zentrum steht der friedliche und demokratische Diskurs. Diese Menschlichkeit ist durch den Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel abermals zerbrochen.“

Ich mag das Wort „Menschlichkeit“ nicht. Zur Menschlichkeit gehört nunmal nicht nur Gutes und Schönes, sondern auch das krasse Gegenteil. So ist der Mensch eben: er ist zu beidem fähig, zum Guten und zum Bösen. Aber immerhin: wenigstens die Buchmesse ist bemüht, sich der allfälligen Israelhetze zu enthalten und kündigt Veranstaltungen mit der Schriftstellerin Lizzie Doron und Meron Mendel an, bis 2022 Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Mit diesem Namen verbinde ich meinen letzten Besuch auf der Buchmesse 2017. Damals war Mendel an Protestaktionen gegen die Präsenz rechtsgerichteter und rechtsextremer Verlage beteiligt. (Nicht, natürlich, gegen die Präsenz zahlreicher obskurer muslimischer Verlage). 2017 reservierte die Buchmesse deshalb für die rechten (und extrem rechts gelesenen) Verlage eine Insel der Abgeschiedenheit in einer Sackgasse. Das war lustig, es gab ein wenig Gerangel und viel Polizeipräsenz, doch zum Bücherverbot mochte man sich dann doch nicht durchringen. Immerhin: „Verleger*innen (warben) für eine vielfältige und solidarische Verlagsszene“. „Wir stehen für eine offene Debatte und treten für die Beteiligung und Teilhabe möglichst vieler Menschen an Kultur und Literatur ein.“ Nur rechtsradikale und rechtspopulistische Verlage und Publikationen dürfen nicht „teilhaben“, wer immer definiert, wer das genau ist. Vielfalt und Teilhabe gilt eben nicht für jeden. Deshalb sind auch in diesem Jahr russische Verlage nicht vertreten, egal, ob sie für oder gegen den Krieg mit der Ukraine sind.

In diesem Jahr hat sich die „Junge Freiheit“ gar nicht erst angemeldet, ebensowenig der Antaois-Verlag. Verbellen wirkt! Dafür aber ist die Frankfurter Rundschau dabei! Jubel!

Gut, dass ich nicht kommen werde

Doch hallo: Wird das Gastland Italien nicht von einer „postfaschistischen“ Ministerpräsidentin regiert? Hat man sich etwa an die Anwesenheit rechtsradikaler Kräfte gewöhnt? Fragen über Fragen, auch in der Schweiz.

Ach, ich weiß, warum ich nicht mehr zur Frankfurter Buchmesse gehe. Früher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch heiterer Alkoholkonsum an befreundeten Ständen und viel Klatsch und Tratsch. Heute muss man wahrscheinlich ein Schild mit einem Bekenntnis zur Demokratie und Toleranz hochhalten, wie es ältere Herrschaften auf der letzten Leipziger Buchmesse mit Begeisterung praktizierten. Außerdem wird Kiepenheuer & Witsch, ein Verlag, bei dem meine letzten fünf Bücher erschienen, mit stolzgeschwellter Brust nun das Jahrhundertwerk von Angela Merkel vorstellen, das ausgerechnet „Freiheit“ heißt. Welch Anmaßung.

Gut, dass ich nicht kommen werde. Denn offenbar will man nun auch das Publikum sieben. Feinsinnige Leser und Literaten, womöglich dem ganzen digitalen Quatsch stilvoll abgeneigt, müssen ihr Ticket jetzt online bestellen und mit Kreditkarte oder Paypal bezahlen. Allein das ist schon des Teufels, wo bleibt das Haptische und der nette Kontakt in der Warteschlange am Ticketschalter? Außerdem muss man nun der Weitergabe seiner Daten an alle möglichen Werbebetreiber zustimmen – und wer weiß, an wen noch. „Die Weitergabe an Aussteller steht unter dem Vorbehalt, dass man als Besucher dem Aussteller das Einscannen des auf seiner Eintrittskarte enthaltenen Barcodes gestattet. Mithin bekommt jeder Aussteller, der zum Beispiel bei einer Veranstaltung einen Scanner am Einlass aufstellt, automatisiert alle Daten der Besucher.“ Voll modern!

Endlich ist er da, der durchsichtige Messebesucher, willfähriges Opfer allerhand werbender Übergriffe. Fehlt nur noch die Gesinnungsprüfung.

 

Cora Stephan ist Publizistin und Schriftstellerin. Viele ihrer Romane und Sachbücher wurden Bestseller. Ihr aktueller Roman heißt „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“.

Foto: Buch

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Leserpost

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Volker Kleinophorst / 17.10.2024

Mögest du in interessanten Zeiten leben, ist so etwas wie ein Audre ersten Blick höflicher asiatischer Fluch. Als Deutscher lebt schon seit gut 100 Jahren in diesen Zeiten. Als Journalist spannend, als Deutscher eben nicht so lustig.

Sam Lowry / 17.10.2024

Toxisches Doitscheland: “Jugendgang tyrannisiert Stadt in Bayern zwei Jahre lang – jetzt schlagen Ermittler zu” Nur 2 Jahre? Respekt!

Helmut Driesel / 17.10.2024

  Die Umsätze des deutschen Buchhandels sind sehr konstant bei 9,5-9,7 Mr. E. Das sind etwa 135E pro Leser. Der politischen Polarisierung und dem digitalen Medienterror zum Trotz. Wie machen die das?

Thomin Weller / 17.10.2024

Die größte Ohrfeige und Kasteiung geben sich die Teilnehmer der Frankfurter Buchmesse selbst. 2010 schrieben die Rezensenten der SZ, FAZ, FR zu Guy Deutschers Buch “Im Spiegel der Sprache. Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht” ihr geistiges Vermögen. Die deutsche Kultur und Presse verblödet im affenartigen Tempo und befindet sich in einem offenem Grab. Kultureller Selbstmord ist die konsequentest Art der Selbstkritik.

Susanne Lösch / 17.10.2024

Vor vielen Jahren habe ich mir mal einen Besuch auf der Messe gewünscht. Ist nicht zustande gekommen. Heute denke ich, gut so. Damit will ich nichts mehr zu tun haben.

André Dreilich / 17.10.2024

Sehr bezeichnend auch der gestrige Vorbericht des mdr (aka mitteldeutscher rotfunk). Da wurde massivst gegen Italien als diesjähriges Gastland gehetzt; angesichts der politischen Lage im pöööhsen Italien hätte man das überdenken müssen usw. Besonders schräg: Bei der Gestaltung des Messeauftrittes haben die Italiener einen erkennbaren Bezug zur römischen Antike hergestellt (Wer kann, der kann). Das interpretierte der mdr als typischer Ausdruck einer rückwärtsgerichteten Politik, der Zukunftsvisionen abgehen. #würg

Achim de Jong / 17.10.2024

Produkte, die man nur durch Anfassen oder Begehen, Schmecken, Riechen, Fühlen begreifen kann, müssen auf Messen vorgestellt werden, Bücher nicht. Bücher sind geleimte Stapel bedruckten Papiers, Eines wie das Andere. Da genügt doch eine Leseprobe im Internet. Es ist wie mit Arzneimittelaussttellungen. Da interessiert doch eher der Plausch am Stand, das kredenzte Käffchen, und dass man das eine oder andere Giveaway und Arzneimittelmuster abgreifen kann.

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