Henryk M. Broder / 24.02.2019 / 12:56 / 29 / Seite ausdrucken

Totaaal normaaal!

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt und spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow hielt am 6. Dezember 1897 eine Rede im Reichstag, in der er die deutsche Kolonialpolitik in einem Satz auf den Punkt brachte. „Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“ Zweieinhalb Jahre später, am 27. Juli 1900, schickte Kaiser Wilhelm II ein Expeditionskorps zur Niederschlagung der Boxeraufstände nach China und verabschiedete es mit den Worten. „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen!“

Es waren zwei Reden, die lange als repräsentativ für den deutschen Nationalcharakter galten, noch bevor das Dritte Reich alles Dagewesene übertraf. Zwei Weltkriege, eine 38 Jahre währende deutsche Teilung und 30 Jahre vereinigtes Deutschland später haben die Deutschen in jeder Beziehung abgerüstet. Die Bundeswehr ist eine Friedensarmee, die Kanzlerin redet dem Multilateralismus das Wort und verordnet dem Land eine „Energiewende“, die es in den Ruin treiben wird.

Beim Klimaschutz und bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz will man der ganzen Welt ein Vorbild sein. Ebenso bei der „Willkommenskultur“.

Was ist mit den Deutschen los? 

Eine aktuelle Studie des „Policy Institute“ der „Open Society Foundation“ gibt eine Antwort auf diese naiv klingende Frage. 88 Prozent der Deutschen, so eine repräsentative Umfrage, sind auf „mindestens einen Aspekt der nationalen Identität“ stolz - auf das Grundgesetz, den Sozialstaat, das kulturelle Erbe, die wirtschaftliche Leistung und den technischen Fortschritt. Es folgen der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte, die Toleranz gegenüber Zuwanderern und der deutsche Beitrag zur europäischen Integration. Nur 12 Prozent sind auf gar nichts stolz, nicht einmal auf die militärischen Leistungen der deutschen Soldaten, was freilich auch daher kommen mag, dass danach nicht gefragt wurde.

Die Umfrage zeigt, wie total normal die Deutschen inzwischen geworden sind, friedlich und vernünftig. Aber Vorsicht! Schon Tucholsky wusste: „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.“

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leserpost

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Volker Kleinophorst / 24.02.2019

Soros fragt und schreibt sich auch noch die Antworten? Relotius jetzt bei der “open border (sorry society) foundation”?

Wolfgang Richter / 24.02.2019

Geht’s mit “Die Mannschaft” inzwischen wieder bergauf? Dann wär ja alles gut.

Peter Gruber / 24.02.2019

Zum (Fremd-)Schämen, die Deutschen des Jahres 2018! - Sie sollten jeden Tag dem Herrgott danken, dass Sie Pole sind und damit die guten alten Tugenden der Nordmänner noch genetisch unverändert in sich tragen ... weshalb ist wohl Island Ihr liebster Aufenthaltsort??!!

Gert Köppe / 24.02.2019

Stolz? Stolz kann ich hier schon lange nicht mehr sein. Auf was denn auch? Stolz auf sich manifestierende Dummheit, auf Unbelehrbarkeit, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung, Ignoranz, Trägheit, Feigheit, Duckmäusertum und Realitätsferne, alles was selbst bis in höchste Regierungskreise reicht? Nein, ich bin nicht mehr stolz auf dieses Land und viele seiner Bürger. Die letzten 20 Jahre haben meinen Stolz zerbröseln lassen. Heute schäme ich mich für Deutschland und die Leute, die lieber die Rolle des Untertan beibehalten und mit Kadavergehorsam tatenlos dem Abgrund entgegen fahren. Mein Stolz ist dahin, Gute Fahrt!

Karl-Heinz Vonderstein / 24.02.2019

Die Deutschen sind selbstkritisch ... das ist gut! Sie überteibens aber oft damit, bis hin zum Selbsthass ... das ist weniger gut! Die Deutschen haben einen ausgeprägten Hang zum Perfektionismus ... das spornt an! Sie meinen aber, sie müssten wirklich alles perfekt hinkriegen und meinen weiter , sie müssten in allem die besten und Vorbild sein ... das kriegt keiner hin, auch nicht die Deutschen! Aber was sagt man den Deutschen nicht alles nach: Mangelndes Selbstbewusstsein, Minderwertigkeitskomplex, Arroganz, Überheblichkeit, “German Angst”, mangelnde Selbstliebe, belehrend, besserwisserisch, extrem reagierend, humorlos, steif, temperamentslos, langweilig ... gibts noch was? Für so manche Deutsche (im linken Lager) sind ihre Landsleute auch fremdenfeindlich, rassistisch, antisemitisch, islamophob, homophob und nationalistisch und sogar kriegerisch.

Dr. Peter Müller / 24.02.2019

Die Bundeswehr eine Friedensarmee? Klar - außer wenn sie gerade wegen der Ambo-Pipeline, und um Jugoslawien zu zerstückeln, völkerrechtswidrig Belgrad bombardiert, unsere Freiheit und die Tapi-Pipeline am Hindukusch verteidigt, am Libyen-Krieg und Syrien-Krieg zwecks Regime-Change teilnimmt und in Mali den Franzosen hilft, Uran auszubeuten, daß dann in Gronau weiterverarbeitet wird. Aber sonst: ein Friedensarmee, wie sie im Buche steht.

Albert Pflüger / 24.02.2019

Interessant, worauf man nicht stolz ist: Willkommenskultur, Energiewende, Umweltpolitik, Klimaschutz, Binnen-I. Wie konnte das denn passieren? Warum verweigern wir diesen Stolz? Hat man uns das immer noch nicht gut genug erklärt?

Uta Buhr / 24.02.2019

@Helge-Rainer Decke: Ihre Worte in Gottes Gehörgang. Leider werden Sie nicht recht behalten. Wenn Sie sich einmal die aktuellen Wirtschaftsdaten zu Gemüte führen, werden selbst Sie feststellen, dass sich unsere Wirtschaft nicht erst seit gestern auf Talfahrt befindet. Es droht eine Rezession, die es sicherlich in sich haben wird. Angesichts der Prognosen von Sachverständigen, die diesen Namen angesichts der Schönfärberei unserer Politiker noch verdienen, gehen wir sehr turbulenten Zeiten entgegen, um es einmal sehr euphorisch auszudrücken. Und wenn zu allen jetzt schon anstehenden Problemen die völlig kopf- und sinnlose,  zudem finanziell kaum zu stemmende “Energiewende” noch hinzukommt, dann gute Nacht, Deutschland. Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Wochenbeginn - ab imo pectore.

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