Während sich die Möchtegern-Koalitionäre mit dem BSW in Brandenburg und Thüringen darauf geeinigt haben, wie sie zur Weltfriedensordnung beitragen wollen, eröffnen sich in Sachsen neue Varianten ihres Scheiterns.
In der letzten Woche hatte ich an dieser Stelle schon einmal darüber geschrieben, dass ich eine Koalition von CDU, den Wagenknechten und der SPD in Sachsen für nahezu ausgeschlossen und in Thüringen für kaum realistisch halte. Im letzteren Freistaat könnte es vielleicht zur Duldung einer schwarz-roten Minderheitsregierung durch das BSW kommen, in Sachsen – so meine Einschätzung – dürfte auch das scheitern, und zwar an der CDU. Verfrüht sei es deshalb gewesen, dass die Medienschaffenden diesen neuen Bündnissen schon den Namen Brombeer-Koalition gaben, zumal diese leckere Frucht die Assoziation mit Kooperationen inhaltlich eigentlich völlig inkompatibler Parteien nicht verdient hat. Tollkirschen-Koalition wäre da viel passender. Und die Tollkirsche dürfte als Symbol auch auf das jetzt in Verhandlungen befindliche Bündnis aus SPD und BSW in Brandenburg passen, trotz der nicht ganz so bunten Kombination der politischen Farben.
Gestern blickten die Berichterstatter in dieser Frage vor allem nach Brandenburg und Thüringen, denn dort ging es um Entwürfe zu einer Erklärung zu Krieg und Frieden in der Präambel zum eventuellen Koalitionsvertrag. Ganz so, als würde der Weltfrieden von Verhandlungsergebnissen in Erfurt und Potsdam abhängen, hatten sie hart miteinander gerungen, wie denn die weltpolitisch bedeutsame Friedens-Präambel des jeweiligen Koalitionsvertrages aussehen könnte.
Es ging natürlich nur in der Theorie um Krieg und Frieden, ganz praktisch aber um die Unterwerfungsbereitschaft der Werber um die Gunst von Sahra Wagenknecht. Die hat offenbar das letzte Wort bei allen Entscheidungen in der nach ihr benannten Kaderpartei und erweckte den Eindruck, wenig Interesse an praktischer Realpolitik in Landesregierungen zu haben, bevor nicht in der Bundestagswahl die erwarteten Gewinne an Mandaten eingefahren werden konnten.
So sei sie auch unzufrieden gewesen mit dem Entwurf einer Präambel für den Koalitionsvertrag in Thüringen. Wie deutschlandfunk.de meldete, heiße es dort bedeutungsschwer: „Wir stimmen überein, dass für Frieden und Sicherheit in Deutschland und Europa die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung ist. Wir erkennen aber auch an, dass viele Menschen in Thüringen die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen kritisch sehen bzw. ablehnen.“ Die Landesregierung werde „eine breit angelegte Debatte“ fördern.
Wegweisendes von Thüringer Außenpolitikern
Toll! Politisches Führungspersonal, das Wochen braucht, um solche banalen Feststellungen zu formulieren, soll nun das Land auf sicherem Kurs durch die kommenden Krisen führen? Sie möchten noch eine wegweisende Erkenntnis der Thüringer Außenpolitiker lesen? Bitte sehr: „Wir bekennen uns zur europäischen Friedensordnung und wenden uns gegen jegliche Bestrebungen, mit kriegerischen Mitteln Grenzen zu verschieben. Im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung unterstützen wir alle diplomatischen Initiativen, den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden.“
Das klingt ungeheuer beeindruckend. Auch wenn die Verhandlungspartner feststellen, wo ihre Differenzen liegen: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs“. Oder: „Wenngleich wir hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung ihrer territorialen Integrität und Souveränität unterschiedlicher Auffassungen sind, eint uns das Ziel, eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas mit dem Ziel eines Waffenstillstandes und gerechten, dauerhaften Friedens im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und des Budapester Memorandums voranzutreiben.“
Heute werden nun, nachdem die Hürde des Weltfriedens überwunden ist, in Erfurt Koalitionsverhandlungen beginnen, allerdings begleitet von etwas Donnergrollen der Parteifühererin Sahra Wagenknecht, wie u.a. berliner-zeitung.de berichtet.
„Die Präambel, auf die sich die Verhandler von CDU, SPD und BSW in Thüringen geeinigt haben, bleibt in der wichtigen Frage von Krieg und Frieden leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“, habe sie demnach dem Spiegel gesagt. „Wenn CDU und SPD den Eindruck bekommen, dass das Thüringer BSW sich elementare Positionen wegverhandeln lässt, macht das gute Koalitionsverhandlungen nicht leichter“, so Wagenknecht weiter. „Deshalb war es ein Fehler, sich nicht an dem in Brandenburg gefundenen Kompromiss zu orientieren.“
In dem Text, den die Brandenburger Genossen mit der SPD verhandelt hatten, kritisieren die Koalitionäre auch selbst Raketen-Stationierungspläne. Von konkreten Waffenlieferungen an die Ukraine steht zwar nichts im Text, wohl aber, dass kein Krieg mit Waffenlieferungen beendet werden könne.
Illusionen länger pflegen
Gegenüber dem MDR sagte Wagenknecht allerdings auch zu Thüringen: „Trotzdem werden wir jetzt in Gespräche eintreten.“ Thüringens BSW-Landeschefin Katja Wolf soll zuvor gesagt haben, das Papier sei mit Wagenknecht diskutiert worden. „Zustimmung ist rein formal nicht vorgesehen.“ Hat sie sich in einem innerparteilichen Konflikt gegen Wagenknecht durchgesetzt oder will die Parteiführerin das Koalitionsspiel einfach nur länger spielen?
Immerhin kann in Thüringen die Illusion von einer Tollkirschenkoalition noch ein wenig weiter gepflegt werden, um Zeit zu gewinnen. Zeit haben die Thüringer, zumindest so lange, bis beispielsweise die AfD auf den Gedanken kommt, die Wahl eines Ministerpräsidenten zu beantragen und einen Kandidaten vorzuschlagen. Wenn sie das nicht macht, können die Koalitionsverhandlungen ewig geführt werden. Bodo Ramelow führt dann die amtierende Landesregierung weiter, und die Blicke der Beobachter würden sich demnächst auf Sachsen richten.
Auch dort gerieten die Sondierungsgespräche bekanntlich ins Stocken. Überraschend dabei war, dass das aktuell letzte Störfeuer nicht von Frau Wagenknecht oder jenen CDU-Mitgliedern kam, die inzwischen offen gegen den Brombeer-Kurs der CDU-Landesführung unter Ministerpräsident Kretschmer protestieren, sondern ausgerechnet von der schwächelnden SPD. Die Genossen verkündeten Ende letzter Woche bekanntlich den vorläufigen Abbruch der Sondierungsgespräche, weil das BSW im Landtag für einen Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses gestimmt hatte.
Sachsens SPD kümmert sich zwar schon länger sehr um den Erhalt und die Wacht an der Brandmauer, aber in diesem Punkt war eigentlich klar, dass die Wagenknechte gar nicht anders hätten stimmen können, ohne ihre Wähler gleich am Anfang der Legislaturperiode zu verprellen. Den Corona-Untersuchungsausschuss hatte das BSW selbst im Wahlkampf gefordert, und die Große Vorsitzende hatte ebenfalls erklärt, dass es für sie bei der Abstimmung um Sachanträge keine Brandmauern gäbe, sondern der Inhalt der Anträge entscheidend wäre. Haben die beleidigten Genossen der SPD das vergessen oder glauben sie, dass jeder seine Wahlversprechen nach der Wahl ebenso konsequent ignoriert wie sie selbst?
Nach etwas Aufregung heißt es nun auch in Sachsen, dass die Gespräche über die sogenannte Brombeer-Koalition weitergehen. Aber die durch ihre Unterbrechung aufscheinende Möglichkeit, dass sie auch an der SPD scheitern könnten, ist interessant. Eigentlich glaubte an diese Variante kein Beobachter, denn in Sachsen schreibt die Verfassung bekanntlich Neuwahlen vor, falls der Landtag in den ersten vier Monaten nach der konstituierenden Sitzung keinen Ministerpräsidenten gewählt hat. Und die SPD, die im September glücklich sein konnte, es überhaupt wieder sicher in den Landtag zu schaffen, dürfte am wenigsten Interesse an Neuwahlen haben. Doch offenbar sehen das nicht alle Genossen so.
Kann es die CDU auch allein versuchen?
Für die CDU wäre es ein Glücksfall, wenn jemand anders für sie die Tollkirschen aus dem Weg räumt. Ihr bliebe eine Zerreißprobe erspart. Der SPD-Koalitionsunterhändler Martin Dulig hatte kurz nach dem von ihm betriebenen zeitweisen Abbruch der Gespräche die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass ja auch eine Minderheitskoalition aus CDU und SPD eine Minderheitsregierung bilden könnte. Doch die wäre dann, bei Erhalt der Brandmauer, trotzdem immer auf noch linkere Stimmen angewiesen. Und wenn schon Minderheitsregierung, warum sollte es die CDU dann nicht auch allein versuchen?
Was würde eigentlich geschehen, wenn ein CDU-Ministerpräsidentenkandidat zur Wahl gestellt wird, der dann mit den Stimmen der AfD ins Amt kommt? Oder wenn vielleicht der Freie-Wähler-Einzelabgeordnete und frühere Grimmaer Oberbürgermeister Matthias Berger als Ministerpräsident kandidiert und von der Mitte-Rechts-Mehrheit des Landtags gewählt würde? Wer könnte dann eigentlich dekretieren, diese Wahl wieder rückgängig zu machen? Friedrich Merz? Das wäre wohl nicht so einfach.
Doch das sind natürlich nur Hirngespinste. Zwar würden sich etliche CDU-Abgeordnete gern ihres wenig charismatischen Ministerpräsidenten entledigen, aber niemand wird ihn derzeit offen herausfordern wollen. Für sein Scheitern braucht es erst einen vertretbaren Anlass. Das erneute Antreten mit einer Links-Koalition, wie mit dem BSW, wäre ein solcher. Ein vorheriges Scheitern dieser oder anderer Koalitions- bzw. Duldungsabsprachen ebenso. Sächsische Neuwahlen sind also immer noch eine sehr realistische Option.
In Brandenburg beginnen die Koalitionsverhandlungen jetzt am geräuschlosesten, offenbar auch ohne jedes Störfeuer der Großen Vorsitzenden Wagenknecht. Dort ist eine Tollkirschen-Koalition tatsächlich vorstellbar. Ohne CDU können SPD und BSW auch viel leichter politische Schnittmengen finden. Eine solche Landesregierung täte dem Land zwar sicher nicht gut, aber das spielt in der Polit-Arithmetik auch nur noch eine nachgeordnete Rolle.
Immerhin wäre in Brandenburg eine SPD-BSW-Mehrheitsregierung auch keine solche Beugung des Wählerwillens, wie es die Tollkirschen-Koalitionen in Sachsen und Thüringen wären. Dort wurden starke Mitte-Rechts-Mehrheiten in die Landtage gewählt, und dennoch gibt es jetzt und vielleicht künftig wieder, um der Brandmauer willen, Koalitionen und Bündnisse ohne inhaltliche Übereinstimmungen außer der, dass ohne und gegen die AfD regiert werden muss. Das ist eine Beugung des Wählerwillens, die keine Demokratie längere Zeit aushält, ohne elementaren Schaden zu nehmen.
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.