Eran Yardeni, Gastautor / 11.10.2014 / 14:45 / 7 / Seite ausdrucken

Todenhöfers Sternstunden der Statistik

Jürgen Todenhöfers Kreuzzug zur Rehabilitation des politischen Islams gerät inzwschen in die Dämmerzone des menschlichen Verstands, d.h. in den Swingerclub des Relativismus, in dem Tatsachen und Interpretationen sowie Ursachen und Folgen durcheinander wirbeln.

Unter dem Titel „KAUM ‘MUSLIMISCHER’ TERRORISMUS IM WESTEN“ veröffentlichte der Moralapostel am 5. Oktober auf seiner Facebook-Seite den folgenden Text:

Liebe Freunde, 2013 gab es im gesamten Westen 230 vollendete und versuchte Terroranschläge. Nur 2 davon wurden von Muslimen begangen. In Boston und London. Im Vorjahr waren es 6 von 196. Die meisten der 230 Anschläge wurden, soweit eine Aufklärung möglich war, von Separatisten, Linksextremisten, Rechtsextremisten und extremistischen Protestanten in Nordirland begangen. Anschläge durch Muslime lagen auf dem letzten Platz. Das ergeben die neuesten Zahlen von ‘Global Terrorism Database’, einem von der US-Regierung offiziell geförderten Exzellenz-Zentrum. Eigentlich müssten diese Zahlen nicht von mir veröffentlicht werden, sondern von unseren Innenministern. Das wäre gut für den inneren Frieden unseres Landes. Aber unsere Innenpolitiker betätigen sich lieber als Katastrophen-Staubsauger. Man kann Gefahren auch herbeireden. Zur Erzeugung einer ‘Kultur der Angst’ vor unseren muslimischen Mitbürgern (...)

Diese Angstmacherei nennt Todenhöfer „Gehirnwäsche“, die zur Folge hat, dass „der schlimme Anti-Muslimismus in Deutschland schon heute viel stärker als der genauso schlimme Antisemitismus ist“.

Diese Verteidigungs- bzw. Anklageschrift – es hängt davon ab, wer das liest – ist aus vielen Gründen einfach skandalös.

Das erste Problem liegt in der ‘Global Terrorism Database’. Wer diese Database kennt, der müsste auch wissen, nach welchen Kategorien da Informationen gesucht werden können. Diese sind country, attack type, target type, weapon type, perpetrator, casualties, fatalities, injuries und regions – die konfessionelle Zugehörigkeit des Täters gehört nicht dazu.

Erst dann, wenn sich herausgestellt hat, welche Organisation hinter dem Terroranschlag steckt, kann man daraus etwas über die Konfession des Täters bzw. über die Rolle, die sie bei der Terroraktion gespielt hat, ableiten. Woher Todenhöfer weiß, dass nur zwei Terroranschläge von Muslimen begangen wurden, ist nicht ganz klar. Das ist aber nur das kleinere Übel. Das größere kommt jetzt.

Todenhöfer weist selbst darauf hin, dass seine Statistik sich nur auf die aufgeklärten Fälle bezieht, d.h. auf die Fälle, bei denen unter „perpetrator“ (Täter) nicht „unkown“ (unbekannt) steht. Diese aufgeklärten Fälle sind aber nicht sehr zahlreich. Schlimmer noch: Manchmal weiß die Database nicht, was sie eigentlich wissen müsste. Hier sind zwei Beispiele aus Israel und den USA.

Nach der Database wurde am 13.11.2013 in der nordisraelischen Stadt Afula einen Terroranschlag begangen, der einen israelischen Soldaten das Leben kostete. Der Database ist der Täter („perpetrator“) unbekannt. Dem israelischen Inlandsgeheimdienst ist die Identität des Täters aber wohl bekannt: Es geht um einen Palästinenser, 16 Jahre alt, aus der Nähe von Jenin. Er wurde nach der Tat vor Ort festgenommen – die Geschichte stand in jeder israelischen Zeitung. Nur die Database, auf welche sich Todenhöfer beruft, konnte dazu keine Information finden. Über wie viele andere Täter „im gesamten Westen“ uns die Database gar keine Information liefert, das können wir nicht wissen. Wie viele von ihnen Muslime, Juden oder Christen sind oder was sie motivierte, werden wir niemals erfahren.

Das zweite Beispiel ist ebenso übel. Am 19.4.2013 wurde in der amerikanischen Stadt Watertown einen Terroranschlag begangen. Ein Mann wurde getötet und zwei verletzt. Nach der Database ist der Täter „unknown“, unbekannt. Was war da eigentlich passiert? In diesem Fall musste man nicht lange recherchieren: Es ging damals um die Fahndung nach Dzhokhar and Tamerlan Tsarnaev, die Tatverdächtigen des Anschlags auf das Boston-Marathon. Im Rahmen der Fahndung wurde ein Polizist getötet und der Verdächtige Tamerlan Tsarnaev erschossen. Sein Bruder hat es zwar geschafft zu fliehen, wurde aber später festgenommen. Dieser Vorfall hat keinen Eingang in die Statistik von Todenhöfer gefunden.

Das dritte Problem stinkt zum Himmel: Was meint Todenhöfer mit dem Begriff „im gesamten Westen“? Im politischen Kontext ist der Westen kein geografischer Ort, sondern eher eine Idee. Dazu gehören auch Länder wie z.B Israel, die nicht im geografischen Westen liegen. 

Ich habe mehrmals versucht, mit Hilfe der Suchmaschine der Database auf die Zahl 230 zu kommen, leider ohne Erfolg. Nach den Suchkriterien ist auch nicht ganz klar, wie Todenhöfer zwischen vollendeten und versuchten Terroranschlägen unterscheiden konnte. Das bleibt sein kleines Geheimnis.

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Andreas Rochow / 13.10.2014

Ein gefühltes drittel Jahrhundert währt es schon, dass Herr Todenhöfer erfolgreich beweist, dass man mit verlorenem Verstand seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Eine komische Gesellschaft, in der so etwas möglich ist…  Eine Verhöhnung der Meinungs- und Redefreiheit in einem demokratischen Staatswesen, das sich die Hilflosigkeit gegen seinen Missbrauch in das Grundgesetzt geschrieben hat!

Gunnar Heinsohn / 12.10.2014

Bessere Statistik hier: http://edition.cnn.com/video/data/2.0/video/bestoftv/2014/10/10/exp-gps-1012-take.cnn.html

Werner Geiselhart / 11.10.2014

Gerade kam in den Nachrichten, dass Selbstmordattentäter im Irak mindestens 30 Unschuldige in die Luft gejagt haben, täglich erleben wir die Gräueltaten der IS, die schon tausende ermordet und versklavt haben, in Afrika werden Schulmädchen entführt usw. und diese Pfeife will uns mit nichtssagenden Statistiken von der Friedensliebe des Islam überzeugen. Wenns nicht so traurig wäre und wenn diesem Mann nicht diese mediale Präsenz geboten würde, könnte man ja kopfschüttelnd zur Tagesordnung übergehen. Aber so muss man sich leider mit solchen Menschen beschäftigen, bevor sie die mediale Meinungshoheit erringen. Im ÖR TV bekommt er ja inzwischen genügend Gelegenheit dazu, seine kruden Gedanken unters Volk zu bringen.

Claus Brandstetter / 11.10.2014

Todenhöfer muss man nicht ernst nehmen, er ist ein publicitygeiler Wichtigtuer.

Markus Weber / 11.10.2014

Sehr geehrter Herr Yardeni, wer Israel als ein “Kind” westlicher Ideen sieht, dem möchte ich nahelegen, “Westen” durch “City of London” und das Wort “Kind” durch “Ausgeburt” zu ersetzen. Wir sollten im abendländischen Teil des Westens (von dem sich die anglo-amerikanische Welt irgendwie in letzter Zeit abzukapseln scheint) nicht den Fehler machen, uns die hirnrissigen Konflikte aus den Weltregionen des religiösen Fanatismus bis auf die Fussmatten vor unseren Haustüren heranschleppen und aufnötigen zu lassen. Die sollen das unter sich ausmachen. Und der Boston-Marathon ist als Beispiel fast schon so schlecht wie die Schiesserei auf SandyHook. Das waren höchst zynische Inszenierungen mit zum Teil bluternsten echten Opfern. Die eigentlichen Attentäter dürften eher einen Arbeitsvertrag mit der Firma Craft gehabt als aus Tschetschenien gestammt haben. Ansonsten klar: Todenhöfer verschweigt den islamischen Terror in Europa, der allein darin besteht, dass zahlreiche Muslime sich hier nicht anpassen und an die Spielregeln halten wollen. Sarrazin hat schon recht: Die nach Israel abgezogenen talentierten Osteuropäer wären wahrscheinlich an deren Stelle wesentlich kompatibler. Dafür, dass sie hier auch besser aufgehoben wären, sollten wir sorgen (siehe Christoph Hörstel), auch wenn uns das abverlangen sollte, den assimilations- und aufklärungsunwilligen Rassisten hier klare Kante zu zeigen. Die echte Solidarität mir den vielen Unbescholtenen unter den Juden Israels gebietet es uns, ihnen einen geordneten Rückzug aus einem Staat mit so sehr von allerlei Unrecht durchsetzter Entstehungsgeschichte und mit so sehr kriminellen politischen Eliten zu ermöglichen.

Nino Brown / 11.10.2014

Noch interessanter ist der Kontakt mit Michael Friedrich Vogt bei Quer-Denken TV. Mit der Überschrift; “Jürgen Todenhöfer: Sehnsucht nach Wulff”. Man muss schon ziemlich blind sein, um nicht zu erkennen, dass der scheinheilige Vogt Kontakte zur Rechten Szene hat. Aus der Uni Leipzig wurde er ja gefeuert. Nicht ohne Grund. (SpON, 23.11.2007;  Extremismus-Vorwurf: Uni Leipzig feuert umstrittenen Honorarprofessor).

Maike Fischer / 11.10.2014

Seit 2001 gab es 24000 (bekannte) Terroanschläge von Moslems. Für Todenhöffer bestimmt alles Islamophobe und Lügen und natürlich gar keine Terroranschläge sondern einfach Morde von Verbrechern die sie sicherlich auch begangen hätten wenn sie Buddhisten wären…

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