Vera Lengsfeld / 07.11.2021 / 11:00 / Foto: Pixabay / 13 / Seite ausdrucken

Tod in Venedig bei Arte

Seit ich Luchino Viscontis geniale Verfilmung der Novelle „Tod in Venedig“ zum ersten Mal gesehen habe, ist er mein absoluter Lieblingsfilm. Passend zum Film gibt es nun eine Doku.

Seit ich Luchino Viscontis geniale Verfilmung der Novelle „Tod in Venedig“ von Thomas Mann zum ersten Mal gesehen habe, ist das mein absoluter Lieblingsfilm. Er kam Mitte der 70er Jahre auch in die Kinos der DDR und ich habe ihn wohl ein Dutzend Mal gesehen. Einmal wurden in der Thüringischen Provinz die Filmrollen verwechselt, der Schluss des Filmes wurde in der Mitte gezeigt und die Mitte am Schluss. Wenn die Zuschauer das bemerkt haben sollten, habe ich nichts davon mitbekommen. Sie waren zu tief beeindruckt, um Fragen zu stellen. Ein andermal nahm ich einen hohen FDJ-Funktionär meiner Sektion Philosophie mit in die Vorstellung. Er maulte etwas, warum er sich dieses bürgerliche Zeugs ansehen sollte, nach Venedig käme er ohnehin nie. Ich sagte ihm, er solle sich einfach am Anfang mit Dirk Bogade ins Boot setzen und mit ihm zum Lido rüberfahren. Er tat das anscheinend, denn er löste über die ganze Länge des Films nicht mehr den Blick von der Leinwand. Danach kaufte er sich alle verfügbaren Schallplatten mit Musik von Mahler, dessen Musik den Film kongenial untermalt.

Gestern Abend bei Arte habe ich „Tod in Venedig“ nach Jahrzehnten wiedergesehen. Er zog mich erneut in seinen Bann. Nicht nur das. Ich habe viel mehr in ihm gesehen als früher. So ist das mit zeitlosen Meisterwerken.

Dirk Bogarde als Gustav von Aschenbach hat mich schon damals fasziniert, aber was für ein unerreicht großartiger Schauspieler er ist, weiß ich erst seit gestern. Er kann allein mit seiner Mimik alles ausdrücken, wofür sonst viele Worte gebraucht werden. Er sagt in diesem Film nicht viel, denn er ist in Venedig allein und darauf beschränkt, Tadzio zu folgen.

Die Erleichterung in seinem Gesicht, als er am Bahnhof, wo er in den Zug nach München steigen wollte, um seinem Konflikt zu entkommen, erfährt, dass sein Koffer aus Versehen nach Como geschickt wurde und er einen Vorwand hat, um ins Hotel zurückzufahren. Die erwartungsvolle Freude bei der Überfahrt zum Lido, die scheue Anbetung, die er Tadzio bei den seltenen Aufeinandertreffen entgegenbringt – Bogarde ist auf der Höhe seiner Kunst.

Kein Trauma, aber eine Last

Nur in den Rückblenden hat Bogarde mehr Text. Visconti hat Dialogszenen aus Manns „Doktor Faustus“ eingebaut, in denen es um das Problem der Schönheit, ist sie ein künstlerisches Produkt, oder ein spontanes Erleben und um Musikästhetik geht. Doch auch hier zeigt sich die Zerrissenheit des Komponisten Aschenbach eher in seinen Zügen als in seinen Worten. Dass dieser Ausnahme-Schauspieler nie in Hollywood Fuß fassen konnte, kann nur daran liegen, dass es dort keinen Bedarf an Subtilität gibt.

Dass Arte diesen Film gerade jetzt ausgestrahlt hat, liegt daran, dass kürzlich der Dokumentarfilm „The Most Beautiful Boy in The World“ auf den Markt gekommen ist. Arte hat ihn im Anschluss an „Tod in Venedig“ gezeigt. Björn Andrésen, der von Visconti nach langer Suche in verschiedenen Ländern, auch der damaligen Sowjetunion, in Schweden entdeckt wurde, hat die Rolle des Tadzio kein Glück gebracht.

Im Film nun habe ich gesehen, warum das so gewesen ist. Tadzio wird wie ein Model präsentiert. Seine Auftritte sind eher statisch, auch wenn er Posen einnehmen muss, die einen Michelangelo entzückt hätten. Selbst in den wenigen Auftritten mit anderen Jugendlichen am Strand, wenn er sich balzt oder eine Anweisung zum Bau einer Strandburg gibt, wirkt er eher hölzern. Nur in der Szene, als er glücklich und schön wie ein junger Gott aus dem Meer in die Arme seiner Gouvernante gerannt kommt und mit ihr Fangen spielt, ahnt man das schauspielerische Potenzial Andrésens, das Visconti aber außer Acht gelassen hat.

In der Doku spricht Andrésen davon, wie er nach der Premiere des Films über Nacht zum Star wurde, den Männer und Frauen mit sexuellen Offerten überschüttet haben, mit denen er allein gelassen wurde. Nach einer Pressekonferenz hat ihn Visconti mit in eine Schwulenbar geschleppt, ohne sich anscheinend weiter darum zu kümmern, wie das auf den Jungen wirkt. In einem Interview beteuerte Andrésen, Tadzio wäre kein Trauma für ihn gewesen, aber eine Last.

Als Filmfigur unsterblich

Wenn ich mir den Mann anschaue, der jetzt allein in einer verwahrlosten Wohnung in Stockholm lebt, die ihm weggenommen zu werden droht, weil das Ungeziefer und der Gestank die Nachbarn stören, frage ich mich, ob es sich nicht doch um ein Trauma handelt, das er niemals abschütteln konnte.

Dabei hat er viel getan, um Tadzio zu entkommen. Andrésen hat sich immer mehr als Musiker denn als Schauspieler gesehen. Er wurde in Japan, wohin er sich nach dem Film zurückzog, mit seiner Musik zum Jugendstar, hat später auch in Schweden mit seiner Band Erfolg gehabt und zeitweise ein kleines Theater geleitet. Anscheinend hat das alles nicht bewirkt, aus dem Schatten von Tadzio zu treten.

Als Filmfigur ist er jedenfalls unsterblich, wenigstens, solange es Filme gibt. Der Film ist noch in der Arte-Mediathek zu sehen. Das sollte niemand verpassen.

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S. Marek / 07.11.2021

Ach Frau Vera Lengsfeld, alte Liebe (wenigstens von Ihrer Seite) stirb nie, geben Sie sich ein Stoß, vielleicht klappt es noch ;-)

Peter Bauch / 07.11.2021

Der Film ist ohne Zweifel ein Meisterwerk. Nach meiner bescheidenen Meinung ist die Rolle, die Herr Björn Andrésen in diesem Film spielt ganz sicher die Schlechteste. Er wirkt für mich wie ein Fremdkörper in einem sonst homogenen Ensemble. Egal. Herr Björn Andrésen scheint mir auch in (meinem) Alter noch ein äußerst attraktiver Mann zu sein. Ich bedauere ihn jedenfalls nicht um seine Erfahrungen mit den Frauen in seiner Jugend. Da wäre ich dann jetzt auch gerne ein Messi.

Andrej Stoltz / 07.11.2021

Visconti Teil II: “Nichts einstimmig….die Neinstimmen wurden nicht gezählt”.  Also noch einmal von den Mächtigen hereingelegt. So gehts mir ja auch immer. Ich gehe zu jeder Wahl ins Wahllokal. Und dann kommt jedesmal was ganz anderes heraus als ich abstimmte. Man fühlt sich zu einer immer kleiner werdenden, langsam verschwindenden Minderheit gehörig. Oder ob das wohl alles stimmt mit den Auszählungen ? Beide Viscontifilme, sowohl “Sehnsucht” als auch “Leopard” handeln also von der Abschaffung der, eigentlich gar nicht so üblen, alten Welt und der Entstehung der Neuen Weltordnung. Womit wir ganz aktuell in der Gegenwart wären. Der Fürst und die von ihm gelenkten Politiker werden jedenfalls immer oben schwimmen.  Oder vielleicht liegt auch nur daran, dass so kleine bürgerliche Würmchen wie ich das „Es muss sich alles ändern, damit es so bleibt wie es ist.“ nicht verstehen können. Und das ist es, was mir in Tod in Venedig etwas fehlt. Die übergeordnete, globale Tragödie zusätzlich zur, zugegeben grossartig inszenierten, persönlichen des Aschenbach.

Andrej Stoltz / 07.11.2021

Visconti Teil I: Venedig gibt mir leider nicht mehr viel, seit ich bereits als Kleinkind Ende der 60er und in den 70ern im Zuge des jährlichen Jesolo Badeurlaubs jeweils immer für einen Sightseeingtag von den Eltern dorthin geschleift wurde. Tod in Venedig ist sicher ein grosser Film und Buch von Visconti/Mann, aber ganz ehrlich, solche etwas beschaulich-introspektiven Altherrendramen interessieren mich nicht. Dazu kommt, dass auch ich Bogarde nicht für die Idealbesetzung halte und die späten Viscontifilme sowieso eher schwächer finde. Mir fehlt da auch die Einbettung in das Zeitgeschehen. Die wirklich guten Tragödien sind doch immer in eine übergeordnete Zeitgeschichte oder Sagenwelt eingebettet, das war schon bei Aischylos und Sophokles so. Deswegen sind meine Visconti Lieblingsfilme “Sehnsucht” und “Der Leopard”. Sehnsucht weil es eine wirklich hochemotionale Liebestragödie ist und mit der Altösterreicherin Alida Valli perfekt besetzt. Ok, vielleicht spielt bei diesem Favoriten auch meine Prägung als ewiger Donauraum-Mensch mit hinein. Ebenso hochpolitisch von der Entstehung Italiens handelnd der Leopard. Es vergeht fast kein Tag an dem ich nicht an eine bestimmte Szene aus diesem Film denke: Der Fürst geht an einem Sonntag mit dem Organisten in den verbrannten Hügeln Westsiziliens auf die Hasenjagd. Unten im Ort läuten die Glocken - die Verlobung der reichen Parvenütochter mit dem verarmten Fürstenneffen findet statt. Ohne das Buch gelesen zu haben….hatte der Jagdgefährte nicht selbst ein Auge auf diese Frau geworfen und wird gerade vom Fürsten hereingelegt und mit der Hasenjagd abgelenkt ? Sie diskutieren über die Abstimmung des Beitritts des Königreichs beider Sizilien zu Italien. Der Fürst („Es muss sich alles ändern, damit es so bleibt wie es ist.“) meint die Wahl war einstimmig “JA”, alles bestens. Der Organist: “Nein, ich habe aus Treue zu den Bourbonen mit “Nein” gestimmt. Nichts war einstimmig,

k.mannhardt / 07.11.2021

ich möchte mich bei ARTE bedanken für die Wiederholung dieses wunderbaren Films . Bitte dranbleiben,es gibt noch mehr davon!

Uwe Dippel / 07.11.2021

Tja, Frau Lengsfeld, so geht das manchmal. Man sollte den grossen Regisseuren nie die Stars in die Hände geben. Dabei bin ich gar nicht woke. Aber gerade bei Filmregisseuren gab es viele die sehr verdreht waren. Maria Schneider hat nie überwinden können, was Bertolucci von ihr verlangte. Der ‘Tango’ wurde ein Erfolg, aber auf ihre Kosten. Bis heute bedauere ich das, denn ich hätte mir Bunuels ‘Obskures Objekt’ am allerbesten mit ihr als Conchita vorstellen können. Allerdings war sie schon zu traumatisiert, die Rolle anzunehmen. Nach langem Zögern erst gab es dann die Version mit den zwei Conchitas. Vermutlich gehört eine gewisse Besessenheit zum Metier, und eine Betrachtung der restlichen Welt ausschliesslich durch eine fiktive Kameralinse. Fritz Lang und seine Frau (nein, ich meine nicht Thea). John Ford, was für ein unhygienisches Hinterteil! Stagecoach ist dennoch einzigartig. Das hiess nicht immer, die Schauspieler zu malträtieren. Bunuel war da viel zu schüchtern, als Beispiel. Er liess sich an seinen Ratten aus. Nicht jeder kann kompensieren. Andrésen tut mir natürlich unendlich Leid. Und auch wenn das hart klingt: Ohne ihn wäre dieser Film nicht das was er wurde, was er ist. Sie scheinen sagen zu wollen, Visconti habe das Talent nicht ausgenutzt. Ich sehe das genau anders. Das ‘Modell’, das ‘Hölzerne’ erst macht Tadzio zu dem, was es (er?) für Achenbach ist.

Jens Knorr / 07.11.2021

“...Mahler, dessen Musik den Film kongenial untermalt.” “Schwer erträglich ist allerdings wirklich die Interpretation des Adagiettos, deren sich Visconti bediente. Offensichtlich aus rechtlich-finanziellen Gründen nahm er nicht eine der berühmten Einspielungen zur Hand, sondern ließ sich eine neue Version aufnehmen, deren künstlerische Qualität sehr bescheiden ist und alle Kriterien der genannten Verkitschung erfüllt. Ganz sicher ist, daß seit Visconti der ‘Siegeszug’ Mahlers als Ohrenschmeichler begann.” Jens Malte Fischer, 2003 Wenn der “hohe FDJ-Funktionär” sich die in der DDR greifbare Aufnahme von Mahlers Fünfter mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Vaclav Neumann kaufen konnte, dann ist die Sache ja noch mal gut ausgegangen.

Christa Born / 07.11.2021

Ich habe Bogarde immer für eine Fehlbesetzung gehalten und tue es nach ebenfalls längerer Abstinenz noch immer. Aschenbach ist mir zu weich gezeichnet und Viscontis Tadzio der feuchte Traum vom Loverboy eines alternden Schwulen. Na gut, da liegt er mit Thomas Mann womöglich nicht weit auseinander. Der Film von Visconti ist sicherlich ein eigenständiges Meisterwerk, wird aber Manns Novelle nicht gerecht, woran auch Mahler nichts ändert. Macht nichts, schön, dass es diese Meisterwerke gibt.

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