Es dauerte nicht lange, bis auf den „Dammbruch“ der „Kulturbruch“ und anschließend der „Tabubruch“ folgte. Jan Fleischhauer twitterte, dass sich der Niedergang des Journalismus auch in dem „phrasenhaften Überbietungswettbewerb“ zeige, der in Wahrheit eine „furchtbare Sprachunfähigkeit“ offenbare. Wenn die Journalisten genau so klingen wie die Politiker, liefe etwas schief. Folgerichtig dauerte es nicht lange, bis sich mit Georg Restle und ZDF-Chefredakteur Peter Frey in Bezug auf die Wahl in Thüringen die ersten Medienvertreter nicht entblödeten, von der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und einer „Endstation Buchenwald“ zu fabulieren. Wo in Deutschland nicht im Sinne des linkslastigen Polit-Establishments entschieden wird, ist der Holocaust eben nicht weit. Bei so viel Geschichtsverharmlosung wundert man sich dann auch nicht mehr über den freidrehenden Spiegel, der etwas von einem ersten AFD-Ministerpräsidenten schreibt, den es nicht gibt. Im Kampf gegen das Böse erscheint auch die Methode Relotius wieder legitim.
Die Sorge scheint jedoch nicht unbegründet. Am Abend ziehen die ersten Fackelzüge durch Thüringen. Okay, nicht ganz. Es sind linke Demonstranten, die, ähnlich wie Linken-Chefin Henning-Willsow, das Prinzip der parlamentarischen Demokratie noch nicht ganz begriffen zu haben scheinen.
Viel erschreckender als das übliche Geschrei aus dem linksextremen Lager, das sich bereits gestern für ein paar Drohanrufe bei Thomas Kemmerich nicht zu schade war, sind die Reaktionen der CDU/CSU-Spitze und Teilen der FDP-Führung. Statt die Wahl in Thüringen als Chance für eine neue bürgerliche Politik zu begreifen, lässt man sich abermals vom linken Juste Milieu und seinen Vertretern in den Medien am Nasenring durch die Polit-Manege ziehen. Mut, die Dinge auch einmal gegen den üblich gewordenen linken Widerstand durchzuziehen, existiert schon lange nicht mehr. Und weil man darum weiß, wirft man sich als Linker abermals mit Freude wie ein kleines bockiges Kind auf den Boden.
Von mir aus soll es Neuwahlen geben. Sie werden der AfD in Thüringen weitere Prozentpunkte bescheren. Anscheinend will man es so. Ist es doch genau jener Umgang mit den Rechtspopulisten, diese antidemokratische Hysterie der Medien und etablierten Parteien, die der AfD ihre Trotz- und Protestwähler einbringt. Statt die Blauen links liegen zu lassen (eine Koalition mit ihr wird es ohnehin nicht geben) und die Chance zu nutzen, in Regierungsverantwortung gute bürgerliche Politik zu betreiben, bestärkt man sie in ihrem Opferstatus. Durch den Unwillen der Altparteien, eine Kursänderung vorzunehmen, bestätigt man ihre Wähler in der wahrgenommenen Alternativlosigkeit. Besser hätte es für Höcke und seine Parteikollegen in Thüringen nicht laufen können. Ihre Wähler werden das Kreuz beim nächsten Mal noch etwas fester machen, während Neue, die auch genervt von diesem Theater sind, dazukommen.
Ignoranz, die für viele Wähler mittlerweile unerklärlich ist
Wer bis heute nicht begriffen hat, dass die AfD in erster Linie eine Anti-Establishment-Bewegung ist, der hat es nicht anders verdient. Feststeht: Die wirksamste Methode gegen diese Partei wäre gute konservative und liberale Politik. Aber das erscheint den getriebenen Führungsspitzen der Etablierten als Lösung offenbar zu abgefahren. So lange man dies nicht begreift, wird man den Erfolg der AfD jedoch nicht eindämmen. Man wird ihn mit der eigenen Ignoranz nur weiter befeuern.
Diese Ignoranz, die für viele Wähler mittlerweile unerklärlich ist, hat ihre Ursachen zuvorderst in einer betriebsblinden Polit-Elite, die sich nur noch auf das verlässt, was medial als Mehrheitsmeinung suggeriert wird. Das Problem ist, dass es in Deutschland mittlerweile eine erhebliche Kluft zwischen suggerierter Mehrheitsmeinung und tatsächlicher Mehrheitsmeinung gibt.
Die suggerierte ergibt sich aus dem, was man im engen öffentlichen Meinungskorridor ohne großen Mut sagen darf. Die tatsächliche aus dem, was die Verfechter der Political Correctness zwar unterdrückt wissen wollen, als Meinung aber dennoch nicht verschwindet. Der Erfolg der AfD, die sich daraus ergebende Zwickmühle für die Altparteien, irgendwie mit ihr umgehen zu müssen, resultiert unmittelbar aus dieser Diskrepanz zwischen der suggerierten und der tatsächlichen Meinung. Es sind ihre Wähler, die diese Dissonanz am wenigsten aushalten und – ob nachvollziehbar oder nicht – zur Überzeugung gelangt sind, dass es mitunter eines sehr rechten Korrektivs zur linken Übermacht bedarf, damit Deutschland politisch irgendwann wieder in der Mitte landet.
Genau dieser Plan ging gestern in Thüringen auf. Als die Wahl zwischen einem linksaußen- und einem rechtsaußen-Ministerpräsidenten lag, wählten CDU und FDP einen Kandidaten der Mitte. Wem das nicht passt, weil die Stimmen mitunter aus der „falschen“ Ecke kamen, der offenbart eigentlich nur etwas über sich selbst: Dass er das Extreme der Mitte vorzieht.
Der Journalist, der nach einer Entschuldigung verlangt
Und so ist es wohl nicht der Wähler, vor dem sich FDP und CDU laut hiesigen Medienvertretern erklären müssen, sondern der Journalist, der nach einer Entschuldigung dafür verlangt, dass man gegen seinen Willen agiert hat.
Dabei sollte gerade die Presse mit nüchternen, sachlichen Analysen ein Gegengewicht zur öffentlichen Hysterie und bisweilen grotesker Geschichtsverharmlosung linker Akteure in den sozialen Netzwerken und auf der Straße bilden. Nach solchen Analysen sucht man in Deutschland am gestrigen Tage jedoch vergebens. Dass man wieder einmal bis in die Schweiz schauen muss, um fündig zu werden, zeigt: Wer bis dato immer noch davon ausging, dass wir über eine zumindest in Teilen ausgewogene und um seriöse/sachliche Berichterstattung bemühte Presselandschaft verfügen, wurde erneut eines Besseren belehrt.
Die AfD wird all das nicht aufhalten. Im Gegenteil. Aber wer glaubt, dass ein paar Stimmen dieser Partei für einen Ministerpräsidenten der FDP für ein Viertes Reich mitsamt eines erneuten Holocaust ausreichen, der scheint ohnehin nicht sonderlich überzeugt von der Demokratie, der Gesellschaft in diesem Land und dem eigenen Kampf gegen faschistische Kräfte zu sein. Und so lässt sich das, was wir gestern und in den nächsten Tagen noch erleben werden, einmal mehr vor allem unter linker Selbsttherapie verbuchen.
Fest steht: Es gibt den Verantwortungsethiker, der auf die Konsequenz politischer Entscheidungen abzielt und den Gesinnungsethiker, dem es um die „gute“ Absicht, die vermeintliche Moral hinter der Sache geht. In Thüringen haben sich FDP und CDU für die Verantwortung entschieden. Man kann nur hoffen, dass sie trotz aller Widerstände dabei bleiben. Denn wie sagte der kanadische Philosoph Marshall McLuhan einst so schön über die Moral: Eine Methode, dem Idioten Würde zu verleihen.