Mario Voigt (CDU) wurde nach einem Kotau vor den Linken im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt. Dieses Alle-Parteien-gegen-die-AfD-Bündnis wird der einzig verbliebenen Oppositionspartei aber nur Auftrieb geben. Und dann?
Mario Voigt ist zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen gewählt worden. Gestützt wurde der Landesvorsitzende der CDU neuen Typs von seinen offiziellen Koalitionspartnern, also dem Wagenknecht-Bündnis und der CDU, sowie den mittlerweile halboffiziellen Unterstützern von der Linken. Letzteres sollte eigentlich niemanden verwundern, denn seine CDU war in den letzten Legislaturperioden auch Regierungsstütze und damit halboffizieller Koalitionspartner des bis eben amtierenden linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.
Dennoch wurde erregt darüber diskutiert, ob die Genossen aus der SED-Nachfolgepartei für ihn votieren würden. Bei denen dürfte es weniger Vorbehalte gegenüber Voigt, sondern eher gegen die abtrünnigen Genossen aus dem Wagenknecht-Bündnis gegeben haben. Am Ende hatten sie gefordert, dass es vor der Wahl Vereinbarungen zwischen Koalition und Linksfraktion geben müsse, die es ermöglichen sollen, unter Auslassung der stärksten Fraktion, die immerhin mit 32 von 88 Abgeordneten im Landtag sitzt, Parlament zu spielen.
Gestern Abend sollen sich die Koalitionäre der sogenannten Brombeer-Koalition (Wir nennen dieses Bündnis wegen drohender Rufschädigung für die Brombeere hier ja lieber Tollkirschen-Koalition.) mit der Linksfraktion auf regelmäßige Gesprächsformate geeinigt haben. Auch von der Zusicherung, dass es keine Parlamentsbeschlüsse geben solle, für die eine Zustimmung aus den Reihen der AfD nötig wäre, wird berichtet.
Zwar hätte bis zum Schluss sicher niemand größere Beträge darauf gewettet, aber es war dennoch heute vormittag keine große Überraschung mehr, dass Mario Voigt bereits im ersten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. 51 Abgeordnete haben für ihn gestimmt, obwohl CDU, Wagenknecht-Bündnis, Linke und SPD zusammen über 56 Mandate verfügen. Da es sich um eine geheime Wahl handelte, kann man nur vermuten, ob die Zustimmungs-Verweigerer eher aus den Reihen der Linken oder doch der CDU kamen. Unter Christdemokraten gibt es durchaus etliche, die die Koalition mit dem Wagenknecht-Bündnis missbilligen. Die wagen sich zwar in der öffentlichen Debatte nicht aus der Deckung, aber vielleicht bei einer geheimen Wahl.
Und was ist, wenn die AfD noch stärker wird?
Nun ist mit der Tollkirschen-Koalition unter vereinbarter Linken-Hilfe das entstanden, was man der AfD einst als Propaganda vorwarf, nämlich ein Allparteien-Bündnis gegen die AfD. Die Akteure freuen sich jetzt womöglich, dass sie damit ihre sogenannte Brandmauer gehalten haben. Aber fragt sich keiner von ihnen, was sie damit für die nahe politische Zukunft anrichten?
Welche Folgen hat es wohl, wenn die AfD auf der Parlamentsbühne des Landtags als einzige Partei glaubhaft die Oppositionsrolle besetzen kann? Gerade in heraufziehenden Krisenzeiten, in denen keine Regierung Wohltaten verteilen kann. Eher werden die ungleichen Partner beim Versuch eines gemeinsamen Krisenmanagements von einem Konflikt in den nächsten stolpern. Und die Linke kann, ohne vom Brandmauer-Kurs abzuweichen, nicht richtig in die Oppositionsrolle schlüpfen, ohne dass es automatisch zu Berührungspunkten mit der größten Oppositionspartei kommt. Vom Versuch, um die stärkste Landtagsfraktion herum Politik zu machen, wird nur eine Partei garantiert profitieren: die AfD.
Können die AfD-Ausgrenzer nicht erkennen, dass ihr Kurs die Partei, die sie bekämpfen wollen, bislang nur immer stärker gemacht hat? Warum erwarten sie von einer Fortsetzung dieses Kurses jetzt ein anderes Ergebnis? Was wollen sie denn tun, wenn die AfD noch stärker wird?
Es gäbe sicher die theoretische Möglichkeit, dass sie plötzlich beginnen, politisch jene Kurskorrekturen vorzunehmen, die viele AfD-Protestwähler mit ihrer Stimmabgabe einfordern. Aber irgendwie fehlt einem als Beobachter der deutschen Politik mittlerweile die Hoffnung, dass die Regierungspolitiker solche Signale der Wähler noch verstehen. Bislang haben sie sie weitgehend ignoriert und gehofft, mit ein paar markigen Worten den Unmut der Bürger zähmen zu können.
Oder rechnen die Tollkirschen-Koalitionäre und ihre Unterstützer schon fest damit, dass ihnen die lästige Konkurrenz in dieser Legislaturperiode wegverboten wird? Eigentlich eine irre Vorstellung, aber was kann man heutzutage noch ausschließen? In Thüringen hieße das dann, die stärkste Partei im Parlament zu verbieten, um – wie es sicher heißen würde – die Demokratie zu retten. Mindestens ein Drittel der Wahlbürger dürfte sich in Thüringen dann erst recht ausgegrenzt statt demokratisch mitgenommen fühlen. Darauf kann doch niemand ernsthaft zusteuern wollen.
„Fundamentaler Wandel mit Ansage“
Zumal es schon einigermaßen verrückt erscheint, wenn die CDU an der Brandmauer nach rechts festhält, weil sie die Partei dahinter für anrüchig hält, aber links gar nichts mehr für anrüchig hält, weder die SED-Erben der Linken, noch deren Wagenknechtsches Spaltprodukt. Es gab einmal einen aufstrebenden Thüringer CDU-Politiker, der zu einem solchen Zusammengehen vor zehn Jahren (Ostthüringer Zeitung / Geraer Zeitung vom 30.10.2014, Seite 3), angesichts der damals anstehenden ersten Wahl von Bodo Ramelow zum Thüringer Ministerpräsidenten folgendes schrieb:
„Hier berühren sich Vergangenheit und Zukunft. Zum Wesenskern der LINKEN gehören noch immer tiefe Eingriffe in den Bereich der Gesellschaft und der Wirtschaft: Ein übergriffiger Staat,der sich für klüger hält als die Einzelnen und die vielen widerstreitenden Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. Das unterscheidet die LINKE mit ihren kommunistischen Wurzeln übrigens deutlich von der SPD oder den Grünen - von der CDU sowieso, die den Einzelnen durch Bildung, soziale Förderung und gesicherte Rechte ermöglichen will, an den Früchten einer freien Gesellschaft und Wirtschaft Anteil zu haben. Der Unterschied mag in der praktischen Politik im Augenblick noch graduell sein, langfristig ist er entscheidend.“
Der Autor heißt Mario Voigt und konnte sich damals offensichtlich nicht vorstellen, dass er einmal eine linkslastige Allparteien-Kooperation gegen eine rechte Oppositionspartei unter seiner Führung würde öffentlich rechtfertigen müssen. Seinen damaligen Worten zufolge darf man nicht zu seinen Gunsten annehmen, er wüsste nicht, auf welche Partner er sich da einlässt. Zum Abschluss dieses Kommentars zu Mario Voigt als Ministerpräsident des Jahres 2024 bieten sich deshalb die letzten Worte des zitierten Kommentars von Mario Voigt des Jahres 2014 an:
„Es geht um einen fundamentalen Wandel mit Ansage. Ein Wandel, von dem keiner nachher sagen sollte, er hätte nicht gewusst, worauf er sich einlässt.“
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.