Noch immer ist die Verschleppung von Europäern in moslemische Sklaverei unzureichend im kollektiven Gedächtnis der Welt verankert.
In Doha, in der Stadt der Fußball-Weltmeisterschaft, wurde vor wenigen Jahren ein – nach meinem Wissen – in der arabischen Welt einzigartiges Museum eröffnet. Es heißt Bin Jelmood House und ist dem Schicksal vornehmlich aus Afrika stammender Menschen gewidmet, die als Sklaven in arabisch geprägte Länder Nordafrikas und Vorderasiens verschleppt wurden. Ein mutiges und überaus achtenswertes Vorhaben. Denn auch in Katar spricht man gewöhnlich ungern über die mindestens 17 Millionen Afrikaner – so schätzt zum Beispiel der senegalesische Anthropologe und Wirtschaftswissenschaftler Tidiane N‘Diaye –, die der schwarze Kontinent in den Jahrhunderten des araboislamischen Sklavenhandels verlor. Weder im Bin Jelmood House noch in anderen Museen der Welt wird freilich an die europäischen Opfer jenes Menschenhandels erinnert. Eines davon hieß Thomas Pellow, und was ihm geschah, mag hier als ein Beispiel für viele gelten.
Pellow hatte als Elfjähriger die Lateinschule verlassen müssen, weil er ein widerspenstiger Schüler war und seine Eltern die Schulgebühr deshalb nicht mehr bezahlen wollten. Stattdessen vertrauten sie ihn seinem Onkel, dem Kapitän John Pellow und der von ihm geführten „Francis“ als Schiffsjungen an. Vermutlich wussten sie nicht, was aufsässige Jungen an Bord erwartete: Plankenlaufen, die Bisse der Neunschwänzigen Katze, acht Glasen nachts im Fockmast und viele andere Strafen, mit denen Kapitäne ihre Besatzungen gefügig machten. Nach der Anmusterung verging Thomas Pellow deshalb bald der Kinderglauben an ein freies Leben unter einem großen Himmel oder an ein Mädchen mit rabenschwarzem Haar, das in Genua auf ihn warten würde. Kapitän Pellow behandelte den eigenen Neffen besonders streng, und alles geriet Thomas seither zur Enttäuschung: das Leben auf See und selbst das Mädchen in Genua. Während seiner ersten Reise hatte er Italien und das Mittelmeer gesehen und sehnte sich nun nach dem heimatlichen Penryn (Cornwall), nach dem Wiedersehen mit den Eltern und seinen Schwestern, nach Braten und Mince Pie statt Pökelfleisch und Hartbrot.
Ein Moslem darf jeden Vertrag mit „Ungläubigen“ brechen
Darauf jedoch wird er 23 lange Jahre warten müssen. Doch zunächst schreibt man das Jahr 1715: Mulai Ismail, Sultan von Marokko, hat zuvor einen Vertrag mit Queen Anne geschlossen und zugesichert, seine Korsaren würden künftig britische Schiffe verschonen. Deshalb sind keine Feuerwaffen an Bord der „Francis“, als sich zwei Schebecken nähern – schnelle Dreimaster mit Lateintakelung und in der kriegerischen Ausführung zuweilen mit bis zu zwei Dutzend Kanonen versehen: ein Schiffstyp, der an allen Küsten des Mittelmeeres und Marokkos häufig ist und von den Korsaren Nordafrikas besonders geschätzt wird. Die Bezeichnung Korsaren statt Piraten oder Seeräuber wird übrigens bevorzugt, wenn Raubzüge zur See im Auftrag oder mit der Billigung von Herrschern unternommen werden. So ist es auch hier: Die Schebecken hat Sultan Mulai Ismail ausgesandt, und ihren Befehlshabern ist es gleichgültig, welche Flagge die „Francis“ führt. Denn ein gottesfürchtiger Moslem darf jeden Vertrag mit „Ungläubigen“ brechen. Moslemische Korsaren suchten schließlich schon lange Zeit nicht nur die Küsten des Mittelmeeres, sondern selbst jene von England, Wales und Island heim und trieben dort künftige Sklaven zusammen.
Thomas Pellow und die übrige Besatzung werden bald überwältigt, obwohl die Angreifer weder Kanonen noch ihre Krummschwerter gebrauchen. Der Grund dafür wird auch dem Letzten klar, als er sich angekettet und gemeinsam mit gefangenen englischen und französischen Seeleuten in einem verdreckten unterirdischen Verlies im marokkanischen Salé befindet, in dem er auf den Marsch zum Sklavenmarkt wartet. Mulai Ismail hat befohlen, schonend mit der künftigen Handelsware umzugehen. Jüngere Matrosen werden nämlich – je nach Zustand von Gebiss und Muskeln – für den Gegenwert von 30–35 englischen Pfund versteigert, Knaben kosten mindestens zehn Pfund mehr, und junge Frauen sind niemals unter mehreren hundert Pfund zu haben. Zum Vergleich: Ein in England tätiger Landarbeiter verdient derzeit bis zu 10 Pfund jährlich, ein Handwerker vielleicht 20 Pfund pro Jahr. Allerdings können die Bewacher nicht verhindern, was dann mit den Gefangenen geschieht, die vor Durst benommen, in zerfetzter Kleidung und barfuß zum Sklavenmarkt getrieben werden: „Wir wurden von einer riesigen Menschenmenge umringt, die uns mit den übelsten Flüchen bedachte“, wird Thomas Pellow später schreiben. Es bleibt nicht bei Beschimpfungen, sondern der Mob schlägt auch zu.
Viertausend Frauen und die Karriere beim Sultan
Der gescheiterte Schiffsjunge Pellow trägt sicherlich ein paar Beulen und Schrammen davon, aber er hat Glück. Er wird zunächst in der Waffenkammer beschäftigt und dann in den Hofstaat des Sultans aufgenommen. Man zwingt ihn nicht, wie viele tausende andere Sklaven 15 Stunden am Tag beim Bau der Hauptstadt Meknès (im heutigen Marokko) zu arbeiten. Ein Vorhaben wie aus Tausendundeiner Nacht: Ein arabischer Chronist berichtet von Kasernen für 130.000 der vom Sultan bevorzugten Militärsklaven aus Innerafrika, von Stallungen für 12.000 edle Pferde. Es entsteht eine riesige Stadt mit Moscheen und Palästen, deren Wände Keramikfliesen und Koranverse zieren, mit Pavillons in üppigen Gärten. Ungezählte Menschen werden dabei zu Opfern der ungenügenden Verpflegung, der Krankheiten oder der ständigen Auspeitschungen unter einer Sonne, die Fleisch frisst. Von der Besatzung der „Francis“ ist John Pellow, ihr Kapitän, der erste, der ausgezehrt und krank stirbt. Mehrere Jahrzehnte lang werden Sklaven nun schon auf diesen Baustellen geschunden, und bisweilen lässt Mulai Ismail neu erstandene Mauern niederreißen, zu Staub zerstampfen und an derselben Stelle wieder errichten. „Meine Sklaven“, pflegt der Sultan, dessen Namen heute die Universität von Meknès trägt, dann zu sagen, „sind wie Ratten in einem Sack. Man muss ihn immer wieder schütteln, sonst nagen sie sich durch.“
Thomas Pellow jedoch wird nicht einmal vor Mulai Ismails vergoldete Karosse gespannt, denn die muss bereits von Frauen und Eunuchen gezogen werden. Auch davon besitzt der Sultan genug: Sein Harem beherbergt viertausend Frauen, und wenn dergleichen auch mehr dem Ansehen als dem Gebrauch dient, so verweist der Schriftsteller Giles Milton doch auf Abrechnungen von Steuern, die der jüdischen Gemeinde Marokkos bei jeder Geburt eines Sultanskindes aufgebürdet wurden. Am Ende der langen Regierungszeit von Mulai Ismail (1672–1727) hatte der Sultan demnach 1.200 Nachkommen gezeugt – das Guinness Book of Records gesteht ihm heute allerdings „nur“ 1.042 zu. Nein, Pellow wird kein Arbeitssklave, und man spannt ihn vor keine Karosse. Stattdessen zwingt man ihn, zum Islam überzutreten. In seinen Erinnerungen wird er behaupten, er sei zuvor während mehrerer Monate gefoltert worden, aber so etwas ist im Falle eines verängstigten Kindes von nunmehr zwölf Jahren gewiss entbehrlich. Wie so viele andere Jungen, die im Verlauf der Jahrhunderte nach Eroberungen oder Überfällen moslemischer Angreifer bei der sogenannten Knabenlese ausgesondert wurden, erhält Pellow eine militärische Ausbildung. Solche Militärsklaven sind nicht selten tapferer, glaubenseifriger und grausamer als einheimische Krieger und immer bedingungslos treu – schon deshalb, weil es für sie keinen Weg zurück gibt: Wer zum Islam konvertiert, wird nicht gegen Lösegeld freigegeben, kann weder von christlichen Bruderschaften noch von seinen Verwandten freigekauft werden. Deshalb stammen zum Beispiel viele der am meisten gefürchteten Anführer türkischer und arabischer Korsaren im Mittelmeer aus christlichen Ländern.
Elitesoldat der Schwarzen Garde
Pellow steigt auf zum Elitesoldaten in der Abid al Bukhari, der Schwarzen Garde, einer fast ausschließlich aus Afrikanern bestehenden Sklavenarmee. Er nimmt an Kriegszügen während der in Marokko tobenden Bürgerkriege teil, zum Beispiel an der Niederwerfung eines Aufstandes in der Wüste des Südens. Die dort herrschende Hitze bereitet Schwierigkeiten: Mulai Ismail befiehlt nicht nur, alle männlichen Rebellen zu enthaupten, nachdem sie sich ergeben haben – er will auch ihre Köpfe sehen. „Die stanken so sehr,“ schreibt Pellow späterhin, „dass er gezwungen war, sich mit den Ohren zu begnügen, die alle von den Köpfen abgeschnitten und mit Salz in Fässer gefüllt wurden.“ Thomas Pellow wird während jener Kriege Befehlshaber und führt Sklaven in den Kampf – so auch während eines Feldzuges nach Westafrika, der allein mit dem Ziel geführt wird, Sklaven zu erbeuten. Er heiratet, hat eine Tochter, und seine Bindung an das Land, seinen Herrscher und den Hofstaat wird damit noch enger. Freilich gerät er auch tiefer in höfische Intrigen hinein. Er sieht, wie Würdenträger aus bloßem Verdacht und geringem Anlass umgebracht werden, sieht, wie der Sultan einen der möglichen Thronfolger tötet, als der ihm widerspricht. Das gesamte Palastpersonal vom Fächerträger bis zum Eunuchen trägt die Narben von Mulai Ismails Misstrauen und Wutanfällen.
Das mag später die Ursache zweier Fluchtversuche sein, die Pellow fast den Kopf kosten. Dass es für ihn keinen anderen Ausweg als Flucht gibt, begreift er endgültig, als er während des Aufenthaltes einer britischen Gesandtschaft als Übersetzer tätig ist. Diese Gesandten sind gekommen, um möglichst viele Landsleute freizukaufen. Sie zeigen dabei keinerlei Interesse an der Befreiung von Renegaten, aber Pellow weiß ohnehin, dass man ihn niemals gehen lassen würde, weil das gegen religiöse Gebote verstieße. Überdies, auch das könnte ein Fluchtgrund sein, vermisst er wahrscheinlich die christliche Gemeinschaft, in der er aufwuchs. Es ist wohl nicht nur der Frömmigkeit seiner Leser geschuldet, wenn er in seiner Lebensgeschichte die Ankunft in Gibraltar schildert, bei der die Hafenwache ihn an Bord zurückschickt: „Die Wächter ließen mich nicht an Land und sagten, sie würden dort keinen Mohren dulden, solange sie nicht den Befehl dazu hätten. Mohr! sagte ich, da irrt ihr euch gewaltig, denn ich bin ein ebenso guter Christ wie jeder sonst, auch wenn ich ein maurisches Gewand trage.“
Der Tod der Familie und Heimkehr in die Fremde
Bevor das geschieht, bewegen ihn sicherlich Chaos und Grauen, das Land zu verlassen, in dem Mulai Ismails Nachkommen um den Thron kämpfen. Hinzu kommt der frühe Tod seiner Frau und seiner Tochter, die beide innerhalb weniger Tage sterben. Die Flucht aus Marokko – von Giles Milton nach Pellows Erinnerungen meisterhaft und wie zuvor mit dem jeweiligen historischen Hintergrund beschrieben – verläuft dann fast noch ereignisreicher und dramatischer als alles bisher Erzählte. Ausgeraubt, schwer verletzt und immer wieder nur um Haaresbreite der Entdeckung und dem Tod entgehend, findet Pellow endlich ein britisches Schiff und einen Kapitän, der ihn verbirgt, bis die Korsarenküste am Horizont versinkt. Im Oktober 1738, nach 23 Jahren in sichtbaren und in verborgenen Ketten, wird Thomas Pellow in seiner Heimatstadt Penryn von einer jubelnden Menge empfangen: Eine Londoner Zeitung hat sein Kommen angekündigt. Aber die Eltern erkennen ihn nicht – schon deshalb, weil er sich von einem gewaltigen Vollbart, dem Merkzeichen arabischer Männlichkeit, nicht trennen kann. Erst als sie über gemeinsame Erinnerungen sprechen, vergeht das Gefühl der Fremdheit ein wenig.
Zwei Jahre darauf steht „The History of the Long Captivity and Adventures of Thomas Pellow in South-Barbary. Written by Himself“ in den Auslagen der Buchhändler. Die Arbeit am Manuskript mag dem Autor noch über vieles hinweghelfen. Es wäre schön, nun von künftiger Tätigkeit, von Heirat, Kindern und Enkeln zu lesen, aber da fehlt jegliche Nachricht. Dieses Land und seine Menschen bleiben Thomas Pellow wohl fremd. Ich vermute, man sieht ihn noch viele Jahre einsam am Strand von Penryn – ganz so wie seine deutsche Entsprechung Hark Olufs, von dem erzählt wird, er wandere noch immer in orientalischer Kleidung ruhelos zwischen den Dünen von Amrum umher.
Ohne die Europäer gäbe es die Sklaverei noch heute
Die Geschichte weißer Sklaven endete nicht mit Thomas Pellows Heimkehr. Sklaverei hat es immer und überall gegeben. Sie verschwand meist mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und bestand nur dort – meist als Haussklaverei – bis in die neueste Zeit, wenn ihr überdies eine religiöse Rechtfertigung zufiel: Der Koran empfiehlt die Freilassung von Sklaven, verurteilt aber die Sklaverei nicht. An der Nordküste Afrikas endete sie deshalb erst nach den Invasionen europäischer Mächte. Ostwärts davon, zum Beispiel in Katar, gab es sie bis 1952, in Saudi-Arabien bis 1962. Es gibt sie in Libyen, im Jemen und im Sudan, und sie lebte mit Boko Haram oder mit der Versklavung der Jesiden im sogenannten Islamischen Staat wieder auf. Rassismus, so vermuten Historiker, war dabei keine auffällige Triebkraft. Allein der Umstand, dass die Betroffenen „Ungläubige“ waren, war wohl Anlass und Rechtfertigung genug.
Pellows Erzählung zeigt, welche wirtschaftlichen Vorteile eine Oberschicht von Sklavenhaltern im Küstengebiet von Marokko bis nach Ägypten – nahezu alle waren Vasallen des Osmanischen Reiches – gewann: zum einen Arbeitssklaven, zum anderen Tributzahlungen von Staaten, deren Handelsschiffe nach entsprechenden Vertragsschlüssen verschont blieben. Die USA zum Beispiel zahlten zeitweilig ein Fünftel ihres Staatshaushaltes an die sogenannten Barbareskenstaaten Nordafrikas. Hinzu kamen enorme Lösegelder, natürlich auch für entführte Besatzungen deutscher Schiffe. Sklavenkassen sollten deshalb ausgleichen, was Verwandte sowie kirchliche und öffentliche Sammlungen nicht leisten konnten. So gab es seit 1622 eine Hamburger Sklavenkasse, die zum Beispiel allein zwischen 1719 und 1747 1,8 Millionen Mark Banco, die Verrechnungswährung der Hamburger Bank, für die Freilassung von 633 Seeleuten auszahlte. Die Lübecker Sklavenkasse wurde 1629 eingerichtet und zahlte 1805 das letzte Lösegeld.
Kaum dokumentiert
Aller durch den Handel mit weißen Sklaven erlangte Reichtum diente jedoch vornehmlich einer verschwenderischen Palastwirtschaft, in der die Entwicklung von Wissenschaft und Technik versäumt wurde. Freilich überlieferten Historiker – wie zum Beispiel Salvatore Bono – überdies eine lange Zeit bekannte Tatsache: Auch christliche Korsaren entführten Menschen und verkauften sie als Sklaven. Insbesondere Malteser- und Stephansritter, aber auch ungebundene Korsaren griffen von Muslimen geführte Schiffe an und verkauften die Besatzungen als Galeeren-, Arbeits- oder Haussklaven. So waren beim Bau des Palastes von Caserta – dem Versailles des Südens – mehr als 300 moslemische Arbeitssklaven tätig. Moslemische Diener und Stallburschen gehörten zur Dienerschaft italienischer Höfe, und auch sie mussten zum christlichen Glauben übertreten. Eine dauerhafte wirtschaftliche Grundlage für ein Korsarentum – wie damals in den Maghrebstaaten – hat es jedoch offenkundig nicht gegeben. Stattdessen zeigen die Ruinen der sogenannten Sarazenentürme an den italienischen Küsten noch heute, woher eine ständige Bedrohung kam und wo während mehrerer Jahrhunderte immer wieder der Schrei „A l'armi, a l'armi, li Turchi so arrivati alla marina!“ (Sinngemäß: „Zu den Waffen, zu den Waffen, die Türken sind gelandet!“) erschallte. Die von Nordafrika ausgehende Hatz auf weiße Sklaven endete erst 1816 mit der verheerenden Beschießung von Algier durch ein britisch-niederländisches Geschwader und der Befreiung von mehr als 1.200 christlichen Sklaven. Befehligt wurde der Angriff von Admiral Edward Pellew, einem entfernten Verwandten von Thomas Pellow.
Ungewiss ist, wie viele Menschen vom Handel mit weißen Sklaven betroffen waren. Im Gegensatz zum transatlantischen Sklavenhandel, dessen Umfang sich mit der Hilfe von Borddokumenten, Geschäftsbüchern, Zoll- und Versteigerungsunterlagen annähernd darstellen lässt, sind entsprechende Schätzungen kaum zu belegen. Zudem sind derartige Studien überaus selten. Vermutlich deshalb, weil sie wissenschaftliche Unabhängigkeit voraussetzen und der Vorwurf erhoben werden könnte, eine Untersuchung der Jagd auf weiße Sklaven diene dazu, die Leiden schwarzer und weißer Sklaven gegeneinander aufzurechnen. Der amerikanische Historiker Robert C. Davis hat dennoch durch Schätzungen etwa 1,25 Millionen Opfer ermittelt. Seine Sicht erfasst allerdings nur die unmittelbar an das Mittelmeer grenzenden Landstriche. Während des Osmanischen Reiches sind jedoch insgesamt mehrere Millionen weißer Sklaven aus Ungarn, aus dem gesamten Südosten Europas, also aus Bulgarien, aus den Vasallenstaaten, auf deren Gebiet späterhin Rumänien entstand, aus dem Süden Russlands und aus anderen Regionen in die Türkei verschleppt worden.
Wer schreibt, der bleibt, sagt der Volksmund. Es waren allerdings nicht viele, die in Büchern, Broschüren und Flugschriften von ihrem Schicksal als weiße Sklaven in Nordafrika berichten konnten, nachdem sie irgendwo zwischen Rom und Reykjavik in Gefangenschaft gerieten und späterhin flohen oder ausgelöst wurden. Ich fand – was nicht viel bedeuten will – außer Thomas Pellow lediglich Robert Adams, Emanuel de Aranda, Lorenz Arregger, Eliza Bradley, James Leander Cathcart, Miguel de Cervantes, René Chastelet de Boys, Ólafur Egilsson, John Foss, Hans Nicol Fürneisen, Francis Knight, Johann Michael Kühn, Elizabeth Marsh, Louis Marot, Maria Martin, João de Carvalho Mascarenhas, Andreas Matthäus, Maria ter Meetelen, Germain Moüette, Thomas Nicholson, William Okeley, Hark Olufs, Filippo Pananti, Simon Friedrich Pfeiffer, Joseph Pitts, Wilhelm Friedrich Raun, James Riley, Guðríður Símonardóttir, Balthasar Sturmer, Robert White, Johann Ehrenfried Weishaupt, Johann Georg Wolffgang und bisweilen ganze Familien wie jene der Comtesse du Bourk und ihrer Kinder, von denen nur die neunjährige Marie-Anne du Bourk nach zwei Jahren freigekauft werden konnte. Gewiss hätte es jeder von ihnen verdient, wieder gelesen zu werden.