Thilo Schneider / 28.06.2018 / 07:41 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

Thilos WM-Tagebuch (8)

Endlich endlich. Ich bin genesen. Das WM-Fieber hat jetzt auch mich gepackt. Eine Mannschaft mit Charakter steckt auch einmal eine Niederlage weg, macht den Rücken gerade und wird sich bewusst, was ihre Aufgabe ist. Man setzt sich zusammen, spricht Schwachpunkte an, stellt diese ab und dann geht es aufrecht und ernst ins nächste Spiel. Ja, Schweden hat meine Hochachtung.

Wie die Skandinavier ihre unglückliche Niederlage weggesteckt haben und daraus Konsequenzen gezogen haben – à la bonne heure, die Herren. Und so hallen heute Freudenschreie nicht nur durch die Stockholmer Nacht, sondern auch aus dem Nachbarhaus, in dem meines Wissens ein alter Schwede wohnt. Es riecht nach Kötbulla und es flattert blau-gelb im Wind. Ab heute sind wir alle Schweden. Oder Schweizer.

Ach ja, bevor ich vergesse: Heute ist eine „Mannschaft“ ausgeschieden. Das geht auch vollkommen in Ordnung, denn es erspart lästige Autokordons zu nachtschlafener Zeit, ist integrativ, wirkt bescheiden und niemand muss sich ärgern, weil er in letzter Spielminute noch ein Tor fängt, was ja irgendwie auch unfair ist. Man kann es nicht anders sagen: Joachim Löws Taktik, Brasilien auf jeden Fall im Achtelfinale zu vermeiden, ist voll aufgegangen. Und jeder durfte mal spielen. Auch das war ein feiner Zug von dem Trainer der DFB-Auswahl. Die so gespielt hat, wie ihr Trikot ist – nämlich grau und trist (Sie kriegen das Teil übrigens jetzt mit 50 Prozent Preisnachlass bei Amazon, was ich für einen Putzlumpen ein ganz gutes Angebot finde...).

Oh, ich höre sie schon schreien, die rechten Krakeeler, dass das ja ein Skandal und eine Schmach sei... „Nein“, sage ich, es wäre eine Schmach gewesen, wenn die Nationalmannschaft, immerhin nichts weniger als Weltmeister,  sang-, klang-und kampflos untergegangen wäre. Aber bleiben wir doch bitte ehrlich: Mit dem Bewusstsein, dass sie hier als die besten Spieler Fußballdeutschlands stehen, hatte die bunte Truppe mit den schönsten Haaren der Welt doch nichts am monochromen Trikot. Hier ging es doch auch nicht um Sport, sondern im Grunde um Politik.

konsequentes Handeln im Sinne der Völkerverständigung

Schön bunt sollte sich die Internationalmannschaft geben und so die Vielfalt und das fröhliche multikulturelle Gesicht Deutschlands widerspiegeln. Und das ist ja tatsächlich auch hervorragend gelungen. Da wären Deutschlandfahnen und nationale Symbole doch nur fehl am Platz gewesen und hätten nur wieder zur Identifizierung ewig Gestriger geführt, die ihren teutonischen Siegeswahn gerne mit einem weiteren Stern auf dem im All-inclusive-Bereich  abgetragenen Trikot gekrönt hätten sehen wollen. Nein, Joachim Löw und der DFB sind diesen AfDesken Weg nicht mitgegangen.

Und wer die internationale Spottpresse aufmerksam gelesen hat (So wie ich! Gut, dass ich das hier einmal schreiben darf!), der hat auch die unverhohlene Freude über das emotionale und herzliche Auftreten der „Mannschaft“ bemerkt. Vor allem Holländer, Engländer, Italiener , aber auch beispielsweise die brasilianische Presse flechten Joachim Löw Kränze für sein konsequentes und stringentes Handeln im Sinne der Völkerverständigung. Wohl noch nie in der Geschichte des Sports wurde die Niederlage einer „Mannschaft“ von derart viel internationaler Begeisterung und Sympathie begleitet.

„Der“ stets siegende, hässliche Deutsche ist endlich auf dem Müllhaufen der Fußballgeschichte gelandet, vor der „Mannschaft“ musste jedenfalls niemand Angst haben. Ich vermute sicher nicht zu Unrecht, dass Özils und Gündogans Präsident seinen beiden Lieblingsspielern zu ihrem hervorragenden und selbstlosen Einsatz gratuliert hat, nachdem sie ja traurigerweise nicht an den zahlreichen Autokorsos zu seiner Wiederwahl teilnehmen konnten. Aber vielleicht haben sie ja per WhatsApp gratuliert. Respekt, wer Respekt verdient! Und gerade Özil ist ja auch ein Spieler, der einen Unterschied machen kann. Nur die Richtung des Unterschieds ist gelegentlich unklar.     

Die Anderen wollen ja auch mal gewinnen

Sicher muss man der „Mannschaft“ schon den Vorwurf machen, das Bewusstsein für die Internationalität ihrer bunten Truppe nicht verinnerlicht zu haben. Da  hat doch der ein- oder andere tatsächlich noch sogenannte „deutsche Tugenden“ im Spiel ausgepackt (namentlich seien hier Neuer genannt, der tatsächlich Bälle gefangen hat, oder Reus, Gomez und Kroos, die zumindest ansatzweise versucht haben, das südkoreanische Tor zu treffen) und so versehentlich bei den bislang fußballverwöhnten Deutschen falsche Hoffnungen aufkommen lassen – aber unter dem Torlinienstrich sind die Niederlagen gegen Südkorea und Mexiko vollkommen in Ordnung: Die Anderen wollen ja auch mal gewinnen. Da darf man nicht so egoistisch sein und wichtig ist ja auch die Botschaft und die kam auf jeden Fall an. Bei mir. Und Claudia Roth. Und Angela Merkel. Bei Horst Seehofer nicht, aber der ist ja auch Bayer und damit per se schon irgendwie rechts. Auch, wenn er außer herumfuchteln und drohen auch nicht viel auf der blau-weißen Lichterkette hat.

Tja, wie geht es jetzt weiter? Joachim Löw hat schon sehr tapfer erklärt, dass er für das Abschneiden der Internationalmannschaft „die volle Verantwortung übernimmt“ (wer auch sonst? Ich vielleicht?) und ich meine, mich zu entsinnen, dass ihm Angela Merkel ihre „volle und rückhaltlose Unterstützung“ ausgesprochen hat, aber das verwechsle ich vielleicht mit dem Horst aus dem Innenministerium. Ob Löw jetzt (natürlich den Ball) zurück tritt und den DFB-Granden seinen Vertrag in kleinen Fetzen („a scrap of paper“) vor die Fußballstollen wirft, ist zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Zeilen noch offen, aber eigentlich gibt es dazu keinen Grund.

An ihm alleine hat es ja nicht gelegen und „Weltmeister“ kann er ja, wenn ihm nicht Politik und der gemeinsame Manager seiner Lieblingsintegrierten dazwischen quatschen. Neuer, Müller und Boateng können sich jetzt jedenfalls auf die Saison bei den Bayern vorbereiten, Gündogan kann einen Textilmalkurs belegen, Reus sich ein neues Tattoo stechen lassen („Heimfahrer 2018“), Brandt das neue Gesicht für „Kinder Schokolade“ werden, Bierhoff endlich die Diskussion beenden und Özil und Gomez sich schön durch die Haare fahren, in die sie sich den Titel geschmiert haben.  

Ach, die „Nati“ der Schweiz ist auch weiter, weil sie sich ein 2:2gegen Costa Rica ertrotzt hat, Brasilien hat sich pflichtgemäß ein 2:0 gegen Serbien erstolpert und ich komme nicht umhin, der einzigen Mannschaft mit unter 30 Prozent Ballbesitz zu einem wirklich verdienten Sieg zu gratulieren. Glückwunsch, Südkorea. Gut gemacht. Gute Moral gezeigt. Die Diskussion ist beendet.

Was bleibt sind Fußnoten und Gänsefüßchen. Und ein abgestürzter Kurs für Trikots und Werbeverträge und schwarz-rot-goldene Fußballfähnchen. Bitte ein Bit. Oder lieber ein Terrabyte.     

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Jochen Hensel / 28.06.2018

Angela Löw und Yogi Merkel: solidarisch sein und beide zurücktreten!

Andreas Rühl / 28.06.2018

Auch hier macht sich wieder bemerkbar, dass immer dann, wenn es um tatsächlich Unwichtiges (Spiel) geht, gerade der Deutsche dazu neigt, mit großer Ernsthaftigkeit weitreichende Analogien zu ziehen, Philosopheme auszubreiten, über “Grundsätzliches” zu schwadronieren und so weiter und so fort. Gerade diejenigen, die sich über den Deutschen als solchen aufregen, zeigen übrigens häufig die stärksten Züge dieses verteufelten Nationalcharakters, sind die unangenehmste Emanation des Deutschseins. Das macht auch die Kritik an dem Auswahlteam des deutschen Fußballbundes so ekelhaft. 23 Männer und eine Horde von Betreuern hat versucht, einen sportlichen Titel zu verteidigen. Das ist misslungen, mehr nicht. Es hätte auch gelingen können - trotz Claudia Roth, Merkel und Ergogan, die mit diesem Scheitern nichts zu tun haben. Hätte das Team wunderbar gespielt und wäre ausgeschieden, wäre es übrigens auch eine “Katastrophe” für all diejenigen, die nicht mehr wissen, was Katastrophen sind. Also ist auch die Aussage, dass die Mannschaft “grottenschlecht” gespielt hat, unsinnig. Zählt man die Torschüsse war die Auswahlmannschaft die beste des Turniers bislang. Auch das ist natürlich alles Unfug. Aber eines gilt: Wer sagt, dass “Wir” Weltmeister geworden sind, muss jetzt auch sagen, dass “er” ausgeschieden ist, versagt hat, gescheitert ist. Das geschieht natürlich nicht, weil der Mensch klein und schwach und fehlbar ist, was durch den deutschen Sportjournalisten übrigens verstärkt bewiesen wird, dessen herausragendste Fähigkeit es ist, die allerdümmlichste “Stimmung” der “Fangemeinde” zu verstärken und auszublöken. DAS allerdings kommt mir irgendwie bekannt vor. Nur HIER ist es so, dass letztlich auf dem Platz zählt und wer verliert, auch ausscheidet. In dem anderen Bereich, in dem Journalisten ihr Unwesen treiben, bleiben dagegen alle Versager im Amt.

Heiner Bienemann / 28.06.2018

Aber das kann man doch auch positiv sehen. Immerhin hat “die Mannschaft” die deutschen Nationalfarben nicht beschmutzt / blamiert.

Christian Bangard / 28.06.2018

PS: Danke für den herrlich sarkastischen Beitrag, Herr Schneider!

Christian Bangard / 28.06.2018

Es macht halt einen Unterschied, ob man eine Nationalmannschaft auf’s Feld schickt oder eine Fremdenlegion.

wilhelm schlatter / 28.06.2018

so tönt also deutsche verzweiflung. mehr davon!

Mathias Bieler / 28.06.2018

Irgendwann werden jetzige Nationalspieler gestehen,was für eine Sch…..stimmung in der Mannschaft wegen Ö. und Gü. war. Der von Merkel ernannte Parteisekretär O.Bierhoff wird allen Spielern -Maul halten- befohlen haben.

Heiko Stadler / 28.06.2018

Man beachte die Wortwahl: Löw ist nicht SCHULD an der Niederlage der “Mannschaft”, sondern er trägt die “volle Verantwortung” für die wunderbare Völkerverständigung seiner Versager. SCHULD ist immer nur die AfD!

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