Thilo Schneider / 16.07.2018 / 08:03 / Foto: Pixabay / 12 / Seite ausdrucken

Thilos WM-Tagebuch (12 und Ende)

Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Ich habe gegen meinen Angstgegner nämlich im „Quizduell“ gewonnen! Nach zehn verlorenen Spielen habe ich das erste Mal eine „perfekte Runde“ gespielt und meinen Angstgegner in die Schranken verwiesen. Ungefähr so, als hätte Deutschland (genauer gesagt: „Die deutsche Nationalmannschaft“) Italien (genauer gesagt: „Die italienische Nationalmannschaft“) mit 1:0 in irgendeinem wichtigen WM-Spiel besiegt. Hach – lange ist es her...

Apropos: Die Weltmeisterschaft ist beendet. Die Franzosen dürfen demnächst mit einem zweiten Stern auflaufen. Das kam so: Frankreich (genauer gesagt: Die „Equipe Tricolore“) hat es mit jeder Menge Toren, die zum größten Teil aus Standardsituationen kamen, und einem, nennen wir ihn freundlich „minimalistischen“ Fußball, irgendwie ins Endspiel dieser WM geschafft. Dort trafen sie auf die Kroaten (genauer gesagt: „Die südösterrei...“ – nein. Ich möchte gerne noch weiterleben), die sich jeden einzelnen Sieg verdammt hart erkämpft und erschuftet haben, nicht immer schön anzusehen, aber mit ganz viel Herzblut und Leidenschaft. Es war klar – meine Sympathien an diesem Abend galten den Balkankickern, denen ich es wirklich gegönnt hätte, aber ach... Der Schiri... und der Rasen... Und das Wetter... Das fremde Essen... Die Zuschauer... Die Trikots...

Das Spiel selbst geht ganz munter los, beide Mannschaften mühen sich redlich, kein Tor zu bekommen. Diese Spielweise liegt den Franzosen besser als den Kroaten, die es normalerweise gewohnt sind, einen Rückstand aufzuholen. Deswegen greift Mandzukic tief in die Trickkiste und verlängert einen Freistoß von Griezmann zum 1:0 gegen Frankreich. Die Droge wirkt auch sogleich Wunder, denn sofort fangen die Kroaten an zu stürmen, als ginge es um die Weltmeisterschaft. Das war der nötige Kick Adrenalin, den die Balkanesen so in ihren Spielen brauchen. Die Franzosen hätten gewarnt sein können – waren sie aber nicht und deshalb rasselt es nur 10 Minuten später im Viereck der „Bleus“. Perisic war’s gewesen, der den Frankreichern das zweite Tor der WM eingelocht hat.

Jetzt ist Unentschieden und Kroatien offen. Die Kroaten rennen wie beim Schlussverkauf, und die Equipe wirkt etwas fremdatemlos. In ihrer Verzweiflung reklamieren sie ein Handspiel im Strafraum und bequatschen den des Französischen mutmaßlich nicht mächtigen Schiedsrichter Pitana so lange, bis der sich die wirklich vom Grunde her harmlose Szene gleich zweimal auf dem Videoassistenten zu Gemüte führt. Und dann in der 38. Minute den Elfer für die Franzmänner gibt. Gut, eine „Tatsachenentscheidung“ ist eine Tatsachenentscheidung und ich will den Schiedsrichter nicht kritisieren, aber so bei mir dachte ich, dass das von den französischen Sissis ziemlich unfair war. Aber das ganze Leben ist ja unfair und Griezmann schießt sein erstes und macht sein zweites Tor an diesem Abend, und die Kroaten liegen schon wieder hinten. Was doof ist. Denn die Dosis macht das Gift, und die Kroaten haben heute schon ihren Rückstand aufgeholt, und so geht es dann auch in die Pause.

Vier Hilfskräfte der besten russischen Punk-Band

Man kann es nicht anders sagen: Nach dem Seitenwechsel spielen die Balkanier weiter Fußball, aber die Südengländer oder Nordafrikaner – je nach Sichtweise und Perspektive (und weil ich nicht dauernd „Franzosen“ schreiben will) – treffen besser. Da nützt es den Kroaten auch nichts, dass anscheinend auch die Zuschauer derart begeistert sind, dass sie gleich vier Hilfskräfte der besten ruschiss... russischen Punk-Band aufs Feld einwechseln, die zuerst einmal von den völlig überraschten Ordnern wieder wie Kleingeld eingesammelt werden müssen.

In der 59. Minute schafft es Pogba nach dem ersten Fehlschuss, den Ball endlich einmal aus dem Spiel heraus bei den unglücklichen Kroaten im Tor unterzubringen. Leider zerniert das die kroatische Widerstandskraft, und man merkt regelrecht, dass den rotweißen Kickern jetzt der Geist der Niederlage im Nacken sitzt. Die Pässe werden ungenauer, die Spielzüge so hektisch wie die Räumung eines Standes mit AfD-Werbekulis, der versehentlich vor der Roten Flora aufgebaut wurde. Es geht nichts mehr zusammen, und während die Franzosen recht cool und zufrieden mit ihrer Führung sind, hasten die Kroatinier umeinander. Der Schock ist noch nicht ganz verdaut, als die Equipe Tricolore wie ein Gespenst schon wieder im kroatischen Strafraum auftaucht und Mbappe lässig aus 19 Metern den Ball hinter den unglücklichen kroatischen Tormann Subasic versenkt. Eigentlich wäre es das gewesen. Eigentlich.

In irgendeinem Film hörte ich das Zitat, dass Hoffnung grausam sei, denn sie erhalte den Menschen am Leben, egal, wie mies es ihm ginge. Der französische Keeper scheint ebenfalls den Film gesehen zu haben, denn er erlaubt sich vier Minuten später einen grausamen Scherz mit Mandzukic, dem er den Ball so hinspielt, dass dieser den Anschlusstreffer macht. Und so hätten die Kroaten plötzlich noch 21 Minuten Zeit, den Ausgleich zu schießen. Hoffnung keimt auf, Pandoras Box ist offen. Die Kroaten stürmen, rennen, ackern, kämpfen – die Franzosen schlendern bei ihren Auswechslungen wie auf dem Boulevard, die Einwürfe kommen sehr, sehr langsam – klar: mit zwei Toren Vorsprung haben die Herren ja auch jede Menge Zeit und wozu auch abhetzen, wenn es doch nur noch gegen die Uhr geht...

Der Schlusspfiff ertönt und die Kroaten fallen wie vom kollektiven Blitz getroffen alle um. Es ist wie bei einer dieser Traueranzeigen: Gekämpft, gehofft und trotzdem verloren. Fußball ist eben ein einfaches Spiel. Wer am Schluss mehr Tore geschossen hat, ist der Sieger. Egal, wie er diese zustande gebracht hat. So ist es, und so soll es immer bleiben, und das ist gut so. Gäbe es B-Noten für Haltung und Kür, wäre schließlich die „Mannschaft“ Weltbester geworden. Obwohlich gerne gesehen hätte, wie sich Merkel und Erdogan mit Macron und Putin herzlich auf der Tribüne austauschen. So bekommen die Kroaten Silber, was objektiv ein toller Erfolg ist für Kroatien, und subjektiv können sie sich die Silbermedaille aufs Klo nageln. „Vize“ waren sie auch schon beim Anpfiff, da hätte es keine 90 Minuten Hektik gebraucht. Glückwunsch an Frankreich und ab dafür.

Ach, falls es interessiert und bevor ich es sehr gerne und gleich wieder vergesse: Belgien ist Dritter und England Vierter, und eine Frau Kerber hat in irgendeiner Randsportart gewonnen. Badminton oder Beach-Volleyball. Keine Ahnung...

Schalten Sie also in vier Jahren wieder ein, wenn es heißt: „Die schönsten Frisuren präsentieren Ihnen Bitburger, Coca-Cola und Hyundai!“ Und natürlich Barscheck24. Sonst wäre das ja nicht in Katar. Wir lesen uns dann am 18.12.2022. Bis dann!

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Klaus Peter / 16.07.2018

Nach den Finalsieg gab es übrigens Ausschreitungen quer durch die Republik, weil sich die arabischen Maghreb-Franzosen offensichtlich nicht ausreichend vertreten gefühlt haben in der Mannschaft Multi-Color: nur ein Spieler (Algerien). Ist das nicht irgendwie auch rassistisch? Meine Frau ist übrigens Kroatin. Vielleicht lässt man alle zukünftigen NGO-Rettungsschiffe an der Adriaküste anlegen, dann klappts vielleicht bei der WM 2038? Man muss nur verhindern, dass potentielle jugendliche Talente nicht weiterreisen ins gelobte Land von “Die Mannschaft” (#ZSMMN). Seehofer bitte übernehmen!

Werner Hauck / 16.07.2018

Als Randerscheinungung war zu beobachten, daß manche Spieler durch “Sich-Bekreuzigen” um göttlichen Beistand baten. Selbst das Spielfeld musste da hin und wieder herhalten. Da können wir gespannt sein, wie dieser gute alte Brauch in Katar Verwendung finden wird! Ein Untersagen würde ja zu einer einseitigen Benachteiligung der christlich orientierten Spieler führen!

Dietrich Herrmann / 16.07.2018

So Africa won the FIFA WC.  France World Cup Players 1) Presnel Kimpembe - Congo 2) Samuel Umtiti - Cameroon 3) Paul Pogba- Guinea 4) Kylian Mbappé - Cameroon 5) Ousmane Dembélé - Senegal 6) Corentin Tolisso - Togo 7) N’Golo Kanté - Mali 8) Blaise Matuidi - Angola 9) Steven Nzonzi - DR Congo 10) Steve Mandanda - DR Congo 11) Adil Rami - Morocco 2) Nabil Fekir - Algeria 13) Djibril Sidibé - Senegal 14) Benjamin Mendy - Senegal     Makes you think…...

Otto Nagel / 16.07.2018

Ich bin jetzt auf Schneider-Droge ! 4 Jahre Wartezeit halte ich nicht durch ! Haben Sie doch ein Herz mit mir, wie wäre es mit einem Aufarbeitungstagebuch über unsere DFB-Spitzenkräfte. Letztens sah ich Jogi mit einer Raute vor seiner Brust, was sagt uns das ? ?

Alexander Brandenburg / 16.07.2018

Der ewige Nivea -Grüne Loew wird bis zur nächsten WM sicherlich ein paar neue türkische Fußtreter und aus der Gruppe der uns Bereichernden auch einige Spieler finden, die uns zum WM-Titel in Qatar führen werden. Die Nationalhymne wird bis dahin abgeschafft und durch gemurmelte Koranverse ersetzt sein. Vielleicht gelingt es der Merkel-Crew beim DFB auch, die Qualifikation durch eine moralische und humane Erneuerung des Fußballspiels sowie durch eine Respekt und Anti-Diskriminierung auf dem Platz einfordernde Fußballform zu entwickeln. Ich weiß auch nicht, wie die Mannschaft mit der arabischen Kleidung spielen will, doch lassen wir uns überraschen!

Roland Müller / 16.07.2018

Gegen einen Schiedsrichter, welcher dem Gegner “hilfreich” zur Seite steht, kann man halt nicht gewinnen.

Reinhard Schilde / 16.07.2018

Hallo Herr Schneider, Fußball-WM oder EM sind für mich, als der Anti-Fußball-Fan schlechthin, normalerweise die 4 schlimmsten Wochen des Jahres, in denen ich, dank des Umstandes, in dieser Zeit diesem Thema praktisch nicht entfliehen zu können, da permanent präsent, furchtbar leide. Aber dass Sie mich, mit Ihren überaus witzigen Tagebucheinträgen, zum Lesen Ihres WM-Tagebuches gebracht haben… RESPEKT! Ich hätte nie geglaubt, das einmal zu sagen, aber freue mich schon auf Katar 2022! Bis dahin und beste Grüße aus Sachsen

Frank Mora / 16.07.2018

Das Schönste kam im Nachgang -Die Siegerehrung Nachdem solange gebummelt worden war, bis es “aus Eimern” schüttete, rückten W.P./seine Bodyguards das Rußlandbild, das die begeisterten Tifosi (oder so ähnlich) von ihrer Heimat in die Welt getragen hatten, wieder in die Gerade. Nach mehrstündigem Gewittergrollen war beim Lospladdern nur ein einziger Regenschirm vorhanden. Die anderen, wesentlich kleineren, kamen Minuten später - zuspät - zum Einsatz. Beschirmt wurden nicht der Pokal, die Frau Präsidentin oder der Herr Präsident der Finalisten, sondern eine einzige Person. Eben die einzige wichtige Person, Nicht etwa die Dame (immerhin Staatsoberhaupt) oder der Gastpräsident wurden charmant vorm Durchweichen bewahrt, sonden halbwegs trocken blieb nur… Wegen der Frisur kann es nicht gewesen sein, aber vielleicht ist Botox wasserlöslich. Milliarden haben es gesehen - und sich ihren Teil gedacht.

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