Thilo Schneider / 12.07.2018 / 07:23 / Foto: Pixabay / 14 / Seite ausdrucken

Thilos WM-Tagebuch (11)

Tja... Im Aufenthaltsland der „Mannschaft“ und ihrer Manager und deren Manager und den Managern der Manager herrscht nach wie vor völliges Unverständnis, warum die Spieler alle im Urlaub sind, wo die doch sonst eine Turniermannschaft sind. Philipp Lahm erklärt jetzt, was er gemacht hätte, damit hätten sich dann auch so ziemlich alle ehemaligen Nationalspieler seit Fritz Walter geäußert und sich wieder in Erinnerung gebracht. Außerdem sind die Bayern sauer, weil sich auf einem Werbeplakat von Mercedes zwei statt nur einem Bayern-Spieler finden, denn das macht deren Sponsor Audi traurig. Als ob die Diskussion über das Ausscheiden von Germanys-Next-Sport-Models außerhalb der Werbebranche überhaupt noch jemanden interessieren würde.

Im zweiten Halbfinale der WM standen sich gestern England und Kroatien gegenüber. Schon vor dem Spiel bedeutete dies, dass sowohl Engländer als auch Kroaten auf jeden Fall schon einmal viertbeste Mannschaft des Turniers sind. Für beide schon ein Risenerfolg, denn eigentlich tauchen bei den Turnieren hier die ehemaligen „Big Four“ auf und würfeln das unter sich aus. Aber beide Mannschaften wollten tatsächlich ins Finale und sich den zweiten oder ersten Stern verdienen, und dementsprechend brisant würde die Partie werden. Nahm ich jedenfalls an.

Und behielt recht. Sicher, die Kroaten waren etwas angegrätzt, weil sie vor dem Betreten des Spielfeldes sämtliche Waffen abgeben mussten (was sie im weiteren Verlauf des Spiels durch brutale Handgreiflichkeiten kompensieren mussten), und wahrscheinlich ist es den Engländern nur aufgrund der südösterreichischen verletzten Eitelkeit gelungen, den Kroaten bereits nach fünf Minuten einen einzuschenken.

Andererseits könnte das mittlerweile auch Taktik sein: Die Kroaten drehen erst so richtig auf, wenn sie mit einem Tor hinten liegen und vielleicht haben sie sich auch deshalb überrumpeln lassen, um hier den Zusatzkick Adrenalin zu bekommen, den sie auch gegen Russland hatten. Die Engländer spielen fast schon brasilianisch und sind pfeilschnell und schütteln die kroatische Abwehr ein ums andere Mal durcheinander, weswegen die kroatischen Abwehrspieler wiederum die Engländer durcheinanderschütteln, aber ach...

Alleine – der Ball will und will nicht ins kroatische Tor. Umgekehrt gehen auch die Kroaten ein extrem hohes Tempo und haben genau die gleichen Pechstollen an wie ihre englischen Gegenspieler. Das Spiel ist derart spannend, dass ich, als in der Halbzeitpause das „heute-Journal“ läuft, nur wie durch einen Nebel mitbekomme, dass Trump Zschäpe beim Kosakenzipfel in Brüssel beleidigt hat und Angela Merkel für 15 Jahre ins Gefängnis muss oder so, aber bei einem derartigen Spiel hört man eben alles andere zwischendrin nur mit einem viertel Ohr.  

Zum Trinken wie Pferde am Spielfeldrand

Nach der Pause machen die Kroaten weiter Druck und denken gar nicht daran aufzugeben, zumal es ja nur ein Törchen ist, das sie hinten liegen. Der englische Keeper bekommt jedenfalls mehr zu tun als Seehofer auf einem Grünenparteitag, und irgendwann geht dann auch die kroatische Taktik auf und die Engländer kassieren in einem Moment der Schwäche in der 68. Minute den Ausgleich. Ein Hauch des Russland-Viertelfinales weht durch Moskau. Erst recht, als es keine Mannschaft bis zum Ende der regulären Spielzeit schafft, mehr als Verwarnungen, Fouls und Karten zu kassieren. Das Spiel ist ziemlich ruppig und rustikal, die Kroaten sind allerdings auch nicht gerade als „geschmeidige Fussballästheten“ bekannt. Es geht um den Sieg, der heiligt dann alle Mittel.

Beide Mannschaften gehen ein extrem hohes Tempo, aber die Kroaten haben in der 109. Minute einfach das Quäntchen Glück mehr, und Mandzukic locht bei den Engländern ein. Das Spiel ist ganz großes Kino. Sämtliche Spieler sind so platt wie Pompeji am 25. August 79, immer wieder wälzen sich Spieler verletzt oder mit Krämpfen am Boden oder stehen zum Trinken wie Pferde am Spielfeldrand, aber redlich bemühen tun sich alle. Nur wollen sich die Kroaten diesmal in der Nachspielzeit nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und ins Elfmeterschießen gehen und sind deswegen insgesamt abgekochter als die verzweifelt anrennenden Engländer. Denen nichts hilft.

Manchmal hat der Fußballgott einfach etwas anderes als Fußball vor und entlässt diesmal die Kroaten ohne Elfmeterschießen aus dem Spiel. Die Überraschung ist perfekt. Südösterreich ist wenigstens die zweitbeste Mannschaft der Welt. Wer hätte das vermutet?

Während draußen die Autos sämtlicher kroatischen Gastwirte herumkurven und drinnen die Lokalrunden fliegen, werden in England schon wieder einmal mehr die Fahnen zusammengerollt. Und so sehr ich mich für die Kroaten freue – für die Engländer tut es mir sehr leid. Die müssen jetzt gegen Belgien um den dritten Platz spielen. Und mal im Ernst: Wem würden Sie das gönnen? Nein, nicht einmal den Engländern. Oder wissen Sie noch, wer der dritte Mann auf dem Mond war? Oder Dritter bei der WM 2014? Also!

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Richard Kaufmann / 12.07.2018

Weder die Engländer noch die Kroaten sind die vierbeste Mannschaft der WM. Das, was beide gestern gezeigt haben, war von sehr bescheidener spielerischer Qualität. Die ohne Adressat geschossenen Mondbälle der Engländer, die oft sinnlos brutale körperbetonte Angriffslust der Kroaten, beides hat mit Fußball, so wie wir es einen Tag zuvor in der anderen Halbfinale erleben durften, wenig zu tun. Eigentlich sollten beide “Mannschaften” nach Hause fahren oder ins Land der Verlierer kommen.

Alex Meier / 12.07.2018

Jetzt fehlt nur noch eine Daumendrückempfehlung von den Grünen gegen Kroaten. 1. Wegen der Vergangenheit als Alliierte des Dritten Reichs und 2. weil Kroatien die einzige Mannschaft im Halbfinale war, die komplett unbunt, also ohne Spieler mit Migrationshintergrund auskam. Die dürfen einfach nicht gewinnen! Das wäre ein verheerendes Signal gegen die Vielfalt. Die Heimatliebe der Kroaten, aus der sie ihren Kampfgeist schöpfen, würde womöglich missinterpretiert werden und das westeuropäische Erfolgsmodell à la Özil und Gündogan in Zweifel setzen. Damit da nichts schief geht, sollte die FIFA am besten einen Schiedsrichter aus der französischen Schweiz pfeifen lassen.

Hans-Peter Hammer / 12.07.2018

Auch wenn man die 2.., 3., 4., gern vergißt! Eine Lanze für die “Verlierer”! Ohne sie gäb’s auch keine Sieger!

Heiner Hardschmidt / 12.07.2018

Wer die Nationalhymne nicht mitsingt gehört auf die Bank. Wer anstelle der Nationalhymne - immerhin eine Art gemeinsames Gebet vor dem Spiel - ein islamisches Gebet spricht (oder in sich reinmurmelt?), der gehört nicht in die Nationalmannschaft. Andererseits ist es ja nicht mehr die “Nationalmannschaft” sondern die “Die Mannschaft”. Gut vorgebaut, Bierhoff.

Arno Besendonk / 12.07.2018

Die Niederlande waren die Dritten der Fussball WM 2014 und Pete Conrad war der dritte Mann auf dem Mond, weiß man doch!!! ;-))

Maria José Blumen / 12.07.2018

Philipp Lahm hat vollkommen recht: Es muss klare Regeln für die Spieler geben. Solange wir noch keine transnationale, multikulturelle Fussball Weltmeisterschaft haben bei der wir die Tore ganz abschaffen damit keiner mehr verlieren muss und der Torwart stattdessen als Koch in einer neu geschaffenen Grillzone Spezialitäten aus aller Welt zubereiten darf, die die Spieler die vielleicht eine kleine Pause einlegen wollen (wie die deutsche Mannschaft das ja schon einmal vorzelebriert hat bei dieser WM) dann nach Lust und Laune auf eigens aufgestellten Partybänken verdrücken könnten - solange wir mit dieser neuen, menschlicheren Art des Fussballspielens noch nicht so weit sind, schlage ich folgende Regeln vor: 1. In der deutschen Nationalmannschaft darf nur noch spielen wer exakt EINEN Pass besitzt, nämlich den deutschen (so wurde dies kürzlich in der Schweiz angedacht) 2. Wer in der Nationalmannschaft spielt muss die deutsche Nationalhymne zumindest im Wortlaut kennen und verstehen. Das musikalische Talent der Spieler könnte getestet werden und wer die Melodie Haydns auch nach mehrmaligem Vorspielen nicht so performen kann dass man das anderen Menschen zumuten kann, der darf wäḧrend des Singens nur die Lippen bewegen - aber ein Lippenbekenntnis muss wenigstens sein. 3. Nationalspieler dürfen sich in ihrer aktiven Zeit mit KEINEM Politiker zeigen., weder mit innländischen, noch mit ausländischen. Die einzige Ausnahme ist, wenn eine Meisterschaft gewonnen wird, egal ob Welt-, oder Europa (oder dieses andere Ding was kürzlich unsere Nachwuchstalente geholt haben). Sollte dies jemals wieder gelingen dann darf man sogar Frau Merkel die Hand wieder schütteln. Wem noch mehr Regeln einfallen, der soll sich melden.

Esther (Stella ) Burke / 12.07.2018

Aber echt,  wenn BBC (Auntie Beeb) auf keinem Kanal das Spiel senden konnte(wollte) (hätten gerne die englische Übertragung gehört) und kein Royal - nirgends- sich blicken ließ  (3rd man Harry, where were you ?? ) - was soll man da sagen ?

Jürgen Keil / 12.07.2018

Ich stimme mit Frau Lengsfeld überein: Ihr Kommentar vom 10.7.18 (Wenn der Özil sich aber als Türke fühlt, liebe Leute, was dann?) Özil fühlt sich offensichtlich als Türke. Muslim ist er allemal. Was ist daran schlecht? Ich fühle mich auch als Deutscher, bin allerdings Agnostiker. Beide haben wir keine Schuld daran, dass wir in Deutschland geboren sind. Von ihm wird gefordert, dass er sich als Deutscher verhält und gefälligst die Nationalhymne (oder heißt das jetzt nur noch Hymne: man ist ja schon so verwirrt) mitsingt und ich bin ein böser Nationalist. Warum? Weil es für mich einen Unterschied gibt zwischen einen Menschen mit deutschen Paß, also einen deutschen Staatsbürger und einem Menschen mit deutschen Nationalgefühl, also einen Deutschen. Natürlich kann man auch beides sein. Lasst uns also doch Beide fühlen, was wir wollen. Ich würde allerdings nicht für die türkische Nationalmannschaft spielen; auch nicht für viel Geld!

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