Thilo Schneider / 15.06.2018 / 11:08 / Foto: Pixabay / 14 / Seite ausdrucken

Thilos WM-Tagebuch (1)

Endlich. Endlich ist es so weit. Die Leistungsmesse des internationalen Fußballs hat begonnen. Ich fiebere diesem sportlichen Großereignis ja derart stark entgegen, dass ich Frostbeulen bekommen habe. Sicher, früher, als Kind und junger Mann, da war das eine Sensation, wenn Fußball-WM war. Wochenlang vorher wurden Sammelalben beklebt und Sticker getauscht, ein nebenbei gutes Training für eine spätere Kaufmannslehre oder als Drogendealer am Bahnhof. Später habe ich dann die Plätze fürs „Public Viewing“ ausgekundschaftet, Spielpläne gesammelt und penibel ausgefüllt und spätestens seit den „Sommermädchen“, bitter erkauft von einem nicht näher genannt werden wollenden Mitglied des DFB, Vollbeflaggung für die Autoflotte der Familie befohlen.

Dieses Jahr… ist mehr so „pffft“. Ja, sie spielen wieder, aber vielleicht liegt es daran, dass es ja keine Nationalmannschaft mehr in Deutschland gibt, sondern nur noch eine „Mannschaft“. Die, das darf immerhin noch nicht ganz positiv bemerkt werden, nur aus Herren und nicht aus Damen oder einem der anderen dreiundzwölfzig sozialen Geschlechter besteht. Sonst hieße es ja auch nicht „Mannschaft“, sondern „Frauschaft“ oder „Genderschaft“. Oder, global, „Menschen“. Oder ich bin einfach alt. 

Wenn es also stimmt, dass sich der (West-)Deutsche über Wirtschaftswunder, Weltmeister und D-Mark identifiziert (hat), dann hat die Kanzlerin der Herzen schon das Wirtschaftswunder und die D-Mark kassiert – und indirekt die Nationalmannnschaft auch. Denn „national“ ist böse, wie wir ja alle wissen und führt stante pede zu Überfällen auf Polen und Holocaust. Immer noch. Immer wieder. Auf jeden Fall aber in Deutschland.

Aber ich schweife ab. Es geht ja um Fußball. Und nicht um Politik. Das sind zwei völlig unterschiedliche Sachen.

Die Messi der Ballheroen ist dieses Jahr in Russland. Das haben wir schon ´42 nicht geschaf… verdammt. Entschuldigung. Schon wieder. 

Frauen mit Plüschfußbällen auf dem Kopf

Bevor es also los geht, darf Phillip Lahm in der ARD ein bisschen vor sich hinexeperteln, natürlich werden Gündogan und Özil bedauert, die nach wie vor für ihre völlig unpolitischen Freizeitaktivitäten von rassistischen Fußballfans via Pfiffen in den Kickschuhschnürsenkel gestellt werden und es wird gemahnt, was das Zeug hält. Wichtig ist jetzt die Mannschaft und nur die Mannschaft. Löws Mission „Titelverteidigung“ ist nämlich schwer, obwohl Italien dieses Jahr gar nicht dabei ist. 

Die Eröffnungsfeier ist recht launig, Wladimir „Dracula“ Putin spricht ein paar stolze Worte, dann tanzen Frauen mit Plüschfußbällen auf dem Kopf zu Robby Williams, und die als Sidekick gebuchte Co-Moderatorin der ARD (keine Ahnung, wie die heißt und ich bin zu faul, das nachzugucken, weil die so unwichtig ist) macht ein paar Bemerkungen, die, hätte sie ein männlicher Kollege gemacht, zur sofortigen medialen Enthauptung geführt hätten. Kostprobe gefällig? Okay:

„Die Stadt (Moskau) ist für russische Verhältnisse sehr sauber.“ Weil er nämlich sonst so ein Dreckspatz ist, der Russe, und seinen Kram herumliegen lässt. Kennt man ja. Klingt da etwa Rassismus durch?

„Robby Williams sieht viel besser aus, als ich erwartet hätte.“ Oh, wenn eine Frau Männerkörper beurteilt, dann ist es nicht #metoo? Sieh an. Gut, so sind sie halt, die Frau… upps…

Dann ist es endlich, endlich so weit: Das erste Spiel der Vorrunde harrt meiner. Russland als Gasgeber (Obacht: kein Schreibfehler, lieber Redakteur) gegen Audi-Arabien als Ölgeber. Rohstoffland gegen Rohstoffland. Ein Knaller. Ein Klassiker. Über die russische Nationalmannschaft wird eher unter sportlichen, denn politischen Aspekten diskutiert. Obwohl sich die komplette russische Mannschaft mit Wladimir Putin hat fotografieren lassen. Aber das juckt in Russland keinen. Die sind deutlich entspannter als die Fans in Deutschland.  

Götzen habe ich selbst genug

Es geht ganz munter los, bereits nach 12 Minuten landet der Ball zur Verblüffung der Wüstensöhne hinter dem arabischen Keeper, irgendein Gaszinsky oder so (wie hätte er auch sonst heißen können?) hat die armen Araber kalt erwischt. Die geben sich in der Folge redlich Mühe, kommen aber gegen die vielleicht normalerweise nicht ganz so reinlichen Russen lediglich auf den zweiten Gegentreffer durch Cheryshev kurz vor der Pause. Interessanterweise sieht das russische Spiel gegen die Araber viel lockerer als das Gezappel der Internationalmannschaft gegen die gleiche Mannschaft aus. Dafür erfahre ich im ARD-Live-Stream von Löw in der Pause, dass das nicht „der Mario Götze ist, den wir uns alle wünschen“. Ich wünsche mir aber gar keinen Götze. Ich brauche derzeit keinen. Götzen habe ich selbst genug.

„Die Gegner Ägypten und Uruguay werden nicht leichter“ erklärt mir Tom Bartels den Grund, warum sich der Iwan so gegen den Ali Mühe gibt. Was mich jetzt doch etwas verblüfft. So, wie Putin immer dargestellt wird, hätte ich vermutet, dass sich die russischen Spieler bei einem vorzeitigen Ausscheiden wieder in unmarkierten Uniformen an der Ukrainefront finden. Was ich übrigens eine coolere Motivation finden würde. Es ist aber auch traurig. In der zweiten Halbzeit verstolpern die Arabarabarber Pass um Pass, und ich vermute, das hängt damit zusammen, dass sie grüne Trikots tragen und somit auf dem Rasen schlicht füreinander unsichtbar sind. Da haben es die pommesschrankenfarbenen Russen natürlich einfacher. 

Insgesamt wird das Spiel jetzt merklich flacher und zerfahrener, und die Russen fangen an, auf Ergebnis zu spielen.  Auf der Tribüne unterhalten sich Putin und der arabische Kronprinz, was sollen sie in dieser Halbzeit auch sonst tun? In der 71sten Minute schießt Dzyuba noch ein Tor und während die gedemütigten Araber versuchen, sich langsam in die Kabine zu spielen, setzen die Russen noch ein 4:0 und ein 5:0 in der Nachspielzeit quasi als Abschiedsgruß hinterher. Und so wird aus der arabischen Niederlage ein Desaster. Der Kronprinz sitzt starr und macht dann lieber doch keine Geschäfte mit Russland, und die Russen haben einmal mehr bewiesen, dass man alles darf – nur sie nicht unterschätzen. 

In der Werbung wird für Risikolebensversicherungen geworben, und das dürfte das sein, was die arabischen Spieler derzeit am Meisten brauchen.

Ich schalte den Fernseher ab, winke dem russischen Nachbarn auf der anderen Seite des Blocks, der mit freiem Oberkörper eine Russlandfahne schwenkt und wünsche ihm ein fröhliches Sa sdorowje. So – und nur so gehört sich das. Prost

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C.Anton / 15.06.2018

Vorschlag: “Menschen- die- in-diesem-Land-leben- Schaft”  Oder: ” Das Team aus dem Land, dass früher Deutschland genannt wurde”

Karla Kuhn / 15.06.2018

“....gegen die vielleicht normalerweise nicht ganz so reinlichen Russen l”  Wer selber genug Dreck vor der eigenen Türe hat, sollte den erst mal wegkehren ehe über andre hergezogen wird. Als ich vor 43 Jahren in dn “goldenen Westen” gekommen bin, waren die öffentlichen Verkehrsmittel, die Straßen, die Parks, etc. noch schön sauber. Die Verkäuferinnen waren meist freundlich und hilfsbereit. Wenn ich heute in die S Bahn steige, frage ich mich, wann die das letzte Mal geputzt wurde (jedenfalls bei vielen) Von vielen Straßen ganz zu schweigen. Damals gab es auch an jeder Ecke einen Abfalleimer, heute kann ich fast im Minutentakt sehen, wie die to go Pappbecher auf den Gehwegen oder im Gebüsch landen, wie die Hamburger Dosen(Plastik oder Pappe?) nachfolgen.  Außerdem habe ich das Gefühl es werden Meisterschaften im auf den Gehweg spucken veranstaltet. Schöne neue Welt. Da winke ich auch lieber meiner russischen, sehr freundlichen Nachbarin zu, die sich tag-täglich im Altenheim (Neusprech “Seniorenresidenz) um kranke und demente Menschen mit viel Liebe abmüht. Und ich glaube nicht, daß sie das verdient, was sie für diese Arbeit verdienen müßte. Übrigens ist sie eine sehr “reinliche Russin !”  Es lebe das Vorurteil.

Reinhard Lange / 15.06.2018

Sagen Sie dem Russen lieber “Na sdarowjie”, wobei das i und das e am Ende getrennt gesprochen werden. Dann klappt’s vielleicht auch mit dem Nachbarn. Und falls Sie trotzdem noch unsicher bei der Aussprache sind, der Google Übersetzer hilft.

Werner Arning / 15.06.2018

Ja, woran liegt das wohl? Sie lässt einen merkwürdig kalt, diese WM. Klar, man ist auch älter geworden. Vielleicht nicht mehr ganz so begeisterungsfähig wie noch vor ein paar Jahren. Aber es liegt nicht nur daran. Es ist etwas anderes passiert. Man hat sich distanziert. Es ist einem irgendwie etwas gleichgültig geworden, was da passiert. Und das hat viel mit Merkel zu tun, mit der linken Meinungsmache in den Medien, mit diesem Antinationalismus, dieser angeblichen (aber falsch verstandenen) Weltoffenheit, dieser gewollten Heimatlosigkeit. Und die Fußballer erscheinen immer mehr als Unternehmer, die sich mit nichts richtig identifizieren, höchstens mit ihrem Bankkonto. Deutschlandfahnen erscheinen fast schon Nazi-verdächtig. „Deutschland“ zu sagen, ist fast schon gewagt. Mal abwarten, vielleicht kommt ja doch noch, wenigstens ein bisschen Begeisterung auf. Aber momentan geht mir die WM (noch) am Allerwertesten vorbei. Zum Glück spielt morgen Peru. Die Peruaner sind hin und weg. Begeisterung pur. Nationalstolz pur. Da schauen wir mit ein paar Peruanern und anderen Freunden das Spiel. Meine Frau kocht was peruanisches. Und es wird lustig werden.

Frieda Wagener / 15.06.2018

“am Meisten”? Bei solchen systematischen Fehlern lacht sich Peter Gallmann (siehe heutigen FAZ-Artikel) jedesmal ins Fäustchen, denn wenn es ein Öfteren gibt, dann gibt es auch ein Meisten. Es ist übrigens grün und riecht etwas nach Lavendel.

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