Während des Dreißigjährigen Kriege bekämpften sich, wie allgemein bekannt, Protestanten und Katholiken. So in der Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620. Wie hat das Ganze eigentlich angefangen?
Die Sache war ziemlich kompliziert: Böhmen hatte – Ansätze einer Demokratie – ein Wahlkönigtum. Dies bedeutete, ein Potentat durfte sich um die Königskrone bewerben und wurde dann mit etwas politischem Geschick und wahrscheinlich jeder Menge Versprechungen und Bestechungsgeldern von den Adligen zum „König von Böhmen“ gewählt.
Jetzt waren unsere braven Böhmen in der Hauptsache und Mehrheit ketzerische Protestanten. Im Jahre 1609 hatten Sie ihrem damaligen deutschen Kaiser Rudolf II., einem Katholiken, einen „Majestätsbrief“ abgerungen, der ihnen Religionsfreiheit garantierte. Dessen Nachfolger, Kaiser Matthias I., hatte sich noch zähneknirschend an diesen Majestätsbrief gehalten, war aber dabei, seinen Cousin Ferdinand als Nachfolger aufzubauen, und irgendwie hatten er und Ferdinand es geschafft, die böhmischen Stände davon zu überzeugen, dass Ferdinand der II., wie er einst heißen sollte, einen prima böhmischen König abgeben würde. Der katholische Habsburger Ferdinand wurde also 1617 zum König von Böhmen gewählt.
Nun hatte Ferdinand aber entweder ein schwaches Gedächtnis oder die Unterlagen nicht gelesen oder war ein religiöser Fanatiker oder alles zusammen. Er betrieb in Böhmen, ebenso, wie er es in seinen anderen Latifundien bereits getan hatte, einen scharfen Kurs der Rekatholisierung und war sehr bemüht, seine abtrünnigen protestantischen schwarzen Schäfchen zurück in die Herde der braven Katholiken zu führen.
Dies wiederum passte den störrischen böhmischen Adligen so gar nicht, weil sie das mit dem Hinknien in der Kirche doof fanden, und sie verfassten bei einer Ständeversammlung eine geharnischte Beschwerde an Matthias I., um an jenen Majestätsbrief zu erinnern.
Der Antwortbrief des Kaisers, verfasst von einem katholischen Kardinal und kaiserlichen Berater, war ebenso geharnischt und lässt sich auf das Wort „Nein!“ zusammendampfen. Außerdem, weil Kardinal Khlesl gerade dabei war, wurden derartige Versammlungen als „verfassungsfeindlich“ gebrandmarkt und künftig verboten. Da es noch keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab, konnte diese Maßnahme leider nicht entsprechend eingeordnet werden und Markus Lanz war noch nicht geboren.
Wie es immer so ist, versammelten sich die böhmischen Adligen zornig erneut und beschlossen ihrerseits, eine noch viel geharnischtere Antwort zu geben. Etwa 200 Mann zogen zur Prager Burg, veranstalteten mit den dortigen Stadthaltern ihres Königs Ferdinand und ihres Kaisers Matthias einen kurzen Schauprozess und warfen die Typen nach dem entsprechenden Urteil einfach aus dem Fenster.
Die Jungfrau Maria zauberte einen Misthaufen herbei?
Einschub: Es gibt zwei Legenden hierzu:
Die Katholiken behaupteten, die Jungfrau Maria hätte die drei Staatsbeamten errettet, da niemand ernsthaft verletzt oder getötet wurde. Ein Wunder und eine Bestätigung, dass Gott mit König und Kaiser sei!
Die böhmischen Protestanten und jetzt Revolutionäre lachten darüber und behaupteten, es hätte sich ein Misthaufen unter dem Fenster befunden, die Herren wären, wie jeder Ex-Politiker, weich gefallen und die Jungfrau Maria hätte mitnichten etwas mit dem Sachverhalt zu tun, es sei denn, sie hätte den Misthaufen dorthin gezaubert.
Tatsächlich ist die Mauer unter dem zweitberühmtesten Fenster nach der Kemenate von Romeos Julia hier sehr schräg, und die Stellvertreter von Kaiser und König dürften, zumal das Fenster sehr klein war, in ihren dicken Mänteln und Umhängen eher wie auf einer Rutschbahn die betreffenden 17 Meter nach unten gerodelt sein. Wie auch immer: Die katholischen Schergen des Kaisers und Königs machten sich entehrt aus dem Staub, unter dem Gelächter der Revolutionäre, die ihnen noch ein paar Beschimpfungen und Pistolenschüsse hinterherwarfen.
Sachstand jetzt am 23. Mai 1618 anno Domini: Die böhmischen Stände haben sich ihrer katholischen Herrschaft entledigt und stehen jetzt ohne König da. Matthias I. und sein Cousin Ferdinand, der noch Unnummerierte, sind sehr erbost und zu Recht auch beleidigt und sinnen – wer könnte es ihnen verdenken – auf Rache und würden gerne katholisches Recht und katholische Ordnung wieder herstellen.
Auf die inoffiziellen Stellenausschreibung „König gesucht! Sie bringen einen protestantisch-christlichen Hintergrund, finanzielle Unabhängigkeit und keine Familienbande an die Habsburger mit, wir bieten Ihnen im Gegenzug ein ganzes Königreich (ohne Prinzessin) in einer der malerischsten Gegenden Europas und im Herzen des Deutschen Reiches sowie jeden Morgen eine frische Obstschale“ bewarb sich Friedrich V. von der Pfalz. Neben den beiden Hauptkriterien Protestantismus und „finanzielle Unabhängigkeit“ brachte Friedrich seinen Wittelsbacher Stammbaum und den unbändigen Willen ein, sein angestammtes Fürstentum – eben die Pfalz – zur führenden protestantischen Macht im Deutschen Reich zu machen. Win-Win. Und tatsächlich erwählten ihn die böhmischen Stände 1619 zu ihrem Chefkönig, erklärten Ferdinand als abgesetzt, und Friedrich von der Pfalz reiste im Oktober 1619 mit seiner hochschwangeren Frau nach Prag, wo er bereits im August 1619 zum böhmischen König erklärt worden war.
Eine schlechte Idee: Ferdinand konnte sich nicht einfach so von irgendwelchen Protestanten entmachten lassen, erst recht, wenn er nach dem Tod von Matthias I. Deutscher Kaiser werden wollte und Böhmen im Kaiserreich bleiben sollte. Er würde einem dahergelaufenen König und Wittelsbacher Protestanten garantiert nicht die böhmische Krone für lau überlassen. Die katholische Propaganda tat ihr Übriges und bezeichnete Friedrich V. von der Pfalz und jetzt I. von Böhmen in einem Anflug von frühbarockem Humor als „Winterkönig“, da er wohl nur einen Winter König sein würde.
Und so wurde es hektisch: Ferdinand fragte bei der „katholischen Liga“ und explizit den spanischen Habsburgern nach Unterstützung – vulgo Truppen und Geld – an und bekam diese. König Friedrich, der I. von Böhmen und V. von der Pfalz, bemühte sich bei den Adligen, Ständen und der „protestantischen Union“ ebenfalls um Mittel, allerdings weit erfolgloser als Ferdinand. Die böhmischen Adligen und anderen Mitglieder der protestantischen Union hatten Friedrich nicht gewählt, um Steuererhöhungen aufs Auge zu bekommen. Während ihre Unterstützung mit dem Wort „kläglich“ euphemistisch umschrieben ist, verpfändete Friedrich schließlich seine Juwelen, erhob drastische Steuererhöhungen, führte eine Art Wehrpflicht ein und trieb die Pfalz in die Insolvenz, als er zwei Tonnen Gold von dort nach Böhmen bringen ließ.
So viel zu den wichtigsten Vorgängen in aller gebotenen Kürze.
Die Schlacht
Die Sache sah also für Ferdinand und die katholische Liga gut aus. Sein spanischer Feldherr Spinola besetzte mit 25.000 Mann ohne größere Gegenwehr Friedrichs Stammlande, die Pfalz, sein bayerischer Feldherr, Herzog Maximilian I., ironischerweise ebenfalls ein Wittelsbacher, rückte am 26. September 1620 mit etwa 32.400 Infanteristen und 7.500 Reitern in Böhmen ein.
Etwas östlich von Pilsen trafen Maximilian und dessen General Tilly kurz darauf auf das lustig und kunterbunt und divers aus allen Landesteilen zusammengekratzte Heer von Friedrich, dem es an Ausrüstung, Waffen, Moral und letztlich Bezahlung mangelte und das kurz vor einer Meuterei stand. Folgerichtig zogen sich Friedrichs Mannen Richtung Prag zurück und bezogen auf dem „Weißen Berg“ vor der Stadt eine improvisierte Verteidigungsstellung.
Friedrich von der Pfalz und Böhmen und überhaupt war kein ausgebildeter General und überließ seine Truppen seinem Berater und Generalissimus Christian I. von Anhalt-Bernburg, einem gewieften Politiker, aber nur leidlichem General und sah seine Aufgabe darin, die logistische Unterstützung wie Truppen, Nachschub, Nahrung, Ausrüstung und Bezahlung zu organisieren. Eigentlich hätte Friedrich I. und V. mit einem gewissen General von Mansfeld einen wirklich fähigen Mann mit wirklich guten Truppen zur Hand gehabt – hätte sich dieser sein Fernbleiben von diesem Feldzug nicht mit 100.000 Gulden des gegnerischen Kaisers vergolden lassen…
Die Truppe Friedrichs bezog Stellung auf dem „Weißen Berg“
Das Ausrüsten der protestantischen Truppen war gar nicht so einfach, wie sich bereits bei Pilsen herausgestellt hatte. Diverse Grüppchen aus Flagellanten, Deserteuren und schlichten Dieben waren bereits im Vorfeld durch Böhmen gezogen und hatten das getan, was sie am besten konnten: plündern und rauben. Die Straße von Pilsen nach Prag war bereits mit Leichen und weggeworfenen oder beschädigten Monturstücken gesäumt. Kein fröhlich stimmender Anblick. Friedrichs Armee hatte sich also meist barfuß und mit halben Ausrüstungen auf den Rückzug nach Prag gemacht, während die Truppen Maximilians und Tillys im Vergleich blendend ausgerüstet waren. Aber nur im Vergleich. Ungarische Husaren hatten die kaiserlich-katholischen Nachschubwagen immer wieder überfallen.
Die Truppe Friedrichs bezog Stellung auf dem „Weißen Berg“ vor Prag, vor dem sich am Morgen des 8. Novembers das Heer der katholischen Liga sammelte. Es war neblig, und noch konnten sich die Gegner kaum sehen. Friedrich hielt vor seiner bunten Truppe eine feurige Rede, die allerdings wenig Anklang fand, da er kein „Bares“ dabei hatte; unten im Tal beteten die Kaiserlich-Katholischen zur Heiligen Jungfrau. Aus diesem Grund setzten sich erst gegen Mittag Maximilians Truppen in Richtung des linken Flügels der Böhmen in Bewegung und rissen dabei die spanische Reiterei und die wallonische Infanterie mit sich. Sie hatten die Böhmen noch gar nicht erreicht, als es dort bereits in den hinteren Linien zu bröseln begann und sich die Soldaten des Generals Christian von Anhalt lieber in die Stadt absetzten, statt zu kämpfen.
Trotzdem konnte Christian einige kleinere Truppenteile sammeln und zum kämpfen bewegen, die spanische Kavallerie wurde abgewiesen und eine wallonische Einheit wurde versprengt. Es ging also doch! Vielleicht!
Groß kämpfen mussten sie dabei nicht, die Katholiken
Allein, die Moral der Protestanten war zu gering: General Tilly wies seine polnische und italienische Kavallerie an, den linken Flügel bergauf erneut zu attackieren, und diesmal gelang es: Seine Kavallerie stürmte zwischen die ungarisch-böhmische Reiterei und veranlasste diese zu einem wilden Fluchtversuch über die hoch stehende Moldau, wo mehr Soldaten ertranken, als durch die eigentlichen Kampfhandlungen ums Leben kamen.
Nachdem der linke böhmische Flügel zusammengebrochen war, befahl Maximilian nun den Generalangriff, und sein komplettes Heer machte sich in Richtung der böhmischen Schlachtlinie auf. Hierfür hatte man sich auf katholischer Seite noch einen besonderen Moralboost ausgedacht: Der Karmelit Domenicus a Jesus Maria trat mit einem Bildnis der heiligen Familie aus einem geplünderten Schloss vor die Truppe, aus dem die Protestanten angeblich die Augen von Jesus, Maria und Josef ausgestochen hatten. Unter dem Schlachtruf „Santa Maria“ stürmten darauf hin die erzürnten kaiserlichen Truppen bergauf gegen die ohnehin schon moralisch erschütterten Böhmen an.
Groß kämpfen mussten sie dabei nicht, die Katholiken. Allein schon angesichts der Menge der Kaisertreuen, die da auf sie zurollte, brachen die protestantischen Reihen wie Glas, und viele größere Einheiten der Böhmen „kündigten“ einfach und suchten das Weite. Als der unglückliche König Friedrich, der sich in Prag um Geld und Nachschub bemüht hatte, das Schlachtfeld um den frühen Nachmittag wieder betreten wollte, konnte von einer Schlacht keine Rede mehr sein. Um ihn herum stoben seine Soldaten in wilder Flucht auseinander, und es halfen weder gebrüllte Befehle noch herzzerreißende Bitten, sie zum Bleiben und Kämpfen zu bewegen. In der Nähe des Stadttores traf Friedrich schließlich auf seinen Generalissimus Christian von Anhalt, der ihm den Sachverhalt in aller gebotenen Hast so erklärte, dass alles komplett verloren sei und er sich in Sicherheit bringen möge. Der unglückliche böhmische König versteckte sich in Prag, das soeben von den Kaiserlichen eingenommen und ausgenommen wurde und flüchtete später mitsamt seiner Kronjuwelen nach Breslau. Auch vor den Bewohnern Prags, die drauf und dran waren, ihn an Maximilian auszuliefern.
Epilog
Kaiser Ferdinand verhängte über Friedrich und Christian von Anhalt die sogenannte „Reichsacht“, so dass jeder Löffel mit einer Sense nun ihn und seinen General folgenlos würde gefangen nehmen oder ermorden dürfen. Die weniger glücklichen protestantischen Führungskräfte, denen das katholische Heer habhaft werden konnte, wurden ziemlich kompromisslos ein halbes Jahr später auf dem Prager Altstädter Ring exekutiert.
Eigentlich hätte der Krieg jetzt beendet sein können. Friedrich floh von Breslau weiter nach Den Haag ins Exil, während Ferdinand sich daran machte, Böhmen und die Pfalz zu rekatholisieren, und hier wäre die Geschichte jetzt beendet. Eigentlich.
War sie aber nicht. Friedrich der I. und V. und Letzte und Christian I. von Anhalt-Bernburg bastelten sich in den Niederlanden eine Art kostspieliges Schattenkabinett mit englischem Geld zusammen und versuchten, sowohl ihre Würde als auch die von Spinola besetzte Pfalz zurückzuerlangen, die Böhmen wehrten sich gegen Ferdinand, der wiederum sah sich wechselnden protestantischen und auch katholischen Bündnissen aus Dänen, Schweden, Franzosen und kleineren Fürstentümern gegenüber, die er eines nach dem anderen niederkämpfen musste. Es gab daneben auch noch juristische und religiöse Unstimmigkeiten über die Bedeutung einer Reichsacht, das Königtum, das Kaisertum, den Protestantismus und den Katholizismus und überhaupt, es wimmelte von militärischen Privatunternehmern wie dem protestantischen General Mansfeld und dem in katholisch-kaiserlichen Diensten stehenden Wallenstein, und es sollte noch 30 Jahre und Millionen von Tote durch Pest und Mord dauern, bis sich der Krieg der Großmächte um das Deutsche Reich endlich von selbst erledigte und quasi ausbrannte, bis von Deutschland nichts mehr als ein Flickenteppich entvölkerter Landschaften zurückblieb. Die deutsche Urkatastrophe hatte ihren Anfang gefunden.
(Weitere Historienartikel des Autors unter dem Suchbegriff „Jahrestag“ in der Suchfunktion)
In dieser Reihe bereits erschienen:
Jahrestag: Die Schlacht von Stalingrad geht zu Ende
Jahrestag: High Noon bei Austerlitz
Jahrestag: Völkerschlacht bei Leipzig
Jahrestag: Das Ende der Türkenbelagerung von Wien
Jahrestag: Otto schlägt die Ungarn
Jahrestag: Die eigentliche Schlacht bei Tannenberg
Jahrestag: Königgrätz entscheidet den Bruderkrieg
Viel Propaganda und fast 50.000 Tote
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.