Im Oktober 1683 fand eine heute vergessene, damals aber europabewegende Schlacht statt, die einen König fast das Leben und einen Feldherrn ganz das Leben kostete, verursacht durch Hochmut und Schlamperei und vielleicht auch Feigheit.
Das Dörfchen Štúrovo hat heute etwa 9.300 Einwohner und gehörte einst zum osmanischen Reich, dann zu Ungarn, dann zur Tschechoslowakei, dann wieder zu Ungarn und heute gehört es zur Slowakei – irgendwie will niemand das Kaff haben. Von den Einwohnern geben als Ethnie etwa 6.600 Ungarn, 2.900 Slowaken, neunzig Tschechen, sieben Polen, fünf Bulgaren, drei Ukrainer und jeweils sage und schreibe zwei Deutsche und zwei Juden an. Und den einen Kroaten wollen wir auch nicht unterschlagen. Ein durchaus also multikultureller Ort dort am rechten Ufer der Donau, der 1546 als Festung von den Osmanen zur Sicherung des Donauübergangs unter dem hübschen Namen Ciğerdelen Parkani gegründet wurde, was so viel wie „Festung, die sich in die Gedärme des Feindes bohrt“ bedeutet. Wer wollte nicht an einem Ort mit einem derart prosaischen Namen wohnen?
Tatsächlich fand vor und in und wegen des Örtchens vom 7. bis zum 9. Oktober 1683 eine heute vergessene, damals aber europabewegende Schlacht statt, die einen König fast das Leben und einen Feldherrn ganz das Leben kostete, verursacht durch Hochmut und Schlamperei und vielleicht auch Feigheit.
Das kam so: Nach der Befreiung Wiens aus der türkischen Belagerung und der panischen Flucht der osmanischen Truppen war man im Hauptquartier der verbündeten Polen, Habsburger und den Reichstruppen augenscheinlich der Meinung, dass „der Käse gegessen ist“ und man einfach nur den Türken würde nachsetzen müssen, um das Heer der Osmanen aus den Ländern zu treiben. Die Laune war gut, die Moral hoch (zu dessen Höhe auch die muntere Plünderung des osmanischen Heerlagers beigetragen haben dürfte) und daher herrschte auf Seiten der Verbündeten wohl etwas – freundlich ausgedrückt – Überschwang.
Oder er war, wie schon öfter, sternhagelvoll
Nach einer kurzen Pause und der Verteilung der üppigen Beute machte sich das verbündete Heer auf, die Osmanen aus Ungarn zu vertreiben. Allen voran ritten die weltberühmten Flügelhusaren und deren Heerführer, der polnische König Johann III. Sobieski wie in der Sommerfrische auf die türkische Festung Ciğerdelen Parkani vor, in der freudigen Erwartung, die Festung im Handstreich zu nehmen und weiter über die Donau auf die größere Festung Gran vorzurücken. Die Vorfreude auf weiteres „Hussa Taramtamtam“ war so groß, dass es Sobieski völlig unterließ, überhaupt noch irgendeine Feindaufklärung zu betreiben. Oder er war, wie schon öfter, sternhagelvoll. Oder beides. Vielleicht lag es auch an ein paar Türken, die die Polen spaßeshalber gefoltert hatten und die ausgesagt hatten, es befänden sich in Parkany nur eine Handvoll osmanischer Janitscharen. Folter war selten eine gute Methode zur Wahrheitsfindung.
Am 7. Oktober kamen also König und Kameraden mit 2.000 Mann vor der „sich in die Därme des Feindes bohrenden“ Festung an. Der Befehlshaber der Vorhut, ein gewisser Stefan Bidziński, erblickte beim Anritt auf das Kaff etwa 500 Türken in einer Talsenke und beschloss – entgegen seiner Befehle – sich für diesen Tag selbstständig zu machen und die Türken anzugreifen. Diese flohen auch ordnungsgemäß in das nächste Tal, den engagierten Bidziński hinter sich her ziehend. In diesem „nächsten Tal“ allerdings stand die türkische Hauptmacht mit etwa 15.000 Mann, der überwiegende Teil Kavallerie.
Und die griff nun ihrerseits den panischen Polen und seine Vorhut an. Bidzińskis Recken schlugen sich in wilde Flucht, die Türken galoppierten hinter ihnen her. Polnische Dragoner, die an der Spitze der Hauptmacht ritten, wurden jetzt zunächst von den flüchtenden Flügelhusaren, dann von den nachsetzenden Dragonern überrannt und gerieten ebenfalls in Panik. Angriffs- und Rückzugsbefehle überschlugen sich, die Truppen mischten sich wie Pfeffer und Salz, und die türkische Kavallerie war allgegenwärtig. Von wegen „geschlagen“! Weltberühmte Flügelhusaren hin, polnischer König her – gegen eine etwa siebenfache Übermacht wird es für jede Elitetruppe, zumal wenn die eigenen Gewehre ungeladen sind, so ein bisschen schwer.
Dahin war sie, die schöne Moral
Die Türken machten folgerichtig kurzen Prozess und rieben die Hussaria Bidzińskis komplett bis auf den letzten Mann auf und kassierten auch noch weitere 4.000 Mann des Hauptkontigents. Der polnische König geriet fast in Gefangenschaft und konnte sich nur mit knapper Not retten, nachdem auch seine Leibgarde in Stücke gehauen worden war, und am 7. und 8. Oktober wurde er auf beiden Seiten für tot gehalten. Dahin war sie, die schöne Moral. Dass die Verluste nicht noch höher ausfielen, war nur der türkischen Cleverness zu verdanken, sich rechtzeitig zurückzuziehen, bevor die Hauptmacht der weit auseinander marschierenden Alliierten aufschließen und sich versammeln würde.
Die kam auch. Am 8. Oktober war Karl von Lothringen mit den Haupttruppen heran, sollte aber nicht den Oberbefehl be- oder erhalten, da in den Abendstunden der arg lädierte Sobieski wieder aufgetaucht war und instant die Truppen, insgesamt immerhin noch 30.000 Mann, am 9. Oktober aufstellte. Aber auch bei den Türken waren Verstärkungen – vielleicht aufgrund der Wiener Niederlage nicht unbedingt von Elitequalität – eingetroffen, so dass Sobieski und Lothringen nun 40.000 gut verschanzte Türken gegenüberstanden, die nun in ihrem Überschwang und stolz auf ihren Sieg ihre Gefangenen enthaupteten und die Köpfe an der kleinen Festung auf Palisaden steckten.
Die deutsche Quellenlage im Internet wird hier überraschend dünn, aber eine polnische Seite ist recht ausführlich:
Der stocksaure Sobieski sann auf Rache, andere im Kriegsrat plädierten zum Rückzug, aber als sich auch Karl von Lothringen auf die Seite des polnischen Königs schlug, war die Sache entschieden. Es würde zur Schlacht kommen.
Der Plan des türkischen Befehlshabers Kara Mehmed war so schlecht nicht: Etwa rechtwinklig zur Donau mündet das Flüsschen Hron in die Donau, und er stellte seine Kavallerie – andere Truppen hatte er nicht – mit einem sehr starken rechten Flügel vor jenem Flüsschen auf den Anhöhen auf. Seine Idee war, die Alliierten in der Flanke zu packen und dann wie bei einer schwingenden Tür in Richtung Donau zu drücken.
Allerdings war dieser Plan im wahrsten Wortsinn derart offensichtlich, dass der alte Fuchs Sobieski den Braten roch. Seine deutsch-polnische Armee verfügte jedoch über rund 12.000 Infanteristen, 19.000 Mann Reiterei und – im Gegensatz zu den Türken – über 56 Geschütze.
Massenpanik in der türkischen Reiterei
Sein Gegenrezept sah so aus, dass er seine Infanterie gegenüber dem rechten Flügel der Türken positionierte, diese sollte rein defensiv den Angriff der türkischen Reiterei abfangen. Währenddessen würde sein rechter Flügel die Türken von ihren Rückzugsmöglichkeiten über die Donau abschneiden und – wenn alles glatt lief – in den oder die Hron treiben (keine Ahnung, ob der Fluß männlich oder weiblich oder divers ist, die einen sagen so, die anderen so). Nun ist der Hro (oder „die Gran“, wie sie auf Deutsch heißt) mit etwa 50 Metern Breite ein in Friedenszeiten durchaus zu bewältigendes Hindernis – für panische Truppen in Kriegszeiten allerdings eine veritable Todesfalle, die zum Ertrinken einlädt.
Etwa um 9 Uhr morgens hatte Sobieski seine Aufstellung beendet, und die Allierten marschierten in leicht schräger Formation den Türken entgegen, wobei sie es nicht allzu eilig hatten, um ihre Formation nicht zu verlieren und keine Lücken zu lassen. Drei Stunden brauchten die Verbündeten, um Parkani zu erreichen und auf Schussweite an die Türken heranzukommen. Kara Mehmed hat nicht sehr viele Möglichkeiten zu agieren und ließ seinen starken rechten Flügel auf die Infanterie und das Zentrum Sobieskis angaloppieren. Es muss bei dieser Masse an Reiterei für die Infanteristen ein grauenhaftes Erlebnis gewesen sein. Die donnernden Hufe, das Gebrüll der Türken und – am schlimmsten – die Vibration des Bodens unter ihren Füßen. Aber die Disziplin hielt, und die Türken wurden mit Musketen- („zielt auf die Pferde! Zielt auf die Pferde!“) und widerlichem Kartätschenfeuer empfangen, die die türkische Reiterei regelrecht in Fetzen riss. Was davon übrig war, wurde von der polnisch-deutschen Reiterei im Gegenangriff vertrieben.
Kara Mehmed konzentrierte sich bei einem erneuten Angriff jetzt nur noch auf Sobieskis linken Flügel, um sich außer Reichweite der Kanonen des alliierten Zentrums zu halten. Dies wiederum ermunterte Karl von Lothringen, jetzt aus dem Zentrum heraus mit seiner Reiterei den angreifenden Türken in die linke Flanke zu fallen. Auch diese türkische Attacke, in Front und Flanke gefasst, brach im Chaos zusammen.
Währenddessen hatte sich auch Sobieskis rechter Flügel an die Türken regelrecht herangeschlichen – die Lanzenreiter hatten ihre Lanzen verhüllt („gefaltet“), um nicht aufzufallen – und griff nun seinerseits die schwache türkische linke Flanke an, die überrascht fast sofort zusammenbrach. Kara Mehmed versuchte, den türkischen Rückzug auf seiner linken Flanke abzubrechen, was jetzt aufgrund der nachdrängenden Polen aber zu einer Massenpanik und zu einem regelrechten Knäuel in der türkischen Reiterei führte.
Die türkische Armee war völlig und final vernichtet
Es war nichts mehr zu retten: Die Türken waren komplett desorientiert und in Unordnung, die erschöpften türkischen Kavalleristen des rechten Flügel hatten sich mit den zurückflutenden Truppen des linke Flügels in ein heilloses Durcheinander aus Pferden, Schreien, Pulverdampf und Menschenleibern verwandelt, und jetzt griffen Sobieskis Truppen auf der kompletten Front an.
Es war ein Gemetzel: Türkische Kavallerie, die Widerstand leistete, türkische Kavallerie, die sich über den Hron zu flüchten versuchte, türkische Kavallerie, die über die Donau flüchten wollte, türkische Kavallerie, die sich ergeben wollte. Vor allem die Polen hieben in ihrem Rachedurst für die Niederlage zwei Tage vorher und erbittert über die Köpfe ihrer Kameraden auf den Zinnen von Parkani alles nieder, was auch nur ansatzweise türkisch aussah. Kara Mehmed und etwa 800 Mann seiner Truppen schafften es noch, die Donau zu überqueren, bevor Sobieskis Artillerie die Brücke in Brand schoss, die Polen stürmten schon fast nebenbei auch die kleine Flussbefestigung mit den geköpften Husaren – Pardon wurde jetzt keines mehr gegeben.
Die Kämpfe – oder vielmehr das buchstäblich gnadenlose Abschlachten – dauerten bis in die späten Abendstunden, bis 10.000 tote Türken auf dem Schlechtfeld lagen. Die türkische Armee war völlig und final vernichtet. Das Tor in die europäischen Kernlande der Osmanen stand nach der kurzen Belagerung der jenseits der Donau gelegenen Festung Gran, deren türkische Verteidiger nicht auf Entsatz hoffen konnten und nur kurz Widerstand leisteten, jetzt weit offen.
Der Ruf Sobieskis und seiner Flügelhusaren war wieder hergestellt, reingewaschen mit türkischem Blut. Diesmal hatte er seinen Feind nicht unterschätzt. Kara Mehmed hingegen wurde ausnahmsweise nicht sofort von seinem Chef getötet, sondern fiel bei der Verteidigung von Ofen, das Ihnen unter dem ungarischen Namen Buda als Stadtteil von Budapest bekannter sein dürfte. Nicht Wien war also die Entscheidungsschlacht dieses Feldzugs – es war diese, hier bei Ciğerdelen Parkani, der „Festung, die sich in die Gedärme des Feindes bohrt“.
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Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.
Beitragsbild: Juliusz Kossakvia Wikimedia Commons

Mein großes Kompliment an Herrn Sarrazin! Ich hatte gar nicht gewußt, daß er sich, außer mit den deutschen und europäischen Malaisen, auch mit der Historie längst in Vergessenheit geratener Groß-Schlachten so auskennt. Seinen Artikel las ich mit großem Interesse und den Hintergedanken, wie schnell doch damals die Männer motiviert wurden, bestialisch zu kämpfen. Leider aber "schlummern" in unserer Zivililsation bis heute ähnliche Rache-Ungeheuerlichkeiten. Wehe, wo sie nicht gebremst werden ...
Niemals davon gehört. Klingt wieder nach einer Abfolge wechselseitiger Fehler. Von Clausewitz ist wohl der Ausspruch überliefert,: "Jeder militärische Plan überlebt die erste größere Auseinandersetzung mit dem Feind nicht." (Sinngemäß) Erschreckend, eine Schlacht, die Zehntausende das Leben kostete, ist praktisch vergessen. Erinnert an eine Bemerkung in der Rühmann-Verfilmung des braven Soldaten Schweijk. "Später wurde er der kleine Krieg genannt. Für die, die darin gestorben sind, war er wohl groß genug." Wie mich das gegenwärtige Kriegsgeschrei ankotzt. An die Front mit den kriegsgeilen Fo..., Verzeihung, Furien, die sonst mit nassen Höschen an Boxringen sitzen, an die Front mit den Wehrdienstverweigerern, die eben noch Soldaten sind Mörder geplärrt haben. .
Bringe er seine Schlachtenreihe doch als Buch heraus.
Interessant, nie gehört. Vorschlag für die nächste Episode dumm gelaufener Schlachten: Das Gefecht von Karanberes, in der die Österreicher sich selbst besiegten statt der Türken.
Der große Vorteil dieser historischen Kriege war doch, außer vielen Menschenleben, einigem Flurschaden, die Erde hat keinen großen Schaden genommen. Die Wirtschaft und Medizin hat stets etwas gelernt und Fortschritte gemacht. Im nächsten Weltkrieg, nach Aussage von diesem deutschen Kanzler nach auch wohlwollend begrüßt, das Land, unser Land, schon kurz vor diesem Krieg steht, wird die Sache ganz anders ausgehen. Ich finde persönlich, das eine Wehrpflicht schnellstens eingeführt wird. Zuerst nur die Wähler der Regierung, jeden Alters und Geschlecht. Das währe auch kollektive Gerechtigkeit gegenüber der Gesellschaft. Im Falle das sie doch gewinnen, ich möchte nicht an der Beute beteiligt sein.
Die viel relevantere Schlacht im Oktober 2025 findet im charmanten Charmelscheich statt und endet mit einem Erdrutschsieg Großisraels.Sischer datt!