Früher, also vor drei Monaten, als ich noch jung und naiv war, dachte ich, ein Journalist sollte möglichst objektiv und fair berichten, Standpunkte gegenüber stellen und – wenn schon das nicht ginge, wenigstens einigermaßen sicher in Wort und Schrift sein. Oder wenigstens in Schrift. So ein bisschen. Noch viel früher, so Ende der 70er, als ich in Latein meine ersten Fünfer ablieferte, sagte mein Französischlehrer immer: „Sie tacuisses, philosophus mansisses“, was, wie wir Altgriechen wissen, so viel bedeutet wie „Hättest Du den Mund gehalten, hätte keiner gemerkt, dass Du ein Vollpfosten bist“ (ja, ist etwas frei übersetzt, aber woher habe ich wohl den Fünfer?).
Nun steht ja der Name „Thilo“ gemeinhin für hohe journalistische Standards, zumindest, wenn er mit „h“ geschrieben wird. Ein Thilo ohne Ha ist ein journalistischer Vollpfosten. Denn, so schreibt Tilo Jung, seines Twitter-Verkehrszeichens „freier Chefredakteur“, auf seinem Account: „Als Journalisten haben wir gelernt, Leugnern des menschengemachten Klimawandels medial zu ignorieren, sie lächerlich zu machen und ihnen keine (gleichberechtigte) Plattform zu bieten. Das müssen wir nun auch bei den Feinstaubbelastungsleugnern schaffen!“ Exakt so. Also, nicht ganz exakt so, denn ein Emoticon mit erhobenem Hassprediger-Zeigefinger leitet dieses aufschlussreiche Statement ein.
Nun ist der fe(h)lerbehaftete Tilo weder jung – der Knabe ist immerhin auch schon Ü30 -, noch naiv. Und ich hätte ihm aus thilotischer Solidarität auch seinen Grammatikfehler verziehen und ihm dieses, nennen wir es freundlich, „unkluge Statement“ gerne als Satire durchgehen lassen. Machst Du ja manchmal: Einfach einen Trigger, einen Honeypot, ´raushauen und gucken, wo die Empörungswellen dann an Flachland schlagen.
Nur: Der Tilo meint das wirklich so, wirklich ernst, wie sich im Laufe des Threads herausstellen wird. So schreibt dem lustigen Pfogel beispielsweise der Nordkurier zurück: „Leute lächerlich zu machen und ihnen keine (gleichberechtigte) Plattform zu bieten, ist nicht der Journalismus, den du beim @Nordkurier gelernt hast.“ Gut, vielleicht hat der Tilo das nicht beim Nordkurier gelernt, aber er ist ja entwicklungs- und lernfähig. Prompt schreibt er patzig zurück: „Respekt und Achtung für Klimawandelleugner hab ich bei euch tatsächlich nicht gelernt.“ Das Setzen von Apostrophen, die korrekte schriftliche Anrede oder die richtige Verwendung des Akkusativs auch nicht. Aber ich will nicht kleinlich sein. Auch, wenn es Spaß macht. Immerhin war er beim Nordkurier und nicht beim Spiegel. Da haben die Letztgenannten Glück gehabt.
Vom Zurückrudern ganz aus der Puste
Ich kenne den Nordkurier nicht und kann nicht beurteilen, was man bei ihm lernt oder nicht lernt, aber entweder hat der nicht-mehr-ganz-so-Junge Tilo nie eine Journalistenschule besucht (sein Wikipedia-Eintrag berichtet von zwei abgebrochenen Studiengängen in Betriebswirtschaft und Jura und von „Tätigkeiten bei Onlineshops wie Spreadshirt, Zalando und Dailydeal“ „in den Bereichen Kundendienst, Produktmanagement, Produkteinpflege und Marketing“ – also zu Deutsch: harmloser Sachbearbeiter am Computer und Call-Center-Erklärbär, was per se nichts Ehrenrühriges ist), oder aber Tilo ist einfach die etwas strubbeligere und dämlichere Haltungsschwester von Claas Retilotius, womit wir wieder bei den Thilos ohne Ha wären (und ich endlich wieder einen der verpönten Namenswitze unterbringen konnte). Unnötig zu sagen, dass dieser Zwergstern am egozentrischen Online-Firmament für seine gar innovativen und objektiven Berichte und Reportagen auch ein paar hübsche Preise erhalten hat. Ich mache es trotzdem. Weil ich es kann. Ich bin ja kein Preisträger. Auf mir steht kein Preis drauf. Ich mache das kostenlos und zum Spaß.
Tilos aufschlussreicher Pfogelgesang hat tatsächlich, Stand 29.01.2019, 10:41 Uhr, 845 Kommentare erhalten. Zieht man davon seine trotzig-pöbeligen Antworten ab, so kommt man auf rund 800 Tweets, von denen ihn gefühlt 790 in den Senkel stellen. So war das natürlich nicht gedacht, der Tilo hatte mit Beifallsstürmen und nicht mit einem Shitstorm gerechnet, aber Einen gezwitschert ist nun mal Einen gezwitschert. Und das hat ihm den Hashtag #Haltungsjournalismus beschert.
Das jetzt wiederum findet der Tilo nicht so gut und so macht er, nachdem er erst den Claas gemacht hat, jetzt den Robert (Habeck): „Dieses neue Niveau an Wissenschaftsverleugnung hat mich heute ein bisschen übers Ziel hinaus schießen lassen: Über Menschen möchte ich mich nicht lustig machen, nur über Meinungen & Statements, die zB den Klimawandel oder die Feinstaubschäden anzweifeln...“, schreibt er, während er vom Zurückrudern ganz aus der Puste ist.
Das waren eben einfach Geozentrikleugner
Ja, „uppsi“, gell? War ja gar nicht so gemeint, gell? „Mausgerutscht“, gell? Kann ja jedem einmal passieren. Also, ehm, es ging gar nicht um Menschen, sondern, ehm ehm, nur über „Meinungen & Statements“, die nicht der eigenen flachen Weltuntergangssicht entsprechen. So war das nämlich, jawohl. Die Inquisition hat damals ja jetzt auch nichts persönlich gegen Galileo Galilei oder Giordano Bruno gehabt. Das waren eben einfach Geozentrikleugner, denen damals die pro- und latifundesten Journalisten und Wissenschaftler einfach „keine (gleichberechtigte) Plattform“ oder „mediale Aufmerksamkeit“ geben wollten, weil sie sozusagen „feststehendes Wissen“ anzweifelten. Gut, ja, ein paar der Kollegen und Kirchenkritiker wurden auf einem damals noch echten Scheiterhaufen verbrannt (ob das nun umweltschädlich oder doch eher umweltfreundlich war, darüber lässt sich trefflich streiten) – aber, wie gesagt, „persönlich“ war das nicht gemeint. Irrlehren sind nun einmal zu bekämpfen! Da kann man nichts machen.
Wo kämen wir schließlich bei Meinungsfreiheit und Freiheit der Forschung hin? Soll hier jeder dahergelaufene Lungenfacharztdödel oder Klimawissenschaftlerkasper etwa die feststehende und immerwährende Wahrheit „freiberuflicher Chefredakteure und Kundenservicemitarbeiter“ anzweifeln dürfen? Das wäre ja ein endloses Debattieren, während sich die Sonne weiter um die Erde dreht und nichts würde sich auf dieser Weltscheibe je zum Besseren ändern! Journalismus ist, wenn alles bleibt, wie es sein sollte. Und „Meinungen & Statements“ lächerlich gemacht werden. Basta.
Das muss uns mit jedem Häretiker und Kritiker gelingen. Immerhin das hat mein Namensvetter ohne Ha sehr schön herausgearbeitet. Er sollte einen hübschen Journalistenpreis bekommen. Meinetwegen den „Twitter-Spatz am hanfgedrehten Henkerseil“ für die „fröhlichsten Selbstentrübungstweets im Doppelpack“. Darauf erwärme ich mir jetzt erst einmal das Klima mit meinem Benzin-Feuerzeug und zünde mir ein Feinstaub-Zigarillo aus garantiert nicht biologischem Anbau an.