Michael Holmes (Gastautor) / 24.01.2007 / 19:47 / 0 / Seite ausdrucken

The Road to 1984

Ich war 16 und naja… wie man halt mit 16 so ist und also mit der stockkonservativen ‘English Literature’-Lehrerin an unserer High School schon mehrfach aneinandergeraten; wegen dem unvermeidlichen Ché auf meiner Basecap (“No political signs in this room!”) oder weil ich beim Fahneneid demonstrativ einschlafen musste (wobei ich hier eine gute Ausrede parat hatte: “Listen, I’m half german!”)
Jedenfalls sollten wir nun alle einen Vortrag über ein großes Werk der Literatur vorbereiten und also bereitete ich einen Vortrag über das meiner Ansicht nach größte Werk der Literatur vor. Aus meiner Rezension von Orwells 1984 sollte eine kleine antifaschistische Rede werden und ich glaube das gelang auch so halbwegs. Aber als ich fertig war stand meine ungeliebte Lehrerin auf, lächelte mich an und klatschte Beifall.
Sh…! Aber das sollte sie doch gar nicht!
Und dann erklärte sie mir und der Klasse zu meiner Verwunderung: “Yes, this is a book about fascism! And one of the best books on this topic. But… it isn´t ONLY about fascism…”

Und dann weiß ich nur noch, dass ich ziemlich vor den Kopf gestoßen war, hilflos meine linken Klischees zusammenstammelte und die ganze Klasse wild durcheinander diskutierte. Und ich weiß auch: Hätte ich dieser etwas älteren Dame damals besser zugehört, hätte ich mir ein Jahrzehnt neomarxistischer Dialektik ersparen können (Oh, wie beneide ich all die Menschen, die niemals die ‘Phänomenologie des Geistes’ lesen mussten!). Denn das war 1A Totalitarismuskritik- erste Sahne! (und im Gegensatz zu mir, sprach sie seltsamerweise ständig von “National Socialism”!). Aber ich musste natürlich meine Ohren und meinen Geist verschließen: Orwell ein reaktionärer Antikommunist? Pah! Das hätte sie wohl gern!

Vor ein paar Tagen ist mir diese Geschichte wieder eingefallen. Und da hab ich mich gefragt, was genau eigentlich George Orwell selbst dazu sagt. Und da bin ich beim googeln auf diesen kleinen Text gestossen, den ich vollständig wiedergeben und ein wenig kommentieren möchte:

Review by Orwell: The Road to Serfdom by F.A. Hayek The Mirror of the Past by K. Zilliacus - Observer, 9 April 1944

http://groups.msn.com/EricArthurBlair/review.msnw

“Taken together, these two books give grounds for dismay. The first of them is an eloquent defence of laissez-faire capitalism, the other is an even more vehement denunciation of it. They cover to some extent the same ground, they frequently quote the same authorities, and they even start out with the same premise, since each of them assumes that Western civilization depends on the sanctity of the individual. Yet each writer is convinced that the other’s policy leads directly to slavery, and the alarming thing is that they may both be right.”

“May”! One of them is. Basically.

“Of the two, Professor Hayek’s book is perhaps the more valuable,”

Stop! Das wollen wir erstmal festhalten. Ich wette Orwell wollte sich wie jeder gute Totalitarismustheoretiker gegen beide Seiten gleichermaßen richten. Aber vielleicht hat dann die eine Seite doch mehr zu sagen…

“because the views it puts forward are less fashionable at the moment than those of Mr Zilliacus.”

Das hat sich bis heute nicht geändert. Hayek ist noch immer igittibäh! Und auch heute sind die meisten Linken hier unehrlich, sehen sich eben lieber als Dissidenten.

“Shortly, Professor Hayek’s thesis is that Socialism inevitably leads to despotism, and that in Germany the Nazis were able to succeed because the Socialists had already done most of their work for them, especially the intellectual work of weakening the desire for liberty.”

Das stimmt nicht ganz. Hayek geht weiter! Er geht sogar zwei Schritte weiter. Er behauptet nicht nur, dass der Nationalsozialismus eine Form des Sozialismus war. Er behauptet außerdem, dass der Nationalsozialismus die konsequenteste Form des Sozialismus war, die höchste Stufe sozusagen. Und diese These habe ich in dieser Form bisher NUR bei Hayek gefunden, der sie übrigens gut begründet.

“By bringing the whole of life under the control of the State, Socialism necessarily gives power to an inner ring of bureaucrats, who in almost every case will be men who want power for its own sake and will stick at nothing in order to retain it.”

Das ist richtig. Aber in diesen Sätzen vermisse ich doch die Schärfe und Deutlichkeit von Hayeks Argumentation und Sprache. Und das wundert mich. Denn einem Orwell hätte diese Kraft doch völlig in ihren Bann ziehen müssen. Aber vielleicht hat der Skeptiker und Aufklärer Orwell ja gerade das gefürchtet. Gehen wir davon aus und rechnen wirs ihm also an.

“Britain, he says, is now going the same road as Germany, with the left-wing intelligentsia in the van and the Tory Party a good second.”

Ja, das befürchtet er. Aber er betont auch die großen Unterschiede zwischen der Sozialdemokratie und dem “heissen” Sozialismus, wie er das nennt. Außerdem hat er sich später korrigiert.

“The only salvation lies in returning to an unplanned economy, free competition, and emphasis on liberty rather than on security.”

Das ist nicht ganz richtig. Hayek erklärt, warum es völliger Unsinn wäre, prinzipiell gegen Planung einzutreten. Der Rechtsstaat plant. Die Vernunft des Menschen plant. Das ist gut so. Hayek schreibt mit allem, was er aufzubieten hat - und das ist viel! - gegen die Idee umfassender Gesellschaftsplanung.

“In the negative part of Professor Hayek’s thesis there is a great deal of truth. It cannot be said too often - at any rate, it is not being said nearly often enough - that collectivism is not inherently democratic, but, on the contrary, gives to a tyrannical minority such powers as the Spanish Inquisitors never dreamed of.”

Aber auf den “negativen Teil” des Arguments geht es fast ausschließlich in diesem Buch. Hayek läßt nur nebenbei durchblicken, welche Alternativen er vorschlägt. Umso entschiedener macht er deutlich, was er nie und nimmer will: Sozialismus. Und hier hat Orwell nicht gut gelesen. Denn Hayek kritisiert den Kollektivismus nicht als Ursache, sondern als Symptom. Das Problem in der Sowjetunion und anderswo war nicht, dass ihre Führer von einer geheimnisvollen Krankheit namens “Kollektivismus” befallen wurden. Der Kollektivismus war die logische und absolut notwendige Konsequenz des sozialistischen Grundgedankens. Den individualistischen Sozialismus gibt es nur in der Theorie.

“Professor Hayek is also probably right in saying that in this country the intellectuals are more totalitarian-minded than the common people.”

Darauf legt er nicht viel Gewicht. Alle Schichten können der totalitären Versuchung erliegen.

Soweit Orwells Kurzzusammenfassung. Es freut mich zu wissen, dass Orwell dieses meiner Ansicht nach wichtigste antitotalitäre Werk gelesen hat. Und es freut mich noch mehr, dass er begriffen hat, warum er mit Hayek zwei große Feinde gemein hat. Orwells nun folgende Kritik ließ sich zum damaligen Zeitpunkt und in seinem Milieu wahrscheinlich kaum vermeiden, wo diese Ansichten wohl geradezu Konsens waren. Jetzt und heute sollten wir sie trotzdem konsequent zurückweisen, auch weil die Forschung sehr viel weiter ist.

“But he does not see, or will not admit, that a return to ‘free’ competition means for the great mass of people a tyranny probably worse, because more irresponsible, than that of the State. The trouble with competitions is that somebody wins them.”

Was ja nichts oder wenig ausmacht, wenn niemand deshalb verliert, weil eben kein Nullsummenspiel gespielt wird.

“Professor Hayek denies that free capitalism necessarily leads to monopoly, but in practice that is where it has led”

Das ist schlicht falsch. Gegen Monopole gibt es kein besseres Mittel als den freien Markt.
Hayeks Thesen zu diesem Thema lassen sich inzwischen gut belegen. (siehe hierzu: “Basic Economics”, Thomas Sowell, Chapter: “Big Business”, oder: “Das kapitalistische Manifest”, Johan Norberg, Kapitel: “Big is beautiful!”). Was oft als Monopolismus gebrandmarkt wird, ist meist nichts weiter als die Macht der Unternehmen, die am billigsten und besten produzieren.

“, and since the vast majority of people would far rather have State regimentation than slumps and unemployment,”

Das befürchtet Hayek auch. Er sieht die Intellektuellen in der Verantwortung, diese weit verbreiteten, aber falschen Ansichten zu widerlegen.

“the drift towards collectivism is bound to continue if popular opinion has any say in the matter.”

Hayek hat Jahre später mit Erleichterung festgestellt, dass sich dieser gefährliche Trend nach 45 nicht fortgesetzt, sondern teilweise umgedreht hat. Ja, der Siegeszug der freien Marktwirtschaft und der liberalen Demokratie beginnt in der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts erst richtig. Wer glaubt heute noch allen Ernstes, dass sich ausgerechnet die westlichen Demokratien auf dem direkten Weg nach 1984 befinden?

Nun aber zu Zilliacus:

“Mr Zilliacus’s able and well-documented attack on imperialism and power politics consists largely of an exposure of the events leading up to the two world wars. Unfortunately the enthusiasm with which he debunks the war of 1914 makes one wonder on what grounds he is supporting this one. After retelling the sordid story of the secret treaties and commercial rivalries which led up to 1914, he concludes that our declared war aims were lies and that ‘we declared war on Germany because if she won her war against France and Russia she would become master of all Europe, and strong enough to help herself to British colonies’. Why else did we go to war this time? It seems that it was equally wicked to oppose Germany in the decade before 1914 and to appease her in the nineteen-thirties, and that we ought to have made a compromise peace in 1917, whereas it would be treachery to make one now. It was even wicked, in 1915, to agree to Germany being partitioned and Poland being regarded as ‘an internal affair of Russia’: so do the same actions change their moral colour with the passage of time.
The thing Mr Zilliacus leaves out of account is that wars have results, irrespective of the motives of those who precipitate them. No one can question the dirtiness of international politics from 1870 onwards: it does not follow that it would have been a good thing to allow the German army to rule Europe. It is just possible that some rather sordid transactions are going on behind the scenes now, and that current propaganda ‘against Nazism’ (cf. ‘against Prussian militarism’) will look pretty thin in 1970, but Europe will certainly be a better place if Hitler and his followers are removed from it.”

Soweit wenig Einwände. Immer gut, daran erinnert zu werden, dass es die damals schon gab. Ich versteh nur nicht, was das alles jetzt mit Kapitalismus zu tun haben soll.

“Between them these two books sum up our present predicament. Capitalism leads to dole queues, the scramble for markets, and war.”

Aber einen Beweis hätten wir schon gern. Dürfte aber schwer werden. Das Gegenteil konnte bewiesen werden (siehe dazu etwa: Economic Freedom in the World, annual report 2005)

“Collectivism leads to concentration camps, leader worship, and war.”

Sehr richtig. Und wie Hayek zeigen konnte ist der Sozialismus in der Praxis immer kollektivistisch.

“There is no way out of this unless a planned economy can somehow be combined with the freedom of the intellect”

Eine vielleicht schöne Idee. Aber leider unmöglich realisierbar, was zu zeigen Hayeks Hauptanliegen war.

“which can only happen if the concept of right and wrong is restored to politics”.

Nein, das ist das einzige, was auch dann nicht passieren wird. Aber ich glaube in diesem Fall könnten wir es den Totalitaristen aller Richtungen unmöglich machen, unsere Gesellschaften als Spielball ihrer Ideologien zu benutzen - und das ist es wohl, wonach George Orwell gesucht hat.

“Both of these writers are aware of this, more or less; but since they can show no practicable way of bringing it about the combined effect of their books is a depressing one.”

Schade, dass Orwell den Sieg der Demokratien über den rechten und linken Totalitarismus nicht mehr erleben durfte. Was er wohl heute sagen würde?

 

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