The Oyster is my world (I)
Die rechte Hand ist weiterhin unbrauchbar, und so schreibe ich in letzter Zeit nur das Nötigste. Mit dem Diktieren tue ich mich schwer; rein digitaltechnisch gesehen funktioniert das zwar erstaunlich gut, aber ich komme mir dabei vor, als sei ich einer dieser Bekloppten, die, ein Telefon sich quer vor die Nase haltend, auf offenen Straße vor sich hin brabbeln („Hörst du mich? Jetzt wäre ich beinahe überfahren worden!“). Ich weiß ja, was sie da tun, aber auch nach Jahren der Gewöhnung sehe ich in ihnen immer noch den seltsamen Typen, der auf meinem Schulweg – morgens hin, mittags zurück – an einer Ampel stand und Selbstgespräche führte. Vermute ich jedenfalls, vielleicht sah er ja auch Kobolde und unterhielt sich mit diesen. Aberglaube ist keine Erfindung der Grünen; den gibt es schon immer und ewig und überall. Wie hat der große Dave Allen einmal gesagt? „Wir Iren sind so was von abergläubisch. Bei uns glauben sogar die Gnome an Elfen.“
Neo Nazi
Mein Freund Malcolm ist im Grunde eine Seele von Mensch, zumindest für einen Schotten und solange niemand „Scotch Whiskey“ schreibt. Auch er ist jetzt ein Nazi. Sich dummerweise bei Youtube in eine Diskussion verwickeln zu lassen, ist aber auch fahrlässig. „Eigentlich ging es nur um Musik“ erzählt er, „aber einer der Opponenten guckte nach, was ich für einer bin und fand unter meinen 421 YT-Bookmarks eine Handvoll von Kanälen, die seiner Meinung nach nur Nazis ansehen. Ein History Channel, Achgut Pogo, Tichy, Stürzenberger, Reitschuster. Ich sei ja ein Rechtsradikaler, beschloss er aufgrund seines Fundes. Mit solchen Leuten diskutiere er nicht. Ins gleiche Ton stießen dann noch weitere. Tja...“
„Nicht von ungefähr ist Rudolf Hess bei euch gelandet“ sage ich. „Sieh es doch als Anerkennung!“ „Póg mo thóin!“ kam zurück, was ich hier nicht übersetze.
Strafkatalog
Ginge es nach mir, sähe ein Strafkatalog im Bereich Beleidigung so aus: „Asozialer“ 550 €, Vogel zeigen 750 €, Scheibenwischer-Geste 1.000 €, „Schlampe“ 1.900 €, „Alte Sau“ 2.500 €, „Nazi“ sechs Monate bei Brot und Wasser.
Glauben
Würde ein Lexikon zum Stichwort „Unglauben“ eine Illustration benötigen, käme nur eine in Frage: mein Porträt. Ehe ich etwas glaube, braucht es seine Zeit. Und auch danach bestehen meist noch Zweifel. Klar, es gibt Sachen, die kann man nur glauben, und zwar dann, wenn eine Verifikation kaum möglich ist. In solchen Fällen verlasse ich mich auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen und Quellen. Wenn mir zum Beispiel Freunde erzählen, wie Armin Laschet als Mitschüler so war oder als Nachbarjunge, glaube ich denen das ohne Weiteres. Zum einen, weil ich diese Leute ernst nehme, zum anderen, weil sich nichts gravierend unterscheidet von dem, was er heute politisch so darstellt.
Solange er mir nicht in die Quere kommt, kann jeder glauben, was er will. Für mich persönlich gibt es keinen Unterschied, ob jemand an eine flache Erde, Chemtrails, Reptilienmenschen, einen Gott oder Schutzengel glaubt, das rangiert alles unter der Rubrik „bekloppt“, so wie auch Homöopathie oder Channeling von Erzengeln. Wer's glaubt, werde selig. Manches hat durchaus unterhaltsamen Wert; als ich noch Radio hörte, bekam einmal eine Studiogästin eine geschlagene halbe Stunde, um in der besten Koch- und Bügelzeit von Zwergen zu erzählen, die in Köln und anderen Städten auf Verkehrsinseln wohnen. Sie meinte das wörtlich und wurde entsprechend ernsthaft von der Moderatorin befragt. Einer Frau höre ich manchmal auf Youtube zu, sie steht in direkter Verbindung mit allerlei Erzengeln, deren Botschaften für die Menschheit sie per Video weiter verbreitet. Ich finde das so unterhaltsam wie lehrreich. So ähnlich hat es auch mal mit Mohammed angefangen.
Freiheit ist schön, macht aber viel Arbeit
In diesen Wochen musste ich an einen Essay des französischen Autors Jean Paulhan (1884–1968) denken, den ich vor bald 50 Jahren mit einigem Erstaunen (und damals Unglauben) studierte. Zum Glück wusste ich, in welchem Buch ich es gelesen hatte, und mit noch mehr Glück fand ich das Buch in meiner Bibliothek wieder. „Ein seltsamer Aufstand forderte im Lauf des Jahres 1838 auf der friedlichen Insel Barbados blutige Opfer“ beginnt Paulhan seinen Text und erzählt im weiteren, dass etwa 200 Schwarze, Männer und Frauen, soeben aus der Sklaverei entlassen, zu ihrem früheren Herrn gingen und ihn baten, sie wieder als Sklaven anzunehmen. Um die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, legten sie eine Klageschrift vor, verfasst von einem Pastor ihrer Gemeinde.
Der frühere Herr wollte sich nicht darauf einlassen, ich vermute, weil die Freilassung nicht aus eigenem Entschluss stattgefunden hatte, er sich also an das Gesetz halten musste. Durch den Slavery Abolition Act, vom britischen Parlament 1833 beschlossen, blieb dem Sklavenhalter nichts anderes übrig, zudem hatte die Kolonialmacht England üppige Entschädigungen von insgesamt 20 Millionen Pfund gezahlt.
Das kostete ihn das Leben – da eine gütliche Einigung nicht zustande kam, wurde er mitsamt seiner Familie massakriert; die früheren Sklaven zogen zurück in ihre Unterkünfte und nahmen, so Paulhan in seinem Essay „Das Glück in der Sklaverei“, „ihre Palaver und gewohnten Arbeiten und Riten wieder auf“.
Im weiteren Ablauf vertritt der Autor recht offen die These, dass Freiheit auch nicht so das Wahre sei. Ich werde hier nicht näher darauf eingehen, es führt an dieser Stelle nicht weiter. Es genügt zu konstatieren, dass Freiheit keineswegs für alle Menschen ein erstrebenswertes Gut ist, sofern andere Bedingungen, die ihm näher liegen, erfüllt sind: „Sich ganz dem Willen eines anderen ergeben […] schafft seine eigenen Freuden, so die Freude, sich – endlich! - befreit zu wissen von den eigenen Neigungen, Interessen und Komplexen.“
Im Jahr 2 ab Corona ein erschreckend aktueller Text.
Nochmal (Un)Glauben
Wer nicht alles schluckt und glaubt, was ihm von offizieller Seite – Tagesschau, Bild, Welt, Spiegel, Bundespressekonferenz und dem übrigen Restle – vorgesetzt wird, ist bekanntlich ein Verschwörungstheoretiker. Jedenfalls dann, wenn er sein Weltbild von inoffiziellen Quellen beeinflussen lässt und sich zum Beispiel für den Fall eines elektrischen Blackouts mit Kerzen, Wasser und 500 Dosen Baked Beans im Keller ausrüstet.
Nicht weniger schlimm sind – aus Sicht der staatlich alimentierten Verschwörungspraktiker in Redaktionen und Ministerien – die, die sich mit Verschwörungstheoretikern zusammen sehen lassen, zum Beispiel auf Demonstrationen. Ihr Verbrechen heißt Kontaktschuld. Du atmest auf einer Kundgebung die gleiche Luft wie Attila Hildmann? Kontaktschuldig!
Allerdings stört mich die Inkonsequenz derer, die alles in Bausch und Bogen verdammen, was auch nur um viele Ecken einen noch so kleinen gemeinsamen Nenner mit fragwürdigen Weltbildern besitzt. Wieso nimmt man von Reichsbürgern, Ufo-Gläubigen und Impfgegnern Geld an? Stört es eine linke Stiftung nicht, sich von Rechten mitfinanzieren zu lassen? Kann der Beitragsservice (vulgo: GEZ) es guten Gewissens verantworten, bei Bürgern Geld einzutreiben, die überall erzählen, dass sie nichts von dem glauben, was ihnen für ihre Euro geliefert wird? Und wieso nimmt der Staat, wo er nur kann, Steuern ein bei Menschen, die laut Urteil eines besonders treuen Staatskünstlers ihr Menschsein verwirkt haben? Klar, ich weiß die Antwort: Pecunia non olet. Erst recht nicht, wenn man das Geld Leuten wegnimmt, die dafür sonst Reichsflaggen, Hildmanns veganes Blubberwasser oder Bücher von Schwefel-Autoren erwerben. Ja, Geld stinkt nicht. Selbst das Geld von jemandem nicht, der am anderen Ende eines Demonstrationszuges mitgeht, an dessen Spitze eine obskure Flagge weht und der alleine deshalb schon zum Komplizen ernannt wird.
Wenn Claudia Roth, hinter Parolen wie „Deutschland, Du mieses Stück Scheiße“ her demonstriert oder ein Transparent mit „Nie wieder Deutschland!“ vor sich her trägt, ist das natürlich etwas ganz anderes. Sie ist daher auch die heutige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags.
Corona-freie Zone
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Ein Leben ohne Musik ist sinnlos
Was nicht für jede Musik gilt – Konzerte gegen Rechts zum Beispiel vermisse ich ganz und gar nicht. Sofern es dort überhaupt Musik zu hören gibt.
Leslie West ist gestorben – er kam eigentlich von der US-Ostküste und hieß eigentlich Weinstein. Ob verwandt oder verschwägert – ich weiß es nicht. Zumindest vom Volumen her könnte er gut mit Harvey... egal, später nahm er massiv ab. Zu den großen Ungerechtigkeiten des 20. Jahrhunderts gehört für mich bis heute, dass West und seine Band Mountain weder im ersten Woodstock Film noch auf der ersten Woodstock LP dabei sind, sie wurden erst in der Zweitverwertung des Ereignisses berücksichtigt. Leslie West rangiert in der Rolling Stone Liste der 100 besten Gitarristen auf Platz 66. Trotz allerlei gesundheitlicher Probleme hat er es auf 75 Jahre gebracht, im Gegensatz zu seinem Kumpel Felix Pappalardi, der nur 43 wurde, 1983 erschoss ihn seine Frau, was Leslie so kommentierte: „You want my advice? Buy your wife a diamond ring, some flowers, a push-up bra. But don’t buy her a gun.“ Wests Tod war weniger spektakulär, am Tag vor Heilig Abend erlitt er einen tödlichen Herzinfarkt.
Leslie West und Mountain in Woodstock 1969
Mountain im deutschen Beatclub (Am Anfang mit einem besonderen Schmankerl für die Älteren unter uns...)
Tom Petty ist nun auch schon drei Jahre tot. Das Herz. Für mich – und nicht nur für mich – ist er einer der ganz Großen, nicht zuletzt unter den Komponisten. Der Rolling Stone setzte ihn auf Rang 59 der 100 besten Songwriter aller Zeiten. Vor allem ein Lied ist gerade in diesen heutigen Zeiten von geradezu prophetischer Aussagekraft: „I won't back down“. Hier einmal mit Tom Petty und einer sensationellen All Star Band, in der Ringo Starr klöddert wie zu besten Zeiten und einmal in der grandiosen Version von Johnny Cash, mit dem Tom eng befreundet war.
Well I know what's right
I got just one life
In a world that keeps on pushin' me around
But I'll stand my ground
(Tom Petty)
Ulla Haesen habe ich hier vor ein paar Wochen, wenn auch nur kurz, mit ihrer neuen Platte vorgestellt. Kurz, weil es da noch an Promomaterial mangelte. Dieses Manko ist inzwischen beseitigt, es gibt nun ein rund siebenminütiges Video, das Hörproben und Einblicke in die Produktion von „Prendila Cosi“ bietet. Inzwischen ist das Album nominiert für den Preis der deutschen Schallplattenkritik.
Wenn Ihnen die brasilianisch geprägte Musik der Deutsch-Finnischen Musikerin gefällt – denken Sie daran, dass Künstler in diesen kulturlosen Zeiten besonders auf Unterstützung angewiesen sind. Liveauftritte fallen aus, es bleibt also nur der Tonträger als Einnahmequelle.
Hey, I will stand my ground
And I won't back down
No, I won't back down
(Tom Petty)
Noch mal Freiheit
„Der erste Grund, warum die Menschen freiwillig Knechte sind, ist der, daß sie als Knechte geboren werden und so aufwachsen. Aus diesem folgt ein zweiter: dass nämlich die Menschen unter den Tyrannen leicht feige und weibisch werden. Mit der Freiheit geht wie mit einem Mal die Tapferkeit verloren. Geknechtete haben im Kampf keine Frische und keine Schärfe: Sie gehen wie Gefesselte und Starre und, als ob's nicht Ernst wäre, in die Gefahr; in ihren Adern kocht nicht die Glut der Freiheit, die die Gefahr verachten lässt und die Lust hervorbringt, durch einen schönen Tod inmitten der Genossen die Ehre des Ruhms zu erkaufen. Die Freien wetteifern untereinander, jeder kämpft fürs Gemeinwohl und jeder für sich, alle wissen, daß die Niederlage oder aber der Sieg ihre eigene Sache sein wird, während die Geknechteten außer dem kriegerischen Mut auch noch in allen andern Stücken die Lebendigkeit verlieren und ein niedriges und weichliches Herz haben und zu allen großen Dingen unfähig sind. Die Tyrannen wissen das wohl, und tun ihr Bestes, wenn die Völker erst einmal so weit gekommen sind, sie noch schlaffer zu machen.“
„Wie kommt er zur Macht über euch, wenn nicht durch euch selbst? Wie würde er wagen, euch zu verfolgen, wenn ihr nicht einverstanden wärt?“
Étienne de La Boëtie (1530 bis 1563)
Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen
Schlusswort (für heute)
„Diese Wutanfälle, dieses Bedürfnis zu explodieren, jemandem in die Fresse zu schlagen – wie soll man dem Herr werden? Man braucht auf der Stelle einen kleinen Gang über den Friedhof oder besser noch, einen endgültigen.“ (Emile Cioran)