Ich könnte mich ja ohrfeigen. Habe ich doch gegen mein Schweigegelübde verstoßen, mit dem ich mich vor geraumer Zeit aus den Niederungen des Tageswahns verabschiedet hatte. Kein Wort mehr wollte ich schreiben zu dem, was dereinst der Nürnberger Handwerker Hans Sachs so formulierte: „Wahn! Wahn! Überall Wahn!“. Anders gesagt: kein Wort mehr zur Pangelademie in Deutschland. Doch ist der Weg in die Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Und wie ich an Ihren Zuschriften erkennen kann, verzeihen Sie mir für diesen Exzess.
Dass ich vorgestern zum Sünder wurde („Mein Leben mit dem Nationalcoronismus“) ist ein schwerer Verstoß, doch ehe Sie mich verstoßen: lassen Sie es sich erklären. Ich musste mich ablenken - die Sorgen um Baby Archie lassen mich seit Tagen kein trockenes Auge mehr zumachen. Schließlich wurde der kleine Racker nach mir benannt. Archie Harrison Mountbatten-Windsor, so der vollständige Name von Master Archie, dem eigentlich auch noch der Titel Earl of Dumbarton (zu deutsch: Dumbatztee) zusteht, da Uroma Lisbeth seinem Papa Harry 2018 diesen Titel anlässlich der Hochzeit mit Meghan („Markle, nicht Merkel, Dear!“ Die Queen 2017 zu ihrem harthörigen Gemahl) verlieh, zusammen mit dem Titel „Baron Kilkeel“, was wiederum ein nachgeordneter Titel zum „Dukedom of Sussex“ ist.
Ja, die Welt der Schönen und Reichen. Während unsereins bei Hans-Hermann Weyer-Graf von Yorck antichambrieren muss, um wenigstens einen C-Klasse Doktortitel der University of Guyana in Georgetown zu erlangen, wird der eher nach Pferdewirt als nach Winzer ausschauende Rotschopf mit Titeln nur so zugeworfen. Dabei soll gar nicht der Gimpel, sondern der Kuckuck...nein, das geht zu weit. Denn dann wäre auch seine Oma nicht seine Oma, und die mochte er doch immer so sehr. Wer kann konnte schon Stripperinnen Geldscheine in den Tanga stecken, auf denen das Bild der eigenen Großmutter...?
Und nun das. Master Archie Mountbatten (Mountbatten = Battenberg = Bechlenberg infolge der Kreuzfeld-Karlbacher Lautverschiebung von 1649 bis 1755) - wurde Richtung Hollywood Babylon entführt. Dass mich das nicht kalt lassen kann, dürfte verständlich sein, und so beging ich Freitag die Übersprungshandlung, mich ungehemmt zu Merkel-nicht-Markle zu erklären. Das Schicksal des kleinen Blaublüters bewegt mich weiterhin sehr; ohne Personenschutz und in bitterer Armut muss er nun aufwachsen und vielleicht später einmal als Modemodel (m/w/wtf) für Amazon sein Dasein fristen. Neben dem Anwesen der Familie Sussex in Montecito, schon früher ein sozialen Brennpunkt („Im 19. Jahrhundert lebten hier Wegelagerer, die Transporte auf der Küstenstraße überfielen.“ Wikipedia) soll ja derzeit eine Bleibe mit unter anderem 17 Badezimmern zu kaufen sein... Aber was will ich in Kalifornien? Was haben die Kalifornier jemals für uns getan? Zurück in die Auster.
Hennig-Wellsow findet Putin unattraktiv
„Ohne Musik ist diese Kolumne ein Irrtum!“ hat schon Fritz Nitsche über „The Oyster“ gesagt. Wie wahr! „Madness! Madness! Everywhere madness!“ lautet die Übersetzung des Sachs'chen Stoßseufzers in die Sprache Albions, und da habe ich doch gleich einen hübschen Aufhänger. „Madness“ nannte sich Ende der 1970er Jahre eine britische Ska-Band, nicht in Anlehnung an Wagner, sondern zu Ehren der jamaikanischen Ska-Ikone Prince Buster, der ein Stück mit dem Titel Madness interpretierte. Die britische Band, ein übler weißer Haufen rauflustiger workingclass lads, griff den Ska-Stil auf und verfeinerte ihn musikalisch, machte witzige Videos dazu und sorgte für einen Ska-Boom in England und auf dem Kontinent. Schöne Beispiele sind „House Of Fun“ „Baggy Trousers“ „Our House“, „One Step Beyond“ , das bizarre „Night Boat To Cairo“, „Embarrassment“ oder last not james „Tomorrow is just another day“, in dem sich zwei Propheten zunächst nicht einigen können, ob der Weltuntergang Mittwoch oder Donnerstag stattfindet und schließlich gemeinsam einen Pub ansteuern.
Ich hatte (und habe) alle frühen LP von Madness; die Musik liebe ich bis heute, auch wenn ich dazu heute maximal eine gichtige Zehe wippen kann. Vor den Musikern hatte ich jedoch Angst. Sie, vor allem Sänger Suggs (Suggs heute), sahen exakt so aus wie die Typen, die mich mal in London verprügeln wollten, weil ich lange Haare hatte. So dachte ich, in Wirklichkeit wollten sie mir nur ein Bier ausgeben, weil ich Deutscher war. Fragen Sie nicht weiter.
Verstopfte Arterien: Öffnen oder geschlossen lassen?
Musikalisch aus ganz anderem Holz geschnitzt ist Gerhard Müller. Wenn Sie sich fragen, wieso man nichts oder noch weniger von Wendler, Herzbuben oder Amigos hört – Gerhard Müller ist die Antwort. Die alte Garde hat sich verschämt zurück gezogen, denn wo Gerhard Müller singt, wächst kein Ohr mehr. Raffinierte Reime („Städchen – Mädchen“, „Schnall Dich an! - Amsterdam“ , „Amore - Maggiore“), zotige Zooms der Kamera auf Mädchen in Städtchen, alliterative Anmut („Brausepulver im Bauch“) in den Titeln und raffinierte Kulissen – Gerhard Müller bietet, was wir brauchen, gerade jetzt in diesen freudlosen Zeiten.
Den internationalen Musikmarkt hat der Barde aus Freudenstadt ebenfalls im Blick – ein neuerer Titel heißt nicht „Unterdecke“ sondern „Undercover . Sie zweifeln an der Authentizät des Künstlers? Bei Amazon oder Apple können Sie seine CDs erwerben und bei Spottifix hören. Ich verlinke das lieber nicht.
Eine eigene Website hat Gerhard natürlich ebenfalls , dort finden Sie nicht nur Ergebnisse seines musikalischen Schaffens, sondern auch „die Worte des heutigen „Jesus Christus“; im Berufsleben kein Zimmermann, sondern ein Geistheiler namens Sananda. Machen Sie sich ein Lesezeichen; sollte, wie der Name vermuten lässt, eine Kreuzigung anstehen, möchte man den Lifestream dieses Ereignisses sicher keinesfalls verpassen.
Juve-Aus, weil Ronaldo das Bein hebt
Noraly ist wieder unterwegs – vor einigen Wochen stellte ich hier die Niederländerin Noraly vor, die seit drei Jahren alleine per Motorrad durch die Welt fährt, und das in Gegenden, in die ich mich nicht einmal mit einem gut ausgerüsteten Kettenfahrzeug trauen würde. So fuhr sie durch Tadschikistan und den Iran ebenso wie durch zwielichtige südamerikanische Länder, und selbst nach Belgien wagte sie sich.
Durch das Virus in Peru Mitte letzten Jahres an der Weiterfahrt gehindert, musste sie dort ihr Motorrad stehen lassen, um das Land verlassen zu dürfen. Seitdem hing sie, wenn auch mit neuem Bike, in Holland fest. Was ihr auf die Dauer zu piefig wurde; daher ist sie nun seit 2 Wochen in Südafrika. Auch hier wieder auf Straßen und in Gegenden, wegen denen die Südafrikaner den Marauder entwickelt haben. Da hat man sich wirklich was bei gedacht, der Wagen wäre selbst in Berlin ein durchaus alltagstaugliches Gefährt.
Noraly allerdings verlässt sich derzeit auf eine 250 ccm Honda, die sie gleich nach der Ankunft in Johannesburg kaufte, und die ersten Videos sind online. Schnell machte sie sich mit den Eigenheiten der Region vertraut („Um die Farmen, Lodges und Grundstücke sind überall hohe Mauern“) und wird von einem Bananenfarmer darüber aufgeklärt, warum ein lebenswichtiger Damm eher erniedrigt als erhöht wurde („Wir haben dreimal Aufträge an Einheimische vergeben, aber die sind jedes mal mit der Vorauszahlung abgehauen.“).
Noraly steckt das alles mit einem Lächeln weg; selbst wenn sie ein paar hundert Kilometer zurück fahren muss, weil es plötzlich nicht weitergeht, verlässt die gute Laune sie nicht. Sehen Sie sich diese drei Videos in der genannten Reihenfolge an: und sowie das brandneue über die Fahrt von Tzaneen nach Graskop. 246 km. Übrigens: alle Videos 100 Prozent maskenfrei!
30 Stunden Putz- und Ordnungszwang in einer winzigen Zelle
Axel Marquardt – der Name wird den Meisten wohl nichts sagen. Dabei kann der Autor durchaus in einem Atemzug mit Humor- und Satiregrößen wie Robert Gernhardt oder Pit Knorr genannt werden. Marquardt hatte es allerdings beruflich nicht Richtung Frankfurt getrieben, wo er ohne Zweifel ein honoriges Mitglied der Neuen Frankfurter Schule hätte sein können, sondern in die Humordiaspora Norddeutschland. Vor zehn Jahren ist er in Hamburg gestorben.
Bei Zweitausendeins erschien 2008 der dicke Band „Was bisher geschah. Alle Mach-, Lach- und Meisterwerke“, eine großartige Sammlung von Abstrusitäten Marquardts, vermutlich noch antiquarisch erhältlich und den Freunden komischer Literatur wärmstens empfohlen. Natürlich ist es nicht sein einziges Buch, eine Auswahl finden Sie hier. Ich schrieb damals in einer Rezension zu „Was bisher geschah“: „Warum lebt Marquardt nicht weiter südlich, im Dunstkreis der Neuen Frankfurter Schule? Da nämlich würde er hingehören, ist er doch nicht weniger komisch als Gernhardt, als Henscheid, als Bernstein und Waechter, und auch nicht weniger neben der Spur als Eugen Egner oder Thomas C. Breuer.“ Was Axel so kommentierte: „Nun ja. Ich sach dazu nix.“
Da der Autor auch häufig für das Radio arbeitete, zum Beispiel in Form von Hörspielen, habe ich mich auf die Suche nach solchen gemacht. Das war nicht sehr ergiebig, aber immerhin: die beiden Grotesken „Die blaue Stunde“ und „Der Bulle und die Hausfrau“ konnte ich bei Youtube finden, schöne Beispiele für seinen schrägen Humor und wirklich hörenswert.
Weiches Klavier mit Wassergeräuschen zum Stressabbau
Ich nutze die Gelegenheit, Axel Marquardt erwähnt zu haben, direkt, um wieder einmal auf Heino Jäger, den „Mozart der Komik“ (Eckhard Henscheid) hinzuweisen. Den Betreiber der Praxis Dr. Jaeger und begnadeten Parodisten müsste man, um ihm gerecht zu werden, eigentlich täglich erwähnen, vielleicht in Form eines Morgen- oder Abendgebetes. „Oh Heino unser, lass uns den Humor nicht verlieren und täglich Kohlrouladen mit Steinpilzen auf dem Tisch stehen.“ Ein großartiger Dokumentarfilm über Heino Jaeger heißt „Look befor you kuck“, den Trailer findet man hier . Der Film im Ganzen ist bei Amazon prime ausleih- oder kaufbar. „Wenn man einige Tage mit ihm zusammen war, begann man die Dinge wie er zu sehen, und dann konnte man nichts mehr ernst nehmen.“
Kritische Wirtschafterin schrumpft - Queen zeigt sich versöhnlich
Das Buch „Die Kunst der Beleidigung“ von Hans G. Raeth fiel mir letzte Woche beim Stöbern wieder einmal in die Hände, erworben habe ich 2007 bei seinem Erscheinen. Als durch und durch höflicher, friedfertiger, ja geradezu empathischer Menschenfreund vergisst man mangels alltäglicher Praxis allzu schnell das elegante Handwerk. So jedenfalls geht es mir. Dabei ist die Fähigkeit, im passenden Moment die passende Beleidigung zur Hand zu haben, nicht weniger wichtig, als die Bedienung des 1. Hilfe Kastens im Auto zu beherrschen, auch wenn der seit Jahrzehnten immer noch im schützenden Cellophan eingehüllt ist. Daher ist das Buch derzeit wieder meine Gute-Nacht-Lektüre.
„Die Kunst der Beleidigung zielt darauf ab, den sachlichen Dialog mittels Stichelei und Provokation, mittels Spott und Häme, mittels Verballhornung und Verunglimpfung um die emotionale Dimension zu erweitern.“ So fasst der Autor prägnant zusammen, um was es geht.
Neben nützlichen, rechtlichen Informationen enthält der Band viel amüsantes über die hohe Kunst der richtigen Beleidigung. Richtig heißt: Eine Beleidigung sollte geistreich, sprachlich brillant und zugleich aufs Übelste verletzend sein. Als Beispiel sei der Ausspruch einer deutschen Entertainerin zitiert, die einer Kollegin nachsagte, sie habe schon in mehr Hotelzimmern gelegen als Gideons Bibel. Das ist wirklich brilliant.
Auch sollte das Objekt, dem man eine Beleidigung widmet, einer solchen Beachtung überhaupt würdig sein. Die Kriterien müssen nicht immer gleichermaßen erfüllt sein, so ist es durchaus legitim, auch mal einem eher wurmhaften Charakter eine schöne Wunde zu verpassen, sofern das mit einer edlen Klinge getan wird. Nicht immer ist es möglich, nur die Hochkunst zu praktizieren, dazu gibt es einfach viel zu wenig Opfer, die sich im Alltag auf Augenhöhe bewegen.
Natürlich wird hauptsächlich auf unterstem Niveau beleidigt, einfach weil es am schnellsten geht und vom Beleidiger keine nennenswerte, intellektuelle Leistung verlangt. Nicht ohne Grund spricht der Autor von „Prekariats-Beschimpfungen“, also billigsten, geistlosesten Verbalinjurien (die aktuell beliebteste ist ohne Frage „Nazi“, da selbst Linke das noch im Vollrausch hinbekommen) und er erklärt Herkunft und Bedeutung vieler Begriffe. „Bagage“ zum Beispiel stammt aus der Zeit der napoleonischen Kriege; damals folgte dem Heer eine illustre Schar zwielichtiger Gestalten, Huren, Spieler, Betrüger, Gauner jeglicher Art. Eben die Bagage. „Gesocks“ stammt tatsächlich von Socken, vermutlich meinte man damit (An)schleicher oder Arme, die keine Schuhe besaßen. „Taube Nuss“ hat nichts mit einer Wildfrucht zu tun, „Nuss“ lässt sich auf den gleichen Ursprung wie „Nutte“ zurück führen.
Wohlgemerkt, das Buch stammt aus 2007 und kann daher noch nicht auf ein enorm angewachsenes Potenzial an Prekariats-Beschimpfungen eingehen, die erst seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum zu finden sind. „Isch ficke deine ...“ enstammt zum Beispiel dem vor 14 Jahren hier noch kaum bekanntem Millieu syrischer Ingenieure aus Marrakesch, Mossul, Kabul oder Kairo. Von daher wäre es keine schlechte Idee, eine Aktualisierung des Buches in Angriff zu nehmen. Auch dass „Kartoffel“ einmal im beleidigenden Sinne in Deutschland Einzug halten würde, konnte sich damals wohl keiner denken. Dennoch ist „Die Kunst der Beleidigung“ in weiten Teilen so aktuell wie beim ersten Erscheinen. Den auch materiell hochwertig gestalteten Band bekommt man antiquarisch für etwa 6,- Euro, zum Beipiel via Amazon. Das ist gut angelegtes Geld.
Geruchs-Streit passt hinten und vorne nicht
Und nächste Woche: Wird Robert tatsächlich die Kreditkarten seiner Töchter Bärchen und Böckchen sperren lassen…? „Wir möchten Doktorspiele ausprobieren – wie geht das?“ Prof. Dr. Karl Lauterbach reagiert in den sozialen Netzwerken. Screamingdienst ermahnt Nutzer, nach 22 Uhr leise zu sein.Neu bei Amazon prime: „Wenn die tollen Mutanten kommen“ mit Pitt van Rees. Und: Sexismus-Skandal! Brustartige Wolken über Berliner Himmel!