Joram Kanjuk sagt: “Ich wäre nie nach Uganda gegangen. Auch nicht nach Madagaskar. Und schon gar nicht nach Birobijan.” Das seien alles “dumme Ideen” gewesen. Kanjuk, 193o als Sohn eines deutschen Vaters und einer russischen Mutter in Tel Aviv geboren, ist ein Palästinenser. So nannte man zur Mandatszeit die Juden, die in Palästina lebten. Kanjuk ist auch der Prototyp des säkularen Israeli, er hat in der “Palmach”, der Eliteeinheit der vorstaatlichen Armee, gegen Araber und Briten gekämpft, Waffen und Flüchtlinge ins Land geschmuggelt und schon lange vor “Oslo” dafür gesorgt, dass zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Schriftstellerverband ein “Friedensabkommen” ausgehandelt wurde. Später hat er dann vorgeschlagen, das Land zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer zweimal zu teilen. Einmal zwischen Israelis und Palästinensern, damit der Krieg endlich aufhört, und dann noch einmal zwischen den frommen und den weltlichen Israelis, damit beide Gruppen so leben können, wie sie wollen, ohne sich gegenseitig zu stören.
Jeden Freitagnachmittag sitzt Kanjuk im Cafe “Tamar” in der Sheinkin. “Tamar” ist das Epizentrum der israelischen Friedensbewegung. Die Gäste sind Stammkunden, Touristen würden sich nie in das “Tamar” verirren, weil es nicht wie ein Cafe, sondern wie ein Veteranentreffpunkt wirkt. Jung sind nur die beiden Kellnerinnen, die das Durchschnittsalter der Gäste um mindestens zehn jahrer senken. Neben Kanjuk sitzt Shaul Biber, der in der Armee für die Tanz- und Musikensembles zuständig war, einen Tisch weiter der Maler Uri Lipschitz und der Historiker Shlomo Shwa, alle um die 8o. Anfang 6o und damit der Benjamin der Runde ist Philip Rosenau, Professor für theoretische Mathematik. Er spricht nur in Aphorismen, die er sich gleich notiert. Z.B.: “Was ist eine Tragödie? Wenn man die Toten zählt. Und was ist ein Völkermord? Wenn man die Überlebenden zählt.” Er war zehn oder elf, als seine Eltern Polen verließen. Die Klassenlehrerin bat ihn, ihr eine Postkarte aus Israel zu schicken. “Ich mache keine Urlaubsreise”, sagte Rosenau damals, “ich fahre nach Hause”. Die Frage “Palästina oder Uganda?” beantwortet er so: “The only Jewish state is the state of mind.”
Kurz nach vier verlassen wir das “Tamar”, gehen die Sheinkin runter und erleben einen Gottesbeweis nach dem anderen, die meisten im C- und D-Format. Am “Potsdamer Platz” kreuzen wir die Allenby, um am Carmel-Markt Obst und Gemüse einzukaufen. Kurz vor Marktschluss fallen die Preise schneller als die Sonne im Meer versinkt. Die Händler wiegen die Tüten nicht mehr, sie schätzen nur noch das Gewicht. Einer hat sich auf den Tisch gestellt, wirft die Arme in die Luft und schreit: “To be or not to be!” Ganz am Ende kippen sie alles, das sie nicht verkaufen konnten, auf die Straße. Das ist der Moment, auf den die “Gastarbeiter” aus China, Rumänien und Uganda gewartet haben.
Wir laufen bis zum Minarett, und weil wir so günstig eingekauft haben, fahren wir mit einem Taxi zurück nach nach Jaffo, damit wir vor Schabbat-Beginn zu Hause sind.