Ahmet Refii Dener / 29.06.2025 / 10:00 / Foto: Montage achgut.com / 21 / Seite ausdrucken

Teuer wie Feuer – und dreimal Allah

Die Türkei hat viele Dinge erfunden: Gastfreundschaft, Verschwörungstheorien und sprachliche Vielseitigkeit auf einem neuen Level. Wer die Sprache wirklich versteht, weiß: Zwischen einem einfachen „Allah“ und dreimal „Allah!“ liegen Welten – und manchmal dein Leben.

In der inflationsgeplagten Türkei von heute ist „Ateş pahası“ (dt.: Teuer wie Feuer) ein gängiger Ausdruck für alles, was unverschämt teuer ist. Seine Herkunft? Eine Episode aus der Zeit Süleymans des Prächtigen.

Während einer Jagd mit Gefolgsleuten wurde der Sultan von sintflutartigem Regen überrascht. Sie suchten Zuflucht bei einem Bauern. Es war kalt, der Kamin brannte – sie blieben über Nacht.

Am Feuer sagte Süleyman: „In so einer Lage ist ein Feuer tausend Golddukaten wert!“ Am nächsten Morgen fragte er, was er dem Bauern schulde. Der antwortete: „Tausendundeine Golddukate.“

Auf Süleymans verwunderte Nachfrage erklärte der Bauer: „Die Übernachtung: eine. Das Feuer: tausend – laut Ihrer eigenen Bewertung.“

Ob der Bauer den Tag überlebte, ist nicht überliefert. Aber wer heute sagt, etwas sei „Ateş pahası“, der meint: Das kann ich mir nicht leisten – aber ich hab keine Wahl.

Allah – ein Wort, viele Bedeutungen

Im religiösen Kontext steht „Allah“ für den Einen, den Einzigen. Doch jenseits der Moschee, im alltäglichen Leben zwischen Kairo, Damaskus und Teheran, hat sich das Wort längst verselbstständigt. Im Orient ist Allah nicht nur Gott – sondern Gesprächspartner, Ausruf, Warnung, Trostpflaster und Fluch zugleich. Ein kleines Wort mit großer Wirkung. Und noch größerer Gestik.

Ein langgezogenes „Allaaaah!“ ist keine Gottesbeschwörung, sondern der akustische Ausdruck des Unerwarteten. Begleitet wird es von einer kreisenden Handbewegung, Handfläche nach oben, wie ein Satellit auf Empfang. Je größer der Kreis, desto größer das Staunen. Und wehe, jemand unterbricht das Ritual mit einer Frage – das „Allaaaah!“ ist heiliges Eigentum des Moments.

Wenn man in Beirut hört: „Allah, Allah!“ – dann ist gerade etwas passiert, das eigentlich nicht passieren dürfte. Die Kopfbewegung dazu: langsam von rechts nach links. Entsetzt, aber nicht panisch. Beispiel: Der Cousin hat zum dritten Mal geheiratet. Oder: Der Nachbar hat einen Kredit bekommen.

Bei größerem Radius der Bewegung: tieferes Unverständnis. Ein stilles: „Wie konnte es so weit kommen?“ Hier wird Allah nicht angerufen, sondern als Zeuge eingeladen – einer, der die Absurdität der Welt bestätigen soll.

Dreimal Allah – das ist keine Steigerung mehr, das ist Eskalation. Wer es ruft, steht kurz vor dem Nervenzusammenbruch oder dem Angriff. In beiden Fällen ist Abstand ratsam.

Historisch war es der Schlachtruf der osmanischen Janitscharen. Heute ist es der Klang, mit dem Tumulte beginnen. Ob auf dem Markt in Aleppo oder in der Warteschlange beim ägyptischen Amt – „Allah, Allah, Allah!“ bedeutet: Hier bahnt sich etwas an.

Orientalische Vielstimmigkeit: Zwischen Glaube und Gebrauch

Im westlichen Diskurs wird Allah oft reduziert auf ein theologisches Prinzip – fern, dogmatisch, ein Monolith. Im Alltag des Orients aber ist Allah ein flexibler Begleiter, emotional verfügbar, durchlässig für Ironie, Zorn und Zärtlichkeit.

In Cafés, Taxis, Wohnzimmern und Fernsehstudios wird das Wort eingesetzt wie ein Joker: als Ausdruck des Unglaubens, der Empörung oder der Zustimmung. Die Theologie hat Allah festgelegt – das Volk hat ihn sich zurückgeholt. Mal fürs Drama, mal fürs Lächeln, mal fürs Leben dazwischen.

Die Sprachen des Orients sind keine neutralen Werkzeuge – sie sind Bühnenstücke. Ein Wort wie „Allah“ sagt mehr über Gesellschaften aus als tausend Expertenanalysen. Wer genau hinhört, erkennt: Zwischen einem Seufzer und einem Schlachtruf liegt manchmal nur eine Silbe. Oder gar Jahrhunderte.

 

Ahmet Refii Dener ist Türkei-Kenner, Unternehmensberater, Jugend-Coach aus Unterfranken, der gegen betreutes Denken ist und deshalb bei Achgut.com schreibt. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite und bei Instagram.

Foto: Nevit Dilmen - Selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 29.06.2025

@ Ilona Grimm - “Schade, dass keiner weiß, ob der Bauer seine Rechnungsstellung überlebt hat.” - Eine ähnliche Geschichte gibts -ich glaube- zum “Alten Fritz”. Königs war mit seinem Zossen unterwegs, der sodann neue “Besohlung” brauchte. Zum Preis gefragt erklärte der Schmied, “Für den 1. Nagel 1 Taler, dann immer verdoppelt.” Königs willigte ein, weil er nur “1 Taler” registrierte, nicht überdachte, wieviele Nägel bei 4 Eisen am ende zu welchem Ergebnis führen. Aber vermutlich nur eine Mathe-Textaufgabe ohne realen geschichtlichen Hintergrund.

Theo Ludewig / 29.06.2025

Welch schöne Zeit war es, zu der ich mich (als Bewohner Mitteldeutschlands) mit solchem Kram nicht beschäftigen brauchte! Die Mächtigen vergangener Jahrhunderte in Europa hatten immerhin genug Verstand und Verantwortungsgefühl, unter einigen Mühen doch immer wieder den Kontinent sauberzuhalten. Man denke an die Beendigung der Belagerungen von Wien 1529 und 1683 oder auch 1492 an die Reconquista auf dem Gebiet des heutigen Spaniens. Natürlich gab es bereits zu Zeiten des deutschen Kaisers so einen gewissen Orientalen-Spleen in unserer Gesellschaft, vermehrt war er ausgeprägt dann bei den Herrschaften ab 1933. Bei dem heutigen zusammengewählten Polit-Personal weiß man nicht so genau, ob nun fehlendes intellektuelles Potential oder aber (wahrscheinlicher) Verrat und Opportunismus den größeren Ausschlag für die Förderung der Masseninvasion und die Ausplünderung der Bürger geben. Es ist nun zu befürchten, daß wir den Besatz nie wieder loswerden und mit den beschriebenen Gepflogenheiten zwangsläufig befaßt werden. Widerlich.

Wilfried Cremer / 29.06.2025

Hallo Herr Dener, ich habe mal einen Wälzer mit türkischen Sprichwörtern gelesen (natürlich in der deutschen Übersetzung). Da kam sehr viel Aberglaube drin vor (böser Blick usw.). Aber auch Lustiges. Jedenfalls war’s nicht langweilig.

Lutz Liebezeit / 29.06.2025

Jetzt sind all hier, vor denen Sie damals geflohen sind. Die Frage ist, ob die Türkei damit nicht aufgerückt ist zum sicheren Herkunftsland? 1950 lebten 21 Millionen Türken, 2024 sind das 87,5 Millionen Türken. Die Geburtenrate soll bis 2050 weiter steigen, bevor sie dann als Hoffnungswert abknickt. Ausser China hat es kein Land überhaupt in Erwägung gezogen, die Geburtenraten in den Griff zu kriegen. Ob der chinesische Weg der richtige war, sei dahin gestellt, aber mit solchen Geburtenraten werden nicht nur die Türken zur invasiven Art. Keine Wunder, daß der graue Wolf den Mond anheult.

Lutz Liebezeit / 29.06.2025

Um Gottes willen! Jesus, Maria und Josef! Heilöioge Maria! Jesus hilf! Grüß Gott! Gotterbarmen! Für Gotteslohn arbeiten. Im Namen Gottes! Von Gott verlassen! Gott sei’s geklagt! Gott befohlen! In drei Teufels Namen, die Wendungen hört man nicht mehr, das heißt, das christliche Abendland ist nach jahrzehntelangem Siechtum verstorben. Das hatte seinen Nullzustand mit der Ehe für alle erreicht. (E.Todd) Der Islam war von Anfang an eine emotionale Fehlanpassung, um der direkten Konfrontation mit dem Parteienapparat zu entgehen. Jetzt kann man mit einer Parole der unbequemen Sachlage entgehen, muß dafür allerdings soziale Nachteile in Kauf nehmen. So gesehen, hat “Allah” Gemeinsamkeit mit den “Fällen” der Pandemie. Jeder verzerrt die Realität, so gut er kann. So verhindert man das Nachdenken. Meine Landsleute sind mir zu subversiv geworden. Die waren das sicher schon immer. Ich habe das ausgeblendet und in einer falschen Realität gelebt.

Rainer Möller / 29.06.2025

Was haben wir denn da so anzubieten: 1. “Gott” entschuldigend im Sinne von “naja”: “Gott, ich kann auch nicht an alles denken.” (Und viele Zusammensetzungen: bi Gott, Pfüat Gott etc.) 2. “Jesses” als Ausdruck des Entsetzens, noch gesteigert als “Jesses Maria”. 3. Vom Hl. Geist gibt es da gar nichts, oder?

Wolfgang Weber / 29.06.2025

@ Hans-Joachim Gille: “Es gibt kein Christliches Abendland. Es existiert nur ein zwangschristianisiertes Abendland. Denn, Herr/Frau Jamonnig, wo kommen Ihre Gebote her? Genau, aus dem Morgenland. Interessiert zum Glück keine Sau mehr. Was uns aber interessieren sollte, ist die Motivation des Herrn Dener. Was will er von uns, wenn Er uns mit der nächsten Scheißhaus-Nummer aus dem Morgenland bekannt macht? Will Er als Eroberer uns assimilieren, missionieren? Angesichts dieser Faktenlage um Herrn Deners Beweggründe, sollte Herr Dener dann doch darüber nachdenken, ober Er hier bei uns oder doch besser bei Erdo in Ankara richtig ist?” Wie kommen Sie auf so absurde Behauptungen, dass das Abendland zwangschristianisiert wurde? Woher haben Sie so ein Zeug? Ich habe Neuere und Mittlere Geschichte studiert. Letzteres steht für mittelalterliche Geschichte. Dass das Abendland zwangschristianisiert wurde, hat nur in ihrem Kopf stattgefunden. Durch die von Kaiser Konstantin geschaffene sogenannte “Konstantinische Wende” im Jahre 313 wurde die zuvor blutig verfolgte christliche Kirche nun geduldet. Im Jahre 380 wurde sie dann - neben anderen Religionen -  zur Staatsreligion erhoben. “Zwangschristianisiert” wurden im Mittelalter bisweilen Juden, aber das hat nun wirklich nichts mit Ihrer Behauptung zu tun, dass das Abendland zwangschristianisiert wurde. Was Ihre Bemerkungen zu Herrn Dener angeht, dessen Beiträge ich immer sehr schätze, so nährt sich in mir immer mehr der Verdacht, dass Sie nur auf der Seite sind, um wahllos gegen Artikel der Autoren und Kommentare der Foristen zu pöbeln. Sie bringen völlig absurdes Zeug, das Sie irgendwo aufgeschnappt haben, und sind am Rumnölen. Inhalt: absolut unterste Schublade. Sie sind wie aus einer anderen Welt. Eine Welt, in der “eigene Gesetzesmäßigkeiten des Denkens” herrschen, um es höflich auszudrücken.

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