In einem Beitrag für das „neue deutschland“ erhebt die deutsch-türkische Feministin und Autorin Sibel Schick schwere Vorwürfe gegen die Menschenrechtsorganisation „Terre des femmes“. Diese sei „nicht nur transfeindlich, sondern auch rassistisch“. Warum? Im Artikel heißt es:
„Am 12. September veröffentlichte die Frauenrechtsorganisation Terre Des Femmes (TDF) ein Positionspapier zur Transgeschlechtlichkeit, in dem sie ihre Haltung zu Menschen, die nicht cis- oder zweigeschlechtlich sind, klarmachte: Für die patriarchale Geschlechterordnung sei das ‚biologische‘ Geschlecht (gemeint sind vermutlich die Reproduktionsorgane, denn was sonst) der einzige Anlass für die Unterdrückung von Mädchen und Frauen.“
Terre des femmes leistet also einen Beitrag zur aktuellen Debatte, inwiefern Trans-Frauen vorbehaltlos als biologische Frauen akzeptiert werden sollten. Der Diskurs hatte Ende 2019 an Dynamik gewonnen, nachdem J. K. Rowling die Wissenschaftlerin Maya Forstater öffentlich unterstützte, die ihren Job verloren hatte, weil sie geäußert hatte, dass Männer keine Frauen werden könnten. J. K. Rowling hatte damals getwittert:
„Dress however you please. Call yourself whatever you like. Sleep with any consenting adult who’ll have you. Live your best life in peace and security. But force women out of their jobs for stating that sex is real?“
(„Trage, was Du willst. Nenn Dich, wie Du willst. Schlafe einvernehmlich mit jedem Erwachsenen, der Dich will. Lebe Dein bestes Leben in Frieden und Sicherheit. Aber Frauen aus ihren Jobs drängen für die Aussage, dass Geschlecht real ist?“)
Den Rassismus-Vorwurf verteilt die Aktivistin ebenso leichtfertig
Im Juni dieses Jahres war J. K. Rowling erneut durch einen Essay aufgefallen, in dem sie unter anderem schrieb:
„Es ist mir schon seit einiger Zeit klar, dass der neue Trans-Aktivismus einen bedeutenden Einfluss auf viele der von mir unterstützten Anliegen hat (oder wahrscheinlich haben wird, wenn alle seine Forderungen erfüllt werden), weil er darauf drängt, die gesetzliche Definition von Geschlecht („Sex“ im Original, Anm. d. Verf.) auszuhöhlen und durch „Gender“ zu ersetzen.“
Ähnlich wie die LGBTQ-Community und Teile der Öffentlichkeit, die die Harry Potter-Autorin für ihre Äußerungen angreifen, wirft Sibel Schick Terre des femmes also Transphobie wegen des Beharrens auf biologischen Geschlechtern vor. Den Rassismus-Vorwurf verteilt die Aktivistin Schick ebenso leichtfertig, indem sie die Organisation zusätzlich für einen kürzlich erschienenen Brief kritisiert, in welchem Terre des femmes den Berliner Bürgermeister Michael Müller zur Einhaltung des Neutralitätsgesetzes aufruft. Anlass war die erfolgreiche Klage einer Berliner Lehrerin gegen das Verbot, im Dienst ein Kopftuch zu tragen.
Der Kreis schließt sich für Sibel Schick mit der Unterstellung, dass Terre des femmes sich „auch auf anderen Ebenen die Tür nach Rechtsaußen offen“ halte, namentlich durch Links auf der Website des Vereins zu „Tichys Einblick“ sowie durch Beiträge der Terre des femmes-Vorstandsfrau Necla Kelek bei der „Achse des Guten“. Letztere betätige sich außerdem – Oh, Schreck! – als Co-Autorin von als rechts gelabelten „Akteur*innen wie Birgit Kelle und Thilo Sarrazin“. Die unverblümt kritische Birgit Kelle sorgt aktuell mit ihrem Buch „Noch normal? Das lässt sich gendern“ für Furore, in dem sie die aktuelle Gender- und Identitätspolitik kritisiert.
Radikale Kritiker werden trotzdem auf den Plan gerufen
Alles in allem ist der Beitrag Sibel Schicks nichts Ungewöhnliches. Die Vorwürfe gegen Terre des femmes und vor allem die unterstellte Kontaktschuld durch ebenfalls verunglimpfte Protagonisten gehört in der politisch-korrekten Welt zur traurigen Realität.
Eine besondere Note bekommt die Angelegenheit jedoch, wenn man die von Schick kritisierte Schrift von Terre des femmes einmal näher betrachtet. Dabei zeigt sich nämlich, dass die vorgebrachte Kritik an der Gleichmacherei von biologischen Frauen und Trans-Frauen in den allerbehutsamsten Tönen und mit der allergrößten Rücksichtname vorgebracht wird. Darunter leidet jedoch die Stringenz der Argumentation von Terre des femmes, nicht zuletzt weil auf dem Unterschied zwischen „Sex“ (biologisches Geschlecht) und „Gender“ (soziales Geschlecht) beharrt wird. Diese Einteilung kann man als Zugeständnis interpretieren, um in politisch-korrekten Kreisen zu bestehen. Doch der Schuss geht nach hinten los, denn wie sich zeigt, werden radikale Kritiker wie Sibel Schick trotzdem auf den Plan gerufen.
Im Positionspapier von Terre des femmes macht der Verein zunächst sein grundlegendes Anliegen klar:
„Als Frauenrechtsorganisation wendet sich TDF gegen jede Form von Menschenrechtsverletzungen, denen Mädchen und Frauen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ausgesetzt sind, ungeachtet ihrer konfessionellen, politischen, ethnischen und nationalen Zugehörigkeit sowie ihrer sexuellen Identität. Dieser Zweck ist in unserer Satzung verankert und dort, ebenso wie in unserem Feministischen Leitbild, definieren wir 'Frauen' – in Übereinstimmung mit der Definition Internationaler Konventionen (z.B. CEDAW und Istanbul-Konvention) und des deutschen Duden – als ‚Personen des weiblichen Geschlechts‘.“
Desweiteren solidarisiere sich der Verein „mit allen Menschen, die sich aufgrund ihrer Ausgrenzungserfahrung in der LGBTQI+ Community politisch zusammengeschlossen haben.“ So weit, so nachvollziehbar. Als nächstes möchte der Verein erklären, warum er sich jedoch auch weiterhin explizit den Belangen biologischer Frauen verschrieben hat. Hierfür tätigt er einen aus meiner Sicht unnötigen Argumentations-Schritt, der die Eindeutigkeit der vorherigen Aussage schmälert:
Warum wird mit „Sex“ und „Gender“ gearbeitet?
„Für die patriarchale Geschlechterordnung ist das biologische Geschlecht (Sex) der Anlass für die Unterdrückung von Mädchen und Frauen. Patriarchale duale Logik trennt und hierarchisiert Menschen entlang des biologischen Körpers von männlich und weiblich. Aus biologischen Unterschieden (biologisch Geschlecht/Sex) werden soziale Geschlechter (Gender) konstruiert, die als ‚natürlich‘ vermittelt und dann so wahrgenommen und systemkonform erlebt und gelebt werden.“
Ich glaube, den meisten erschließt sich, was Terre des femmes mit diesem Absatz ausdrücken möchte: Natürlich gibt es aufgrund des biologischen Geschlechts bestimmte Klischees, Stereotype und Erwartungen sowohl an Männer als auch an Frauen. Terre des femmes führt als Beispiele für derartige Vorstellungen an: „Frauen sind emotionaler, weil sie Frauen sind, Frauen müssen Kinder kriegen und für sie sorgen, weil sie biologisch dazu befähigt wurden etc.“
Ich verstehe jedoch nicht, warum an diesem Punkt mit einer Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Gender“ gearbeitet wird. Nur weil eine Frau keine Kinder bekommen möchte, obwohl ihr Umfeld dies von ihr erwartet, heißt das doch noch lange nicht, dass die Frau mit diesem Entschluss ihr „soziales Geschlecht“ ändern würde. Sie würde womöglich mit einer gängigen Praxis oder meinetwegen mit einem Stereotyp brechen.
Keine Begriffe mehr, die Unterdrückung von Frauen zu artikulieren
Dass es destruktiv ist, auf dieser Basis zu diskutieren, beweist die Schrift von Terre des femmes paradoxerweise kurze Zeit später selbst:
„Die Struktur patriarchaler Macht kann jedoch nicht bekämpft werden, wenn der Anlass der patriarchalen Geschlechterordnung – die Biologie (Sex) – mit Gender gleichgesetzt wird.
Kein Mädchen dieser Welt kann innerhalb des Patriarchats der Zweitrangigkeit und potentiellen sexuellen Ausbeutung und Gewalt entrinnen, indem sie sich als ‚Nicht‘-Mädchen‘ fühlt und deklariert. Kein Junge dieser Welt, der sich per Willenserklärung vom, Junge-Sein" (sic!) verabschiedet, kann den patriarchalen Erwartungen entrinnen, die ihn als zum ‚stärkeren Geschlecht‘ gehörig definieren.“
Damit wird auf ein von Kritikern öfters vorgebrachtes Argument eingegangen, dass man nicht einerseits die biologischen Geschlechter nivellieren und andererseits sich für Frauenrechte einsetzen kann. Wenn man „Frauen“ nicht mehr anhand ihres biologischen Geschlechtes definieren kann, hat man auch keine Begriffe mehr, die Unterdrückung von Frauen zu artikulieren.
Außerdem wird deutlich gemacht, dass das biologische Geschlecht für eine Biografie ein wichtiger Faktor ist – unabhängig davon, ob man möglicherweise eine andere Geschlechtsidentität hat. Auch dies hinterfragt die Wertigkeit des Begriffes „soziales Geschlecht“.
Moderate Anliegen in einen Appeasement-Kokon hüllen
Dies scheint Terre des femmes im Folgenden zu bekräftigen:
„Als Frauenrechtsorganisation fordert TDF seit 40 Jahren weibliche Selbstbestimmung: my body my choice! TDF grenzt sich allerdings ab von extremen Positionen, die Frauen das Frausein absprechen wollen und damit den körperbezogenen Begriff ‚Geschlecht‘ beziehungsweise ‚Frau‘ löschen wollen. TDF macht sich schon immer dafür stark, dass geschlechtsspezifische Daten erhoben werden müssen. Durch Bestrebungen, den Geschlechtseintrag bei der personenstandsrechtlichen Registrierung abschaffen zu wollen, wäre dies, entgegen den internationalen Verpflichtungen Deutschlands (…) unmöglich. Statistiken zu geschlechtsspezifischer Gewalt (Partnerschaftsgewalt, Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Femizid, Ehrverbrechen, Menschenhandel usw.), dem Gender Pay Gap und sämtlichen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht würden damit abgeschafft.“
Außerdem kritisiert der Verein in seinem Schreiben, dass es Trans-Frauen ermöglicht würde, sich Zugänge zu Räumen zu verschaffen, in denen (biologische) Frauen unter sich sein wollen. Auch dieses Kern-Anliegen wird stark verklausuliert formuliert:
„Wir unterstützen das Recht, das empfundene Geschlecht auszudrücken, setzen aber dort Grenzen, wo dieser Ausdruck das Recht von Frauen auf eigene Räume (z.B. Frauenhäuser) und Selbstorganisation auch unter Bezug auf den Körper betrifft.“
Ebenfalls wird die „undifferenziert(e) und ohne fachkundige Prüfung und Beratung“ vollzogene Geschlechtsumwandlung von Minderjährigen kritisiert.
Die letzten beiden Punkte sind übrigens auch Kernanliegen der bereits erwähnten Publikation von Birgit Kelle.
Anhand dieses Beispiels wird deutlich: Selbst ein etablierter Verein wie Terre des femmes muss augenscheinlich moderate und vernünftige Anliegen in einen Appeasement-Kokon hüllen, um sich vor Anfeindungen zu schützen. Und wird trotzdem angegriffen. Um der stetigen Verengung des Diskurses entgegenzutreten, ist aus meiner Sicht eine klare und deutliche Sprache wichtig. Und der Verzicht auf vorauseilenden Gehorsam.