Im letzten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC aus dem Jahr 2007 hieß es noch, die wahrscheinliche Erwärmung des Globus um zwei Grad Celsius bis zum Jahr 2100, ausgelöst durch den menschlichen Kohlendioxid-Ausstoß, werde katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen: Dürre, Fluten, Hitzewellen, und ein Drittel aller Arten werden aussterben. So katastrophal sieht man die zwei Grad heute nicht mehr, denn die Klimakonferenzen seither haben gezeigt: Der CO2-Ausstoß wird erst mal absehbar deutlich weiter ansteigen, das Schreckensszenario mit den zwei Grad war offenbar nicht ausreichend. Die zwei Grad wandelten sich deshalb in den Szenarien einiger tonangebender Institute von der Katastrophe unversehens zum angestrebten Ziel, um den Katastrophen-Verbraucher bei Laune zu halten. Merke: Es ist immer nur fünf vor zwölf, nach zwölf gibt es nicht, egal was geschieht und wie schnell die Uhr läuft.
Neue Devise also, vor zwei Jahren bei der UN-Klimakonferenz in Cancun beschlossen und verkündet: Der Mensch müsse dafür sorgen, das sich die Erde um zwei Grad erwärme und kein bisschen mehr, man müsse sofort und umfassend handeln, um das Ziel zu erreichen. Die Experten vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), von der Weltbank jüngst mit einer Studie beauftragt, zogen also die Schraube weiter an. Jetzt werden drohende vier Grad in den Vordergrund gestellt, die unbedingt vermieden werden sollten. Die „Tipping Points“, bei denen das Klima umzukippen drohe, einst in der Nähe von zwei Grad verortet, lägen nun „weit dahinter“, im Bereich eben jener vier Grad. Haben sie damit jemand Angst eingejagt? Viel Beachtung hat die PIK-Studie nicht erhalten. Die tatsächlichen Temperaturen kommen sowieso längst nicht mehr hinterher. Hans Joachim Schellnhuber, Chef des PIK, schaut deshalb noch weiter nach vorn: Sechs Grad, wenn auch erst bis 2030, dann vielleicht aber auch acht Grad. Oder mehr.
Im Nachbarinstitut in Potsdam, im Geoforschungszentum (GFZ), haben die erfahrenen Geoforscher in den oberen Etagen sowieso vor zwei Jahren schon die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und einen Beschluss von Klimaforschern, eine bestimmte Gradzahl bei den Veränderungen der globalen Temperaturen anzustreben, als absurd angesehen.
Viele beteiligen sich derzeit an den Prognosen und Ratschlägen für die anzustrebenden Grad Celsius. Die Uni Bonn geht von 3,5 Grad bis 2100 aus, wenn wir so weiter machen wie bisher. Der Club of Rome hat genau nachgerechnet und kommt auf zwei Grad schon bis 2052, und 2080 sollen es dann 2,8 Grad wärmer sein als heute. Was die Großrechner der Klimaforscher eben hergeben. Die Verdoppelung des CO2 in der Luft ergibt mal 1,5 Grad Erwärmung, mal 4 Grad. Ein internationales Forscherteam in China kommt zu dem Ergebnis: Zwei Grad bis 2100 sind zu erreichen, wenn wir bis 2050 die Emissionen halbieren — und das alles mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit. Wer den letzten Zusatz nicht vergisst, ist sowieso stets auf der sicheren Seite.
Die Frage, wann es jetzt nach 14 Jahren Pause überhaupt mal wieder wärmer wird, will niemand beantworten, wie überhaupt die Prognose-Zielpunkte allesamt ausschließlich in ferner Zukunft liegen, und stets nach vorne mitwandern. Wissenschaftstheoretiker sprechen in so einem Fall eigentlich von unzulässiger Immunisierung der Hypothesen, weil die Falsifikation ausgeschlossen ist. Zu Vorhersagen für 2020 oder 2030 ist fast niemand bereit. Eine oder zwei Generationen will man ins Land gehen lassen, mindestens, bevor man seine Prognosen überprüfen muss – oder eben auch nicht mehr: Die meisten lieben als Zielzeitpunkt das Ende dieses Jahrhunderts. Da hat man dann doch aus früheren Zeiten gelernt. Etwa von Prognosen, wie sie der „Spiegel“ im Juli 1989 für den allzu nahen Zeitpunkt 2030 wagte, für den er einen Temperaturanstieg von 1,5 bis fünf Grad vorhersagte und sich dabei unter anderem auf das Goddard-Forschungszentrum der Nasa berief. Der seitherige Verlauf der globalen Temperaturen hat damit jedenfalls nichts zu tun.
Sowieso ist es frappant, dass bei all den Prognosen, egal ob eineinhalb, zwei, sechs oder acht Grad die Angaben offenbar absolut gesetzt werden. In diesen Vorhersagen, so stellen sie sich jedenfalls nach außen dar, spielen natürliche Einflüsse auf das Weltklima gar keine Rolle mehr. Weggerechnet, herausgekürzt. Als hätte es sie nie gegeben, die gehörigen Schwankungen der Temperatur in den vergangenen Jahrtausenden. Übrig bleibt: Das Klima wird allein vom Menschen gemacht.
Dabei hat die Forschung darüber, wie sich die Sonnenaktivität über die Wolkenbildung auf die Entwicklung der Temperatur auf der Erde auswirkt, in den letzten zwei, drei Jahren hoffnungsvolle Ergebnisse gezeigt, etwa am CERN-Forschungszentrum in Genf, oder am National Space Institute in Dänemark; ihre Korrelationen über viele – durchaus klimabewegte – Jahrhunderte stimmen, die theoretische Physik wird immer besser verstanden, die ersten empirischen Bestätigungen stehen.
Zur Mitarbeit am nächsten Sachstandsbericht des IPCC, an dem viele hundert Forscher beteiligt sind, ist aus diesen weltweit ansonsten anerkannten Instituten niemand geladen.
Zierst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT.