Richard Wagner / 15.10.2008 / 08:13 / 0 / Seite ausdrucken

Tatort Linkspartei

Noch ist die Finanzkrise nicht wirklich überwunden, und schon meldet sich die Spaßgesellschaft zurück, wohl um uns das wahre Grauen, das uns die Normalität zu bieten hat, in Erinnerung zu rufen.

Der deutsche Durchschnittsbürger meldet zwar häufiger denn je seine gefühlte Armutssituation zur Debatte an, der vermeintliche Ernst der Lage konnte ihm aber bisher nicht einmal die Langeweile nachhaltig austreiben.

Grund genug für Gysi und Lafontaine ihre Spaßkompetenz von neuem ins Spiel zu bringen. Die beiden Kapellmeister haben uns gestern den Präsidentschaftskandidaten der Linkspartei vorgestellt, wobei die deutsche Öffentlichkeit einen solchen ungefähr so dringend braucht wie Mallorca einen König.

Die Spaßgesellschaft aber zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch in Zeiten der erlebten Knappheit den Eindruck von Überfluss erweckt, und sei es nur durch überflüssige Aktivitäten.

Als wollte man einen weiteren Nachweis dafür erbringen, dass unsere Realität, wie wir sie wahrzunehmen belieben, nicht ganz den Tatsachen entspricht, um nicht zu sagen, dass wir zwar über unseren Verhältnissen leben doch unterhalb des angenommenen Niveaus.

Kurzum, man präsentierte uns einen ehemaligen Tatortkommissar aus Halle an der Saale, genauer, seinen erfolgreichen Darsteller Peter Sodann als Kandidaten für das höchste politische Amt der BRD. Das aber sagt nicht bloß etwas über den Kandidaten aus, wie man jetzt meinen könnte, sondern auch über den gesellschaftlichen Status der Tatort-Serie in Deutschland oder, verallgemeinert, über die Vermischung von Realität und Fiktion.

Das Problem: Unter einem Tatort kann sich beinahe jeder Durchschnittsdeutsche mehr vorstellen als unter der deutschen Realität. Dafür ist Sodann ja auch nicht nur Tatortkommissar oder Tatortkommissardarsteller. Er ist auch Kabarettist und, fast hätte ich es vergessen, Bundesverdienstkreuzträger.

Sodann hat nämlich in einer spektakulären Sammelaktion die Bücher der DDR gerettet, als das Volk im Verein mit den Treuhandbrüdern, diese auf dem Müll der Geschichte sehen wollte. Er pflegt aber auch eine gesamtdeutsche Freundschaft, und zwar mit Norbert Blüm, mit dem er in einem Ost-West-Kabarettprogramm auftritt. Blüm ist dort der Herz-Jesu-Marxist und Sodann der betende Kommunist. Damit bleibt sozusagen für alles gesorgt, für jede Lebenslage, hier wie dort, hüben und drüben, im Diesseits und im Jenseits auch. Und das macht dem deutschen Michel Spaß.

Ist es nicht nett, einen Präsidentschaftskandidaten zu haben, den man, wenn es die Regularien erlaubten, sogar wählen könnte, ohne dass die Gefahr bestehen würde, dass er die Wahl gewinnt? Das ist die Welt, wie man sie gerne hätte, eine Spielstätte ohne Risiko. So wie sich der Laie den Kommunismus vorstellt: Der Mann wirft lässig Chips auf den Tisch und die Bank zahlt, egal, wie die Zahlen stehen. Und es trifft auch zu, dass im Kommunismus die Zahlen nicht zählen, die Menschen zählen ja auch nicht. Und um davon abzulenken, brauchen die Linkspopulisten manchmal die Kapitalismuskrise und manchmal Peter Sodann.

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