Von Peter Hemmelrath.
Der Prozess um Tarik S. geht weiter (Achgut berichtete). Doch sieht es für den Angeklagten gar nicht so schlecht aus.
„Homosexualität ist keine gute Sache. Ich bin nicht dafür“, sagt Riza K. bei seiner Vernehmung als Zeuge. „Das wird das Volk verderben. Es ist nicht menschlich.“ Im Saal 201 des Duisburger Landgerichts macht sich ungläubiges Staunen breit. Denn das Vorstandsmitglied der 2009 von ihm gegründeten Deutsch-Islamischen Gemeinde Bielefeld war nicht zu einem Referat über Homosexualität geladen. Sondern dazu, um Fragen über sein Verhältnis zum Angeklagten Tarik S. zu beantworten, als dessen engen Vertrauten Ermittler den 54-Jährigen offenbar sehen.
Und dem hatte sich Riza K. bei seinem ersten Vernehmungstermin durch Nichterscheinen entzogen. Daraufhin ordnete der Vorsitzende Richter Mario Plein seine polizeiliche Vorführung an. Als diese dafür sorgte, dass Riza K. endlich vor Gericht erschien, konnte oder wollte er über Tarik S. aber nur wenig sagen. An S. sei ihm 2023 nichts Besonderes aufgefallen, behauptete er. Auch als der Kammervorsitzende hartnäckig Details aus den ungewöhnlich langen Gesprächen zwischen Tarik S. und Riza K. wissen wollte, konnte sich der 54-Jährige nicht mehr erinnern. Dafür nutzte er die Frage danach, ob sich Tarik S. ihm gegenüber zur LGBTQ-Szene geäußert habe, zu seiner unerwarteten Tirade gegen Homosexuelle. Dem machte Plein aber schnell wieder ein Ende: „Wir sind nicht hier, um solche Meinungen auszutauschen“, sagte der Richter.
Tarik S. selbst verfolgt seinen Prozess schweigend und stets freundlich lächelnd. Seit 25. Juli muss er sich vor dem Landgericht verantworten. Vorgeworfen wird ihm, dass er sich gegenüber einem Mittelsmann der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) in Syrien dazu bereit erklärt habe, in Deutschland einen Anschlag zu begehen. Der erste Hinweis auf seine mutmaßlichen Anschlagsabsichten kam im September 2023 vom marokkanischen Geheimdienst. Nach einem Hinweis des Bundeskriminalamts (BKA), der 30-Jährige könne mit einem Lkw in eine pro-israelische Kundgebung fahren wollen, wurde er am 24. Oktober in Untersuchungshaft genommen. Bereits 2017 wurde er wegen IS-Mitgliedschaft vom Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) zu fünf Jahren Jugendhaft verurteilt. Die jetzige Anklage geht davon aus, dass der IS ihn und seine damalige Frau 2016 nur deshalb gehen ließ, damit er später mit einem Anschlag in Deutschland beauftragt werden kann.
„Der redet Scheiße“
Bislang aber ist es der Anklage nicht gelungen, die Theorie auch zu beweisen. Am ehesten noch Beweiskraft dürfte eine Messenger-Nachricht von Tarik S. haben, die er an den IS-Mittelsmann in Syrien geschickt haben soll. Darin hatte der jetzt in Duisburg lebende Tarik S. geschrieben, er freue sich darauf, „seine Wohnung zu verlassen, um wieder für Gottes Sieg zu kämpfen, bis zum Sieg oder zu sterben“. Auch soll Tarik S. in einem Nasheed, einem jihadistischen Kampflied, gesungen haben, er wolle „die Nacken der Kuffar (Ungläubigen) spalten“.
Mit einem Zeugen, der ebenfalls in der Justizvollzugsanstalt Düsseldorf inhaftiert ist, erlitt die Anklage bereits Schiffbruch. Der Mann hatte behauptet, Tarik S. habe dort erst vor wenigen Wochen weitere Anschläge angekündigt und mit Hinrichtungen sowie Vergewaltigungen während seiner Zeit beim IS geprahlt. Aber bereits während der fast 80-minütigen Vernehmung ergaben sich Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. So stellte sich auf Nachfragen des Richters etwa heraus, dass er wegen des Vorwurfs des Drogenhandels einsitzt und noch nicht verurteilt wurde. Dass ihm für seine Aussage Vergünstigungen oder Vorteile für sein eigenes Verfahren in Aussicht gestellt wurden, bestritt er jedoch vehement.
Als Mutlu Günal, der Verteidiger von Tarik S., ihm dies nicht glauben wollte, wurde der Zeuge ausfallend. „Das ist ein ganz billiger Anwalt, billiger als ein Döner“, beleidigte er den Strafverteidiger. Um das Problem zu lösen, lud Mario Plein zwei weitere Mithäftlinge als Zeugen. Aber niemand war überrascht, als die jungen Männer am Dienstag letzter Woche keine einzige der Darstellungen des mutmaßlichen Drogenhändlers bestätigten. „Der hat einen am Helm“, sagte einer der Männer. „Der redet Scheiße.“
LGBTQ-Szene oder Islam-Kritiker als mögliche Opfer
Damit läuft es im Ergebnis immer wieder darauf hinaus, dass sich die Ermittler vor Gericht auf die insgesamt drei Hinweise des BKA an die örtliche Polizei beziehen. Etwa auf einen Hinweis vom 6. Oktober, in dem das BKA davor gewarnt hatte, Tarik S. könne auch einen Anschlag auf eine Veranstaltung der LGBTQ-Szene oder Islam-Kritiker planen, etwa auf Michael Stürzenberger oder Irfan Peci.
„Das sind politische Aktivisten, die islamfeindlich auftreten“, sagte ein Ermittler. „Aber es passte ins Bild. Der Hinweis war nicht aus der Luft gegriffen.“ Damit bezog er sich offenbar auf einen Wochen zuvor vernommenen Kollegen, der berichtet hatte, dass Tarik S. Stürzenberger und Peci in einem Chat gegenüber Glaubensbrüdern in wenig freundlicher Manier „vorgestellt“ hatte.
Was genau er zu ihnen geschrieben haben soll, blieb jedoch offen. Im Gegensatz etwa zu Verfahren bei einem OLG, wo für die Beweisführung relevante Chat-Einträge von Islamisten zumeist auf einer Großleinwand gezeigt oder bei ihnen beschlagnahmte Video- und Audio-Dateien vorgespielt werden, bleibt in Duisburg für Journalisten und Zuschauer vieles im Dunkeln. Immer wieder fällt auf, dass Presseartikel, die im Oktober 2023 aus Anlass der Verhaftung von Tarik S. verfasst wurden, mehr und präzisere Details zu seinen Chat-Aktivitäten enthalten als die Beweisaufnahme in öffentlicher Hauptverhandlung.
Nur wenig Interesse, Licht in das Dunkel der Causa Tarik S. zu bringen
Dazu passt auch, dass mindestens ein mögliches Anschlagsziel nie von den Behörden über die Erkenntnisse der Ermittler informiert wurde: So teilte Irfan Peci letzte Woche mit, erst durch die Veröffentlichung von Achgut.com erfahren zu haben, dass es einen Hinweis des BKA an die NRW-Polizei gegeben habe, Tarik S. könne ein Attentat auf ihn planen.
Ob auch Michael Stürzenberger nicht über die möglichen Absichten von Tarik S. informiert wurde, ist bislang unklar: Mit Verweis auf seine derzeitige Bedrohungslage wollte sich der Islam-Kritiker, der bereits am 31. Mai in Mannheim von einem mutmaßlichen Islamisten mit einem Messer angegriffen und dabei schwer verletzt wurde, nicht dazu äußern. Und auch das nordrhein-westfälische Innenministerium hüllt sich in Schweigen und ließ eine entsprechende Nachfrage, die bereits am 26. August an das Ministerium versendet wurde, bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Auch sonst zeigt das von dem CDU-Politiker Herbert Reul geleitete Haus nur wenig Interesse, Licht in das Dunkel der Causa Tarik S. zu bringen: So mussten zwischenzeitlich zwei als Zeugen geladene Mitarbeiter des Innenministeriums wieder vom Gericht abgeladen werden, da ihr Arbeitgeber ihnen keine Aussagegenehmigung erteilt hatte. Eine entsprechende Nachfrage beim Innenministerium, ob es zutrifft, dass es sich bei den beiden Zeugen um Mitarbeiter des Aussteigerprogramm Islamismus (API) handelt, blieb ebenfalls bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Gute Laune
Nach seiner Verurteilung in Düsseldorf hatte Tarik S. an dem von Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) seit Jahren gelobten API teilgenommen. Ob mit Erfolg, ist aber bis heute unklar: So sprach Mutlu Günal kurz nach der Verhaftung seines Mandanten gegenüber der Presse davon, Tarik S. habe das Programm erfolgreich absolviert und dafür sogar ein Belobigungsschreiben des Innenministeriums bekommen. Vor Gericht aber sprachen mehrere polizeiliche Ermittler davon, der 30-Jährige habe „sein Deradikalisierungsinteresse nur vorgetäuscht“. Erst in der letzten Sitzung sprach ein polizeilicher Staatsschützer davon, dass die Ermittler „naiv“ gewesen seien: „Wir wollten glauben, dass er deradikalisiert sei.“
Das Urteil gegen Tarik S. dürfte nicht vor November zu erwarten sein. Und zumindest nach derzeitigem Stand der Dinge können der 30-Jährige, der sich seinen Bart zwischen dem zweiten und dem dritten Verhandlungstag wieder abrasiert hat, und sein Verteidiger dem eher optimistisch entgegen sehen. Damit ist die gute Laune, mit der sich beide dem Gericht präsentieren, nicht unbegründet.
Die in der Beweisaufnahme bislang vorgetragenen Hinweise darauf, dass Tarik S. auch über seine API-Teilnahme und Haftentlassung hinaus ein begeisterter IS-Anhänger geblieben sein dürfte, mögen stichhaltig wirken. Das ist aber – für sich allein betrachtet – nicht strafbar. Es ändert nichts daran, dass eine Verurteilung eines Angeklagten nach den Grundsätzen unseres Strafrechts nur erfolgen darf, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Schuld im Sinne der Anklage zweifelsfrei erwiesen ist.
Lesen Sie auch den ersten Artikel: Tariks Doppelleben.
Peter Hemmelrath arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter.