Das Problem der großen Gewerkschaften sehe ich weniger in einer zu starken Vereinheitlichung als in einer übersteuerten Ideologisierung und einem Verlust des Verständnissen für den eigentlichen Sinn einer Gewerkschaft. Schließlich steht eine große, viele Berufe repräsentierende Gewerkschaft wie ver.di nicht zwangsläufig einer Differenzierung unterschiedlicher Interessen der von ihr vertretenen Berufstätigen entgegen. Aber wer sich heutige Gewerkschaftspositionen anguckt, der wird feststellen, dass es bei einem großen Teil davon gar nicht mehr um Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern geht. Entlarvend ist dabei nicht nur die immer wiederholte Forderung nach einem Mindestlohn (dessen größte Gegner die Gewerkschaften früher selber waren, weil sie einen solchen als Eingriff in ihren Bereich empfanden) sondern auch das massive Eintreten für eine höhere Alimentierung von Arbeitslosen (die naturgemäß keinen Arbeitgeber als Verhandlungspartner haben). Gemeinsam ist all diesen Forderungen, dass sie sich nicht gegen Arbeitgeber richten sondern gegen den Staat bzw. die Politik. Das hat auch in den klassischen Arbeiterberufen zu einem Ansehensverlust der Gewerkschaften geführt. Leicht nachvollziehbar: Warum sollte jemand Mitglied einer Gewerkschaft werden und sich dort engagieren, wenn das, was sie tut, viel eher in den Aufgabenbereich einer Partei fällt? Dann doch lieber gleich zum Original. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung natürlich in Berufen, die sich nie dem klassischen Arbeitermilieu zugehörig fühlten, die als Schlüsselpositionen große Macht auf ganze Industriezweige haben und in der Gesellschaft ein weit höheres Ansehen als der normale Industriearbeiter besitzen. Das Paradebeispiel hierfür sind sicher Piloten und Fluglotsen.
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