Thilo Schneider / 28.03.2022 / 16:00 / Foto: Timo Raab / 74 / Seite ausdrucken

Tanzende Tagediebe im Bundestag

Egal, was man über unsere Volksvertreter früherer Tage sagen mag – Stil hatten sie. Das lässt sich von den ach so lässigen Abgeordneten, die aktuell durch den Bundestag tänzeln, leider nicht sagen.

Der eine oder andere kann sich vielleicht noch an Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß, Joschka Fischer oder Helmut Kohl und Hans-Dietrich „Genschman“ Genscher erinnern. Und vielleicht hat er dabei die Bilder vor Augen: Schmidt rauchend, Fischer abgeschwitzt, Strauß und Kohl mit Alkohol und natürlich Strickjacken und gelbe Pullunder, Pfeifen, Zigaretten, Cognac. Aber hat man diese Politiker jemals mit dem Hintern wackelnd, tanzend gesehen? Gibt es von diesen im Wort- und übertragenen Sinne Schwergewichten lustige Videos oder Filme? Es gibt Aufnahmen von Konferenzen, alle mit gelockerten Krawatten in verrauchten Besprechungsräumen, und es gibt Aufnahmen aus den Parlamenten damals.

Der Einzige, der seinerzeit stilmäßig aus der Reihe tanzte, war Joschka Fischer, der in Jeans und Turnschuhen vereidigt wurde. Grüner eben. Über die Rolle in den Geschichtsbüchern der Genannten lässt sich gewiss trefflich streiten – aber eines dürfte unbestritten sein: Durch die Bank hatten sie Stil, und wenn damals von der „Würde des Hohen Hauses“, vulgo Parlament, die Rede war, dann erweckten die damaligen Politiker vielleicht nicht immer den Eindruck von Kompetenz – aber wenigstens von Ernsthaftigkeit. Keine launigen Tanzeinlagen, kein Klick-Bait-Shice zur Selbstdarstellung. Damals, als die Lage zwar ernst, aber nie hoffnungslos war. 

Aus, rum, vorbei, Ende Gelände, tschüss. 

Heute scheint die Lage augenscheinlich hoffnungslos, aber nicht ernst. Ob Abgeordnete der FDP, die sich zur Abstimmung über den Abtreibungsparagraphen hampeln, ob Bärbel Bas auf TikTok trällert oder sich die vielsägliche Emilia Fester mit wackelndem Steiß auf YouTube präsentiert… Wir sind in einem katatonischen Zustand der vermeintlich guten Laune, Lockerheit und Lässigkeit gefangen. Und so gutgelaunt, locker und lässig sieht dann auch die Politik aus. Alles egal, wir probieren hier a bissl und da a bissl, und wenn es Kritik oder Nachfragen gibt, dann wird das einfach weggetanzt. Sehr cool. Teure Azubis, die wir da haben. 

Zappelnde Abgeordnete mit Freizeitüberhang

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wenn die Angestellten der Zahnarztpraxis Dr. Klöbner auf TikTok den Jerusalema tanzen oder sich ein paar israelische Soldaten während einer Patrouille den Frust von der Seele heben, dann finde ich das amüsant, nett und tatsächlich fröhlich. Wenn aber Politiker, deren Entscheidungen sehr weitreichende Folgen bis hin zu Entscheidungen über Leben und Tod haben, ihre im Verhältnis zu ihren Leistungen extrem fürstlich bezahlte Arbeitszeit dazu nutzen, fürs Internet herumzuhoppeln, statt sich mit ihren Themen auseinanderzusetzen, dann hat dies den bitterbösen Geschmack von Unfähigkeit, Unwilligkeit und sogar Hohn gegenüber den Bürgern.

Sicher, diese Abgeordneten sind von ihrer Klientel gewählt worden, und die mögen das megalocker finden, wenn sich mit 10.300 Euro plus Spesen, Häppchen und Bahncard alimentierte Maulhelden und Arbeitsmarktunfähige mit Tänzchen die Zeit zwischen den langweiligen Abstimmungen vertreiben – bezahlt werden die wackelnden Clowns aber von der gesamten Gesellschaft. Und die hat wahrlich Besseres verdient, als zappelnde Abgeordnete mit Freizeitüberhang mit Geld zuzuschütten, die dieses in der freien Wirtschaft zu erarbeiten niemals selbst in der Lage wären. Ja, witzigwitzig. Samma guad drauf, heit! Während in der Ukraine Menschen von Bomben zerrissen werden und die Rentner hierzulande lieber die Wohnung kalt lassen. 15 Grad reichen ja auch aus. Hoch die Hände, Wochenende. 

Wer je im Reichstag war, in dieser Herzkammer der Demokratie unserer Republik, der kann sich einer gewissen Demut nicht entziehen, hier wird über die Geschicke von 80 Millionen Menschen entschieden. Und wer sein Abgeordnetenmandat wirklich ernst nimmt, der wird die „Würde des Hohen Hauses“ zu würdigen wissen und ihr durch Kleidung, Verhalten und Benehmen Respekt zollen. In dem Bewusstsein, dass er nur deswegen im Plenarsaal sitzt, weil sich seine oder ihre Wählerinnen und Wähler eine Besserung ihrer Lebenslagen und ihres Lebens wünschen. Und dass er oder sie tatsächlich auf Zeit mit der Aufgabe betraut ist, „dem deutschen Volke“ zu dienen, so wahr oder unwahr ihm Gott helfe. Zumindest sollte dies idealerweise so sein. 

Sie feiern den eigenen, leistungslosen Narzissmus und die eigene Eitelkeit

Was da durch die Gänge und das Internet tanzt und singt und swingt, versteht sich aber nicht als „Volksvertreter“, sondern als Gewinner eines üppig arrondierten Lottogewinns, mit dem sich vortrefflich der eigene, leistungslose Narzissmus und die eigene Eitelkeit feiern lässt. „Hohes Haus“? „Am Arxxx die Waldfee! Paaartyyy!“ Die gleichen Politikerdoppelpunktinnen haben dann die Frechheit, sich über „Hate Speech“ zu beschweren, im vollen Unterbewusstsein, diese durch die eigene Schamlosigkeit und Respektlosigkeit gegenüber den sie alimentierenden Bürgern und dem Parlament überhaupt erst zu befeuern. 

Ein Mandat ist kein Freibrief für Blödsinn und kein Vier-Jahres-Ticket für bezahlte Freizeit in Berlin. Das scheint den Diätenabgreiferdoppelpunktinnen aber nicht klar zu sein. Dem einen oder anderen mag es dämmern, dass die dauernde Schwachsinnsbeschallung früher oder später die Leute auf die Straße treibt – weswegen es ja ernstgemeinte Planungen gibt um den Bundestag sicherheitshalber einen Graben zu ziehen. Ginge es nach mir, dann würde zusätzlich eine Mauer gezogen werden und es fänden Ein- und Ausgangskontrollen der Reichstagsinsassen statt. Wie in jeder geschlossenen Anstalt. Ernsthafte Abgeordnete können ja wieder im Wasserwerk in Bonn tagen. War sowieso schöner und besser da. 

Der Wiener Kongress tanzte, als Napoleon von Elba floh. Unsere Parlamentarier tanzen, während Putin die Ukraine planiert. Etwas Ernsthaftigkeit stünde den Abgeordneten wirklich besser zu Gesicht als der derzeitige Killefille. „Ja, aber wir haben die doch gewählt“ – sicher. Es war ja auch nichts anderes da. Wir haben die Dümmsten zur Auswahl gestellt bekommen. Wahrscheinlich können die Infantilen also gar nicht anders. Und wenn sie nicht weggewählt werden oder das Wahlrecht geändert wird, dann hüpfen, tanzen und springen sie auch in vier Jahren noch. 

(Weitere Zornestänzchen des Autors gibt´s unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.  

 

Foto: Timo Raab

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Gerd Quallo / 28.03.2022

@Rupert Drachtmann, leider wollte die Pfeife danach aber als Botschafter der Liebe in Erinnerung bleiben. Außerdem war das nur ne Ohrfeige. Bisschen schwuchtelig. Passt aber zu einem Typen, der sich in aller Öffentlichkeit von seiner Frau Hörner aufsetzen lässt und ihr dann nicht den Laufpass gibt.

Rainer Schweitzer / 28.03.2022

Fr. Merkel war es doch, die jeglichen Anstand, jegliches Format jegliche Rechtschaffenheit in der Regierung abgeschafft hat. Ansonsten wäre sie nach ihrem regreßpflichtigen Ausstieg aus der Kernenergie zurückgetreten, spätestens jedoch nach ihrer Fehlleistung von 2015. Ansonsten wäre H. Scheuer zurückgetreten, Maas hätte nicht hoheitliche Polizeiaufgaben an linksextremistische “NGOs” übertragen und (außerstaatliche) Zensur einführen können, ohne zurückzutreten, Svenja Schulz nicht die Autoindustrie sabotieren können u.s.w. u.s.w. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Was will man sich da über ein paar stilistische wie intellektuelle Tiefflieger:Innen und Glücksritter:Innen im Bundestag:Innen aufregen? Diese Typen:Innen sind nur Symptom:Innen für eine Pest, die schon viel früher begonnen hat und Hosenanzüge trug. Im übrigen wird niemand das Wahlrecht ändern. Denn das würde ja bedeuten, 200-300 dieser Typen den Lottogewinn von 10.300 + x € im Monat zu versagen. Den Teufel werden die tun, sich selbst und ihresgleichen die Staatsknete wegzunehmen.

Petra Wilhelmi / 28.03.2022

In meinen Kreisen sagt man dazu: die sind völlig Asche.

Gert Köppe / 28.03.2022

@Silke Müller-Marek: Wenn Sie gestatten würde ich gerne Ihre “Favoriten-Partei”, auf Platz 1, noch um die beiden Begriffe “Wirtschaftsfeindlich” und “Gesellschaftsschädlich” ergänzen.

M. Feldmann / 28.03.2022

Ich sehe hier kein Kindergarten, auf keinen Fall! - Was ich sehe ist in Endlosschleifen (Und morgens grüßt das Murmeltier. Genau so.) “Einer flog über’s Kuckucksnest“ mit Randle McMurphy, gespielt von Olaf Scholz mit dem Unterschied ... er hat sich nicht einweisen lassen, sondern schon immer in einer selbst kreierten Anstalt gelebt. Er weiß/wusste wie es läuft. Die Anderen sind per Wahlen eingeliefert worden. Und wir haben die Sicht und Kontrolle über uns selbst verloren ... und erst recht über alles Andere. Also leben wir auch in einer Geschlossenen. Die Anderen haben jedoch ab und zu Freigang, mit dem sie aber auch nichts Gescheites anfangen können. So haben wir uns wahrlich gegenseitig verdient. - Darauf Herr Schneider ... Prost!

Dr.Wolfram Truöl / 28.03.2022

Nein, es sind nicht nur stillose Rumhampler und skandalöse Trällerbärbels, es sind vom hinterbänkigen Abgeordneten bis zum Bundeskanzler anstandslose Rüpel, wenn sie während ernster Debatten desinteressiert mit ihren Handys spielen und damit ihre Arroganz gegenüber dem Wahlvolk dokumentieren.

Peter Krämer / 28.03.2022

Nun hat schon zum zweiten Male die Wahl des Bundespräsidenten unter Mitwirkung von Delegierten stattgefunden, deren Outfit eher an einen Tuntenball als an die Wahl eines Staatsoberhauptes erinnert hat. Für mich hat dieses Parlament aber nicht alleine durch solche peinlichen Schauspiele seine Würde verloren.

Richard Loewe / 28.03.2022

man stelle sich vor, diese Leute wären kompetent! Dann wäre die Mehrheit hier schon lange tot oder eingesperrt. Insofern sollten wir glücklich darüber sein, daß diese Politiker 90% des Wahlvolkes perfekt repräsentieren.

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