Ich war wütend: „Sie sind eine freie Tankstelle, ich weiß nicht, ob sie sich von der NASA oder Versace beliefern lassen, aber knapp 10 Euro für einen Liter Diesel ist schlicht und ergreifend Raub!“
Verbrennerfahrer kennen das. Das Nähern der Nadel der Treibstoffanzeige gegen 0, wenn das Navi auch nicht mehr die Restreichweite angeben mag, verursacht ähnlich viel Stress wie das Warten auf eine freie Toilette nach dem Genuss von Sauerkraut mit Apfelmost. Und ich gebe zu, letztendlich war es meine Schuld. Ich war leichtsinnig. Der Tank des Renno war auf Reserve und ich musste tanken, wenn ich nicht liegenbleiben wollte.
Also ´runter von der Autobahn und flott in die nächste Dieselzapfstelle eingeschwenkt, den Tankdeckel mit einem glücklichen „Aaaah“ öffnen und Brennstoff saugen. Es war schön. Bis ich an der Kasse stand. Ich nannte den Namen meiner Säule und der junge Herr hinter dem Tankstellenbezahltresen sagte sachlich: „Das wären 40 Liter, das macht dann 398 Euro Zwounneunzig.“
Ich bin jetzt etwas älter, man hört ja irgendwann nicht mehr so gut, daher fragte ich nach: „398 Euro?„ „…und zweiundneunzig Cent!“, ergänzte der Befragte. Ich war immer noch verblüfft und irritiert: „Ja, aber sicher 398 Euro?“ „Ja, ganz sicher“, gab mein Tankstellenmensch seelenruhig zurück und deutete nach draußen auf die Tankstellensäule mit den Preisangaben. „Diesel: 9,973 Euro“ war da ganz deutlich zu lesen.
„Das muss ein Irrtum sein“, insistierte ich, „ich habe kein Kerosin getankt und selbst das ist billiger. Was ist in dem Diesel drin? Goldpartikel? Habe ich Gucci-Kraftstoff getankt? Was wird mit diesem Diesel normalerweise betrieben? Raumschiffe für die erste Marsmission?“ Der Tankwart seufzte: „Hören Sie: Ich mache die Preise nicht. Die kommen von dem Kraftstofflieferanten. Ich habe damit nichts zu tun!“ Gute Verteidigung, aber nicht mit mir! „Sie sind eine freie Tankstelle, Sie können sich den Lieferanten aussuchen, ich weiß nicht, ob sie da die NASA oder Versace genommen haben, aber knapp zehn Euro für einen Liter Diesel ist nicht einmal mehr Wucher: Das ist schlicht und ergreifend Raub!“ Ich war sehr wütend.
„Es ist tatsächlich, wenn Sie es so wollen, eine Spende.“
Der Tankmensch zuckte die Schultern: „Wir haben am Liter Diesel so um die 70 Cent Kosten inklusive Gewinn. Der Rest sind Steuern und Umweltabgaben.“ „Ja, sicher, aber die machen doch keine Neun Euro Dreißig aus!“, schleuderte ich ihm entgegen. „Neun Euro Siebenundzwanzig“, verbesserte er mich. „Scheißegal, ich zahle das nicht!“, brüllte ich ihn an, sofern eine Stoffmaske vor dem Mund das Brüllen zulässt. Wenigstens begann auch er nun, die Contenance zu verlieren: „Hören Sie: Entweder Sie zahlen das oder ich rufe die Polizei!“ „Pumpen Sie doch den Diesel wieder aus dem Tank! Ich zahle keinesfalls Dreihundertachtundneunzigzwoundneunzig für eine Tankfüllung. Mein Rechtsanwalt ist übrigens reich, der kann sich das leisten!“ Ich war sehr geladen.
Der Raum füllte sich mit Schweigen. Durch die offene Türe hörte man irgendwo einen Hund bellen. Ein Motorrad fuhr mit aggressivem Brummen vorbei. Mein Tankräuber änderte die Taktik: „Schauen Sie! Sie sind noch gut dran …“, er deutete wieder auf die Preisanzeige, „hätten Sie Super getankt, dann hätten Sie zwölf Euro pro Liter gehabt. Was ist also Ihr Problem?“ „Mein Problem ist, dass ich nie, nie, nie im Leben Treibstoff für mehr als knapp zwei Euro getankt habe! Wie kommen Sie auf diesen irrwitzigen Preis?“ „Also ist es bei Ihnen nur Gewöhnung?“, fragte er, ohne auf meine Frage einzugehen. „Was? Ja, nein, Ihre Preise sind Wahnsinn. Legen Sie mir mal Ihre Preisgestaltung vor!“ „Kann ich, wie gesagt, nicht. Wir kriegen unsere Preise vom Hersteller direkt!“
„Gut, nennen Sie mir den Hersteller. Ich werde seine Raffinerie abfackeln!“, forderte ich. Er lächelte nun tatsächlich, wie ich jetzt noch meine, etwas überheblich. „Wir beziehen unseren Kraftstoff von einer namhaften Umwelthilfeorganisation und leisten somit einen wertvollen Beitrag zum Umweltschutz!“, erklärte er. „Ja, aber von meinem Geld!“, erklärte ich zurück, „das ist Diebstahl, Betrug, Raub!“ „Es ist tatsächlich, wenn Sie es so wollen, eine Spende. Das haben wir eingepreist!“, gab er trocken zurück.
Die Luft war durch meine Spende sofort besser geworden
„Ich will aber nichts spenden, ich wollte nur tanken. Sie haben mich ja nicht einmal GEFRAGT, ob ich was spenden will!“ Jetzt wurde auch er wieder aggressiv und endlich kam der Grund hinter dem Vorwand zur Sprache: „Ja, das höre ich jedes verdammte Mal. Ich habe früher jeden gefragt, ob er eine freiwillige Klimaabgabe beim Tanken leisten möchte und jedes, wirklich jedes Mal haben alle Nein gesagt. Ich habe die Faxen dick, wir legen jetzt die Spende auf den Literpreis um, Ihr fahrt da herum mit Euren großkotzigen Autos …“, er illustrierte „großkotziges Auto“, indem er mit den Armen halbkreisförmig neben den Körper schlenkerte, zur Decke blickte und mit dem Mund ein O bildete und zwei Trippelschritte nach vorne machte, „… die Umwelt ist Euch völlig wurst, Ihr fahrt da einfach nur stumpf durch die Gegend – ja, Ihr werdet spenden. Spenden, spenden und nochmal spenden!“
Und da, ich kann das zugeben, fühlte ich mich plötzlich sehr gut. Okay, der Literpreis war faktischer Wahnsinn, aber irgendwie stimmte es ja: Die Luft war durch meine Spende sofort besser geworden. Und mein Gewissen auch. Ich steckte die Kreditkarte in den Zahlautomaten, nahm für jeweils 40 Euro noch zwei Päckchen Zigaretten und für 15 Euro einen Mars-Riegel mit und erkaufte mir so die moralische Freiheit. Tu Gutes, tank teuer.
(Weiterer hochpreisige Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.