Umbenennungen trafen in Deutschland bislang eigentlich Namenspatrone, bei denen man glaubt, eine fragwürdige Vergangenheit oder gar historische Schuld zu entdecken. Das ändert sich jetzt: Auch Anne Frank ist als Namensgeberin jetzt mancherorts unerwünscht
Bis vor kurzem sah es so aus, als ob sich das Privileg, den eigenen Namen nicht länger für die Benennung von Straßen, Plätzen oder Institutionen zur Verfügung stellen zu müssen, auf diejenigen zu konzentrieren drohte, die in die Schubladen Nationalist, Nationalsozialist (fast stets auf „Nazi“ verkürzt – die Genossen werden sich schon etwas dabei gedacht haben) oder Kolonialherr passten. Im Zweifel wurde da auch großzügig verfahren, soll heißen, wenn die Schubladen nicht geräuschlos schließen wollten, half man gern und durchaus auch mit nicht geringem Aufwand nach.
Nun gibt es gute Nachrichten. Ausgerechnet die kleine Stadt Tangerhütte, in der Altmark, will sich darum verdient machen, dieses Privileg zu brechen. Ein dortiger Kindergarten soll umbenannt werden, in „Weltentdecker“. Das klingt wirklich besser als der langjährige, wohl etwas sperrige Name „Anne Frank“. In der Druckausgabe der „Harzer Volksstimme“ schaffte es die Angelegenheit am Wochenende sogar auf die Titelseite, online hinter der Bezahlschranke konnte man hier schon am Freitag davon lesen.
Die in Frankfurt am Main geborene Anne Frank kam als Jüdin im Frühjahr 1945 im Alter von nicht einmal sechzehn Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen zu Tode. Das Schicksal und das Zeugnis der mit ihrer Familie über zwei Jahre versteckt in Amsterdam lebenden, jugendlichen Tagebuchschreiberin (deren mit „Liebe Kitty“ beginnende Einträge dem einen oder anderen vielleicht bekannt sind, vielleicht sogar aus der Schule) scheint in Tangerhütte nun als lästige historische Erinnerung erkannt worden zu sein, von der man sich tunlichst zu lösen habe.
Entscheidung mit Eltern-Hintergrund?
Für die Namensänderung, so die „Harzer Volksstimme“, habe sich das Kuratorium des Kindergartens ausgesprochen, der Wunsch komme „laut Stadtverwaltung von Eltern und Mitarbeitern der Kita“. Ein wenig Rückhalt in solchen Angelegenheiten ist immer gut, und sei es nur geraunt. Die „Kita“-Leiterin Linda Schichor habe erklärt, dass es sich um einen „Veränderungsprozess“ handle, „der seit Sommer laufe“. Es wurde Zeit, nachdem das Problem der unpassenden Benennung nach dem jüdischen Mädchen offenbar über Jahrzehnte unbemerkt geblieben ist. Frau Schichor argumentiert ganz im Sinne ihr kleinen Schützlinge: „Die Geschichte der Anne Frank“ sei „gerade für kleine Kinder schwer fassbar“. Nur ganz Bösartige würden auf die Idee kommen, dass es möglicherweise die Aufgabe der in einer „Kita“ tätigen Erzieher (die in der Regel auch eine entsprechende Ausbildung durchlaufen haben) sein könnte, hier Wissen altersgerecht zu vermitteln.
Es sind aber nicht nur die Kinder, denen Anne Frank nicht mehr zugemutet werden soll. „Auch Eltern mit Migrationshintergrund“, so die Zeitung über die Stellungnahme von Frau Schichor, „könnten mit dem Namen oft nichts anfangen“. Das erklärt vieles, da sollte man als moderne deutsche „Kita“ schon entgegenkommend sein. Eltern aus näheren und ferneren Weltgegenden sollte natürlich mit Respekt begegnet werden und nicht mit irgendwelchen Holocaust-Quisquilien.
Die „Kita“-Leiterin gibt sich bezüglich des Namens salomonisch: „Wir wollten etwas ohne politische Hintergründe“. Von „Hintergründen“ spricht Frau Schichor sichtlich gern, Anne Frank hat demzufolge auch einen, und zwar einen „politischen“. Unterstützung gibt es vom Tangerhütter Bürgermeister Andreas Brohm, „offener als früher“ sei die „Kita“ und „fördere viel stärker die Selbstbestimmtheit und Vielfältigkeit der Kinder“. Es gelte „konzeptionelle Veränderung nach außen sichtbar zu machen“. Da stört natürlich die Erinnerung an so ein vergilbtes, aus irgendeinem Grund in mehr als 70 Sprachen übersetztes Tagebuch aus Zeiten, als jüdische Kinder in Lager verfrachtet wurden.
Und die aktuellen Vorgänge? Von so etwas sollte man sich ohnehin nicht so zu sehr treiben lassen. Brohm erklärt: „Wenn Eltern und Mitarbeiter einen Namen möchten, der das neue Konzept besser abbildet, hat das gegenüber der weltpolitischen Lage mehr Gewicht.“ Weise Worte aus dem Rathaus von Tangerhütte.
Da selbst Wolfgang Schneiß, von Amts wegen „Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus“, mitteilt, er „verstehe den positiv gemeinten Impuls“ durch die Umbenennung, dürften die letzten rückständigen Zweifler beruhigt sein. Immerhin bedauert Herr Schneiß, „dass dadurch ein Ort wegfällt, der an Anne Frank erinnert“. Damit ist es aber nun auch gut. „Weltenbummler“ ist wirklich besser – den Namen hat schließlich der „Kinderrat der Einrichtung“ gewählt.