Genau aus den Gründen, die Sie anführen, schaue ich mir keine Talkshows im Fernsehen mehr an, keine Nachrichten und keine Satiresendungen. Mit dem zusätzlichen Effekt, dass ich inzwischen seit Jahren ganz auf das Fernsehen verzichte, abgesehen von Wahlabenden. Auch die hysterischen und unqualifizierten Reaktionen von Abgeordneten der etablierten Parteien bei niveauvollen und sachlich orientierten Reden der AfD als der einzigen Oppositionspartei wären eine eigene, tiefergehende Betrachtung wert. Einige Redner der altbekannten Volksvertreter - wie erst kürzlich Cem Özdemir von den Grünen - scheinen außerdem dazu über zu gehen, Schieflage und fehlenden Inhalt durch übertriebene Lautstärke ersetzen zu wollen. Alles in allem keine Anzeichen einer zivilisierten Debattenkultur, besonders eben nicht aufseiten der etablierten Parteien.
Vor dem Zuhören stehen das Systematisieren und Verstehen durch stilles Nachdenken, das stille Aufspüren von Widersprüchen und das Generieren von Fragen. Derart strukturierte Fragen bilden die Mitivation fürs Zuhören. Dass Antworten selten aus Polit-Talkshows kommen, muss nicht die Folge von Brüllorgien oder einer entgleisenden Debattenkultur sein. Wir sind vielmehr daran gewöhnt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Realität konsequent auf eine extreme Weise interpretiert: Z.B.: Masseneinwanderung ist positiv, bereichert uns, niemand wird etwas weggenommen, sie ist auch nicht durch multiple Rechtsbrüche der Regierung erst möglich geworden, alle Menschen, die das anders sehen, sind moralisch defekt, rechtsextrem, islamophob, fremdenfeindlich, potentielle AfD-Wähler, wenn nicht noch schlimmer. Staaten, die die Aufnahme von Migranten ablehnen und die Sicherung der EU-Außengrenzen anmahnen, sind unsolidarisch und undemokratisch. An unserem Nachbarn Polen will Brüssel demnächst ein Straf-Exempel statuieren. Wie fest die Pflöcke dieser Denk- und Sprechregeln eingeschlagen sind, kann man immer wieder erfahren. Gereiztheit kommt auf, wenn ein Diskutant die Dramaturgie der Scheindebatte mit Fragen und Statements stört und deswegen unter Studioapplaus abgeschaltet werden muss. - Die Polit-Schwatzschau in ARD und ZDF ist als Beispiel für gutes Zuhören und Debattenkultur eher nicht geeignet. Das Zuhören, also die Bereitschaft und Fähigkeit, Informationen aufzunehmen - das hat die Kognitionsforschung nachweisen können-, ist ganz wesentlich von Motivation und Emotion abhängig. Versteht der Absender, durch positive emotionale Signale beim Empfänger Offenheit und Aufnahmebereitschaft zu erzeugen, macht er ihm das Zuhören leicht. Wirken diese Variablen gegenseitig, dann ist auch kultiviert sachliche Austragen von Kontroversen möglich. Emotion und Motivation sind also bei der Beurteilung der Debattenqualität nicht vernachlässigt werden.
Nun das mit dem Brüllen in Talkshows habe ich kaum mitbekommen. Es ist zwar so, dass wie im Falle Eva Herman bei Kerner diese Frau mehreren Menschen mit anderer Ansicht gegenüber saß und dann “rausgeschmissen” wurde. Das lief trotzdem noch höflich ab. Oder bei Anne Will, wo Bernd Lucke zuerst am Rande der Gesprächsrunde auf dem Platz “der einfachen Leute” sass.
Wer die Geschichte über politische Talkshows in Deutschland verstehen will , sollte unbedingt bei Eva Herrmann nachschlagen. Sie hat in nüchterner aber anschaulicher Art die Hintergründe von Talkshows thematisiert. Von der Intension des Chefredakteurs bis zur Gästeauswahl greift ein Rädchen ins andere. Wie der Talkmaster “gebrieft” wird und “unangenehme Wahrheiten” ausblendet werden. Gewünschte Meinungen in der Talkshow werden durch den Talkmaster verstärkt und durch Beispiele erweitert. Bei kritischen Beiträgen wird ins Wort gefallen oder Werbung gezeigt. Es wird also nichts dem Zufall überlassen….......
Wenn man es nicht selbst schon bemerkt hat, dass man zu dick ist, fragt man doch wohl den Arzt, worauf seine Diagnose beruht. Auf einer Statistik der Durchschnittsgewichte der Bürger? Ist sie wissenschaftlich begründet? Auf dem BMI? Wahrscheinlich auf allem. Es ist kaum anzunehmen, dass jemand ein Problem anprangert, das nur in seinem eigenen Kopf existiert, weder beim Arzt (weil er womöglich auf Magermodels steht), noch bei Zuwanderungskritikern, weil sie selbst und höchstpersönlich, niemanden mögen, der anders aussieht oder woanders herkommt. Auch diese Zuwanderungskritiker können ihre Aussagen mit Statistiken und Fakten belegen. Dazu reichen sogar die Aussagen des Bundesamtes für Statistik also einer Einrichtung, die kaum dazu geneigt ist, sich AfD-freundliche Daten aus den Fingern zu saugen. In diesen Talkshows (und auch im Bundestag) will man diese Zahlen aber nicht hören und darum unterstellt man denen “Populismus”, die es wagen, sie zu benutzen oder die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Weil man eben gegen solche Statistiken und Tatsachen und logischen Argumenten ehrlicher Weise gar nicht andiskutieren KANN, wird man unverschämt und diffamiert den politischen Gegner. Das kennt man aus der Politik, aber auch im Kleinen, in Diskussionsforen. Auf Argumente folgen keine Gegenargumente, sondern Beleidigungen oder die Moralkeule.
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