Sie wehren sich dagegen, als „Staatsfunk“ bezeichnet zu werden, tun aber gern so, als hätten sie die amtliche Wahrheit. Mit ihren „Faktenchecks“ und „Faktenfindern“ machen sie sich immer wieder zum Gespött, bleiben aber fest im Glauben an ihre Unfehlbarkeit.
Eigentlich dürfte es tagesschau.de gar nicht geben. Die Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten „dürfen nicht presseähnlich sein“, besagt der Telemedien-Staatsvertrag für den Rundfunk. Weiter heißt es dort:
„Sie sind im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton zu gestalten, wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf.“
Wenn überhaupt, halten sich die Anstalten höchstens dem Buchstaben, nicht aber dem Geist nach an diese Vorgabe: Die Texte der Internetzeitungen wie tagesschau.de sind oft von Bild- und Tonbeiträgen flankiert, so dass ein Sophist behaupten könnte, Letztere stünden im „Vordergrund“. Daran, das Textangebot einzuschränken, um gemäß dem Geist des Telemedien-Staatsvertrags keine Konkurrenz zu den Printmedien zu sein, denken die Medienimperien ARD und ZDF nicht im Traum.
Sie wehren sich dagegen, als „Staatssender", „Staatsfernsehen“ und „Staatsfunk“ bezeichnet zu werden, tun aber gern so, als hätten sie die amtliche Wahrheit. Mit ihren „Faktenchecks“ und „Faktenfindern“ machen sie sich immer wieder zum Gespött, bleiben aber fest im Glauben an ihre Unfehlbarkeit.
Meist geht es darum, Kritiker der Regierung wegzubeißen und zu beweisen, dass die grüne Partei immer recht hat. Einer in diesem Geschäft ist Pascal Siggelkow. In einem seiner jüngsten „Faktenfinder“ will Siggelkow beweisen, dass die Bevölkerung völlig zu unrecht beunruhigt sei von den Heizungsplänen aus dem Hause Habeck, Gebrüder Graichen & Co. Die naiven Bürger sitzen den von allerlei Teufeln gestreuten Falschinformationen auf, gegen die nur ein Exorzismus hilft. Siggelkow wird ihnen die Fakten austreiben.
„Verschlafene Transformation“
Schauen wir uns das genauer an. „‚Deutschland hat die Transformation verschlafen‘“, lautet die Überschrift. Durch Anführungsstriche ist die Aussage als Zitat kenntlich gemacht – das Zitat einer Person, deren Meinung der Redakteur für so maßgeblich hält, dass er sie als Schlagzeile über seinen „Faktenfinder“ setzt. Die aus fünf Wörtern bestehende Aussage enthält drei Meinungen. Erstens: dass die Frage, wie ich heize, eine sei, die von „Deutschland“ zu entscheiden sei. Zweitens: dass meine Heizung „transformiert“, also grundlegend verändert werden müsse. Drittens: dass der weitere Gebrauch konventioneller Heiztechnik ein zu missbilligendes, verächtliches Handeln sei, ähnlich dem Verschlafen des Weckappells mitten im Krieg. Deutschland hat bekanntlich alle unter 80-Jährigen zu den Wärmepumpen gerufen. Es gilt die Parole: Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle Klimaschützer und Kohlendioxidemittenten.
Dafür zu sorgen, dass in dieser schweren Stunde die Meinungen in Reih und Glied stehen und niemand den Burgfrieden stört, ist Siggelkows ehrenvolle Aufgabe. Welche Fakten er sucht und welche er findet, erfährt man nicht. Präsentiert werden Meinungen von Menschen, die er als „Experten“ bezeichnet. Sicherlich haben manche von ihnen einen wahren Schatz von Expertenwissen. Viel wichtiger aber ist, dass Siggelkow just sie – und nicht irgendwelche anderen Experten, die es etwaig auf diesem Planeten geben mag – ausgewählt hat, die von ihm gewünschte Wahrheit in die Welt zu pusten. Sie sind gewissermaßen Engel. Von den geflügelten Wesen alter Schule unterscheiden sie sich dadurch, dass sie nicht sagen: „Fürchtet euch nicht“, sondern eher: „Ich will, dass ihr in Panik geratet!“
„Falschmeldungen“
Siggelkows Eingangsthese: Es würden „Falschmeldungen“ über den „Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Thema klimafreundliches Heizen“ „kursieren“. Kursieren! Sie sind also im Umlauf, werden vom einen zum anderen weitergegeben wie Falschgeld, der Schwarze Peter oder Chlamydien.
Dass der Billionen teure Austausch von Heizungen „klimafreundlich“ – was immer das heißen mag – ist, wird vorausgesetzt. Es ist eines jener Versprechen, die keiner Überprüfung bedürfen, ähnlich dem Deutschlandtakt der Deutschen Bahn oder den Behauptungen des gestiefelten Katers. Siggelkow spricht:
„Einer der Hauptvorwürfe gegen den Gesetzentwurf ist, dass die Bundesregierung Öl- und Gasheizungen generell verbieten möchte.“
Das scheint ein Pappkameradenargument. Irgendeine Quelle für diese angebliche Falschmeldung nennt er nicht. Wer hat so etwas gesagt? Auf Anfrage nennt der NDR exakt zwei Quellen: eine Kurzmeldung der Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) und eine Presseerklärung der AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Beidem scheint man beim NDR so große Bedeutung beizumessen wie Katholiken einer päpstlichen Enzyklika. In beiden Texten indessen sucht man das „generelle Verbot“ vergeblich. Die Pressestelle des NDR zitiert aus der Jungen Freiheit den Satz:
„Das Bundeskabinett hat gestern auf Drängen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Verbot von Öl- und Gasheizungen beschlossen.“
„Generell verbieten“ steht dort nicht. Geht es darum, dass man das hässliche Wort „Verbot“ canceln soll, weil es aus Sicht des NDR unzutreffend ist? Dann hätte man, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, auch gleich auf einen Beitrag aus dem eigenen Haus verweisen können. Am 28. Februar — also vor nicht einmal zwei Monaten — titelte tagesschau.de: „Verbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 geplant“. Weiter hieß es dort:
„Der Einbau neuer Gas- und Ölheizungen könnte ab 2024 schrittweise verboten werden … Für viele Verbraucher würde das bedeuten, dass sie sich in den nächsten Jahren um eine Alternative bemühen und ihr Heizsystem vielleicht sogar komplett modernisieren müssen.“
Da brat mir einer einen Storch. Wenn das der Faktenteufel wüsste. Wo ist der Unterschied zwischen der Formulierung des NDR und der vom NDR gerügten, angeblich falschen? In der inkriminierten fehlt das Adjektiv „neue“. Ist das etwa der Grund? Deshalb von einer „Falschmeldung“ zu sprechen, wäre just so, als würde man sagen, dass es in den USA zwischen 1920 und 1933 keine Alkoholprohibition gegeben habe — denn aller Schnaps, den die US-Bürger in ihren Wohnungen hatten, durfte weiterhin getrunken werden. Vielleicht haben Habeck und Graichen von dort die Anregung zur Heizungsprohibition?
Diese Sätze als Beleg dafür zu nehmen, dass in Deutschland „Falschmeldungen“ über die Heizungspolitik der Bundesregierung kursieren würden, die einen „Faktenfinder“ erheischen, ist dürftig. Es beweist, dass der NDR keinen besseren Beweis gefunden hat. Doch der Faktenteufel muss behaupten, es gebe „Falschmeldungen“. Zum einen wird er dafür bezahlt, zum anderen soll es so wirken, als würden die Bürger nicht etwa von den Gesetzesplänen in Angst und Schrecken versetzt, sondern von den angeblichen Lügen, die über sie verbreitet werden. Früher sprach man von Wehrkraftzersetzung. Kennen die Bürger erst einmal die Wahrheit über das Gesetz, so der Gedanke, werden sie vor Freude ausrasten statt vor Wut.
Siggelkows Experten
Siggelkow zitiert zwei Experten: Manuel Ruppert, Gruppenleiter Transport und Energie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Benjamin Pfluger von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG. Die Standpunkte beider Herren kann er praktischerweise in einem einzigen Satz zusammenfassen:
„Die Experten sehen daher einen Mix aus Wärmepumpen, Fernwärme und Solarthermie als realistischste Optionen an, um die Wärmewende zu vollziehen.“
Beide von Siggelkows Experten glauben an die spirituelle „Wärmewende“ und den Weg dorthin. Beide vertreten das Programm der Grünen – wie der Zufall, „jener einzig legitime Herrscher des Universums“ (Napoleon Bonaparte), das eingerichtet hat. „Innerhalb von wenigen Jahren“ müsse nun „sehr viel passieren“, befiehlt Pfluger. Die in Deutschland betriebenen Heizungen seien „einfach nicht nachhaltig“, mault er. Auch Ruppert hält die harte Hand des Staates „für ein sinnvolles Instrument". „In den vergangenen Jahren haben wir eine sehr hohe Trägheit im Gebäudebereich beobachtet, was Sanierungen angeht.“ Nun sollen die Deutschen nicht träge sein, sondern müssen flink sein wie Windhunde.
Wissenschaftler mit anderen Ansichten kommen bei Siggelkow nicht zu Wort, ebensogut hätte er den Bundesverband Wärmepumpen e.V. um ein Interview bitten können. Lediglich an einer Stelle erwähnt er, dass diese Technologie auch „Kritiker“ habe:
„Kritiker bemängeln jedoch die hohen Kosten einerseits bei der Anschaffung einer Wärmepumpe und andererseits beim Betrieb.“
Von diesen Kritikern war offenbar gerade keiner für den NDR zu sprechen. Sie bleiben anonym und werden nur erwähnt, um sofort widerlegt zu werden, als Prügelknaben. Es wird keine Tatsache erwähnt, die der Öffentlichkeit nicht bereits hinlänglich bekannt wäre. Es wird Reklame für eine bestimmte von der Industrie propagierte Technologie als „Faktenfinder“ verbreitet, um ihr den Anschein von Objektivität zu geben.
Die Experten beweisen natürlich auch die wirtschaftliche Überlegenheit der Stromheizung. Mit Wärmepumpe zu heizen, ist viel günstiger. Unter einer klitzekleinen Voraussetzung. Siggelkow:
„Die Betriebskosten einer Wärmepumpe würden auf lange Sicht die verhältnismäßig hohen Anschaffungskosten wett machen, da die Experten perspektivisch auch von sinkenden Strompreisen ausgehen.“
Kann man so machen. Wie nennt man den Berufsstand, der die Strompreise der Zukunft kennt? Als Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch seriös waren, interviewten sie die Wahrsagerin Madame Leila. Achgut fragte den NDR
„Warum lässt Herr Siggelkow nur Unterstützer des von der Bundesregierung geplanten neuen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) zu Wort kommen, aber keine Gegner?“
Die Antwort:
"Im Text ‚Deutschland hat die Transformation verschlafen’ kommen vor allem Experten zu Wort, unter anderem von der Fraunhofer IEG oder dem Karlsruher Institut für Technologie.“
Es ist schwer zu erkennen, inwiefern dies eine Antwort auf die Frage ist. Gemeint ist wohl: Würde jemand der Bundesregierung widersprechen, wäre er eben kein wahrer Experte.
Nächste Frage:
„Findet Herr Siggelkow, dass das Etikett „Faktenfinder“ für seinen Beitrag gerechtfertigt ist?“
Die „Antwort“:
„Die Rubrik ‚Faktenfinder‘ will Falschmeldungen identifizieren und Hintergründe dazu erklären.“
Echt? Kürzlich schrieb tagesschau.de über Viertklässler in Deutschland:
„25 Prozent der Kinder in dieser Altersstufe erreichen nicht das Mindestniveau beim Textverständnis, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre.“
Das Problem scheint größer zu sein; es reicht offenbar bis in die zweite Klasse des NDR.
„Welche vorher unbekannten Fakten hat Siggelkow gefunden?“, wollte Achgut zudem vom NDR wissen. Antwort: Fehlanzeige. Das Schweigen ist bekanntlich das Kennzeichen des Philosophen.
Siggelkows Sprengstoff
Siggelkow macht als Faktenclown immer wieder von sich reden. Zu einer echten Berühmtheit in den sozialen Medien wurde er im Februar 2023, als er der These nachging, die Nordstream-Pipelines könnten durch Sprengstoff „in Form von Pflanzen“ explodiert sein. Claudio Casula berichtete über den Fall in seiner „Chronik des Irrsinns“:
„Der ARD-Fakten(er)finder Pascal Siggelkow blamiert sich bis auf die Knochen: In seinem Stück ‚Weitere Unstimmigkeiten in Hersh-Bericht‘ behauptet er, Hersh habe geschrieben, die Taucher hätten den plastischen ‚Sprengstoff C4 in Form von Pflanzen auf den vier Pipelines mit Betonschutzhüllen platziert‘. Er hat sogar extra einen Sprengstoffexperten gefragt, der ausschließen konnte, dass ‚Pflanzenattrappen zum Einsatz kamen‘. Siggelkow hat nämlich den englischen Ausdruck ‚plant shaped C4 charges‘ (Hohlladungen angebracht) missverstanden: Hä? Plant heißt doch Pflanze?! Qualitätsmedienschaffender eben. Unbedingt qualifiziert, die Arbeit anderer Journos zu beurteilen!“
Jener Sprengstoffexperte war David Domjahn. Die Badischen Neuesten Nachrichten schilderten den Fall:
„David Domjahn wird vom zuständigen Redakteur als Experte für das Thema Sprengtechniken angefragt. Obwohl er den Bericht nicht gelesen hat, ist Domjahn zu einem Interview bereit. Als der Journalist ihn nach ,Sprengstoff in Pflanzenform’ befragt, der angeblich zum Einsatz gekommen sein soll, ist er irritiert. ‚Das klingt abenteuerlich und ziemlich kirre’ sagt er. Trotzdem antwortet er ausführlich. ‚In epischer Breite nehme ich Stellung zur Sinnfreiheit von Sprengstoff in Pflanzenform‘ erklärt Domjahn selbstkritisch. Als der Faktencheck auf tagesschau.de veröffentlicht wird, dauert es nicht lange, bis die ersten hämischen Reaktionen kommen.“
Auf seiner Website stellt Domjahn ernüchtert fest:
„Es stellte sich heraus, dass der Tagesschau-Faktenfinder dieses komplexe Thema nur von einem Redakteur bearbeiten ließ und keine Qualitätsprüfungen stattfanden. … Während ich in diesem Beitrag einen Teil der Verantwortung übernehme, hat die Tagesschau bis heute keine Transparenz hergestellt. Es ist anzunehmen, dass auch weiterhin Beiträge keiner Qualitätsprüfung unterliegen.“
Hmm, ja, das ist möglich.
Was auch immer für Texte Tagesschau veröffentlicht, es werden stets Pamphlete. Vor allem der „Faktenfinder“ ist stets eine Fortsetzung des Leitartikels mit anderen Mitteln. Der Ton ist meist kämpferisch, keinen Widerspruch duldend. Dann gibt es natürlich auch noch Kommentare, die als solche gekennzeichnet sind. In einem kürzlich erschienenen Beitrag scheint der Autor Martin Ganslmeier der Quatschbude des Parlamentarismus den Kampf anzusagen und eine Rückkehr zum Führerprinzip zu fordern:
„Scholz muss endlich die Liberalen zu mehr Koalitionsdisziplin mahnen.“
Der Mann hat Schneid! Es geht weiter. Eine „Ampel, die immer nur gelb blinkt“, sei „kaputt“. Die Grünen hätten „keine Lust mehr“, „dass immer nur sie die Kröten schlucken“. Zeit für Krötenwanderung. Der Kanzler möge die Peitsche schwingen und Debatten ein Ende bereiten.
Es ist ein wenig wie im Iran: Das Einzige, was Zeitungen dort an der Regierung kritisieren dürfen, ist, dass sie nicht noch härter gegen Dissidenten vorgeht. Diese Freiheit aber haben sie.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).