Fabian Nicolay / 15.04.2023 / 06:15 / Foto: Thomas Bresson / 42 / Seite ausdrucken

Täter-Opfer-Schablonen

Der Deutsche richtet gern aus höherer Warte. Dabei sind die Täter-Opfer-Schablonen notwendige Kommunikationsmuster einer in sich verstummten Republik, die lauthals Meinungsfreiheit, offene Gesellschaft und Diskurs beschwört, aber eben genau deren Verweigerungen betreibt.

Schablonendenken ist der eitle deutsche Topos schlechthin. Der sonntagsredende Präsident, viele Zwischenrufer im Parlament, von der Kanzel und dem Talkshow-Sessel, Schauspieler und Parteivorsitzende, professionelle Mahner von NGOs, noch mehr Journalisten und andere Zeitgeist-Begeisterte aus dem eigenen Bekanntenkreis: Zu viele sind auch heute in Zeiten der deutschen „Erinnerungskultur“ einem Denken verhaftet, dessen Schablonen auf jedes moralische Vexierbild anwendbar sind und Absolutheit postulieren. Irgendwo versteckt sich immer noch ein (neu)deutscher Stolz, das wiederkehrende Moment von unbedingter Überlegenheit deutscher Lösungen auf deutsche Fragen, eine restaurierte Verführung zu korrekter Gesinnung und Aufforderung zu kollektiver Aufopferung. Einfach absurd.

Im Lichte der Weltenrettung kleben sich die „guten“ Schablonenmenschen auf Straßen und verkünden einen Fortschritt im Stillstand, den sie den „Bösen“ auferlegen, die sich „verantwortungslos“ fortbewegen wollen oder müssen. Die „Fortschrittskoalition“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck zerreißt im Innern allein schon an ihrer Unfähigkeit, mit solchen Täter-Opfer-Schablonen Antworten auf komplexe Probleme zu finden. Auf den Plakaten der Grünen für die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin Anfang des Jahres war eine beliebte Schmiererei „Aus grün wird braun“. Als eine ausformulierte Abwandlung von „FCK NZS“ trifft es nun schon die verwöhnten und beifallssüchtigen Schablonendenker selbst. Am Ende ist bestimmt jeder mal ein Nazi, so inflationär ist die Behauptung, dass hier schon klar wird, wo der Fehler im System liegt, nämlich im Mangel an intellektueller Spannkraft. Diffamieren statt diskutieren.

Deutschland definiert sich seit vielen Jahrzehnten obsessiv von unten, und gleichzeitig möchte es sich genauso zwanghaft überhöhen. Man gedenkt der Opfer der deutschen Geschichte, halbherzig und irritierenderweise immer mehr vereinnahmend, als Besitzstand; man pflegt den zweifelhaften Stolz, das schlimmste Verbrechen aller Zeiten begangen zu haben und erhebt Anspruch auf eine Reue mit dem feinsten Finish; so kann man auch im Angesicht schwerster Schuld noch glänzen, als sei man auch das Opfer seiner eigenen Täterschaft. Das ist die Färbung eines deutschen „Schuldkults“ aus egoistischen Motiven. Dabei läuft man Gefahr, die alten Fehler im Denken mit neuen moralischen Gewissheiten aufzuladen, denn man entwertet die alten Tatsachen zweckdienlich für eine Gegenwart von neuen Tatbeständen. 

Die Lauterbach‘sche Horror-Schablone 

Auch in den zeitgeistigen Täter-Opfer-Schablonen sind Phänomene wie Tatsachenverdrehung, Beweislastumkehr, Kontaktschuld, Verdachtsberichterstattung und Verschwörungstheorie gang und gäbe. Wie wir in jüngster Zeit erfahren konnten, ist die Mobilisierung eines gesinnungsaffinen Mobs aus den Reihen der Intelligenzija und Eliten kein Problem. Sie dienen gern als Sprachrohre und Multiplikatoren solcher Schablonen, um auf Täter zu zeigen, die sich später als Opfer herausstellen. Man muss nicht betonen, dass das die schäbige Masche „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ ist, oder wie nennt man sonst den justiziablen Tatbestand? Volksverhetzung.

Das war ein Hauptmotiv des „Corona-Managements“. Nach fast drei Jahren munterer Aussetzung von Bürgerrechten im Namen der Volksgesundheit wähnt man Karl Lauterbach heute schon am Rednerpult stammeln: „Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – na, ich liebe doch – Ich setzte mich doch dafür ein!“, wie ehedem Erich Mielke im November 1989 vor der lachenden DDR-Volkskammer. Nun will uns der Menschenfreund Lauterbach alle legal bekifft machen, damit uns egal ist, was er und sein Vorgänger angerichtet haben: Jeder darf bald sein Gras selbst anbauen für das Große Vergessen, the Great Reset of Minds. Dieser „Move“ wird als Ablenkmanöver jedoch nicht ausreichen, die Lauterbach‘sche Horror-Schablone „Ungeimpfte vs. Geimpfte“ vergessen zu machen.

Dennoch: Der Deutsche scheint immer eine dritte Position einzunehmen, wenn er mit der Täter-Opfer-Schablone hantiert, als sei er der Richter. Dabei ist er den Tätern so fremd wie den Opfern. Letztlich will er mit beiden nichts zu tun haben, egal in welchem Zusammenhang. Aber er braucht die Täter-Opfer-Schablone als Lesegerät aus der Vergangenheit für eine Zukunft, die für einfache, unselbstständige Gemüter gedacht ist. Wer eine solche Schablone bedient, ist fein raus. Man richtet von höherer Warte. Moralismus reproduziert sich immer als Wiedergeburt seiner eigenen Schablonen. Perfekt für ein Land von Sedierten, die sich von Wahl zu Wahl herumschieben lassen, um dort Kreuze zu machen, wo politische Schablonen zuvor Kästchen vorgesehen haben. 

Grundrauschen deutscher „Diskurskultur“

Denn ohnehin verbeugt man sich in diesem Land gern vor allem, was nach kollektiver Zustimmung giert, und verteufelt den Individualisten, der sich nicht „unterhaken“ (Scholz) will, wenn die Reihen wieder fest geschlossen werden. Der akzentlose deutsche Bückling ist ein wichtigtuerischer Untertan, der neben der Kutsche der Herrschaft dahintrabt, um Verbeugungen, Gefälligkeitsadressen und Schleimereien abzuliefern. Das ist das Bild, das uns Heinrich Mann als Quintessenz einer deutschen Primärtugend untergeschoben hat: die hohe Disziplin der Unterwürfigkeit, die zur Diktatur führt. Die Medien traben selbst am liebsten, siehe Corona, siehe Atomausstieg, siehe Energiewende, siehe Migration und „Willkommenskultur“. Die Politik kann dann von oben nach unten delegiert und als alternativlos bezeichnet werden, weil keiner im Schablonen-Ländle zu widersprechen wagt.

Was wie ein Paradox klingt, ist schon länger ein volkstümlicher Reflex und zugleich eine nationale Autoimmunkrankheit, die in der Selbstbezichtigung und Denunziation Andersdenkender ihre zweifelhafte Identitätsstiftung simuliert – mit krankhaft übersteigertem Hang zu moralischer Selbstbefriedigung, die nie zum Höhepunkt kommt, außer vielleicht (in regelmäßigen Abständen) im Untergang – Heinrich Heine, Kurt Tucholsky und Karl Kraus konnten ein Lied davon singen. 

Höhepunktlosigkeit ist heute das Grundrauschen deutscher „Diskurskultur“, wo tonloser Vortrag, intellektueller Formalismus, Textbausteine, Worthülsen und Dünnbrettbohrerei zur Vermeidung von Dissens und Dissonanz notwendig sind; wo Anwesenheit von Exzellenz, Kreativität und Leistungswille als Diskriminierung gesehen wird; wo der kleinste gemeinsame Nenner, der faule Kompromiss wie ein Wunder jeden noch so dicken Gordischen Knoten „genialisch“ von selbst löst und sich als „fortschrittliche“ Politik ans exekutive Kleinbürgertum weiterreichen lässt.

Neue Täter im Gewand von Opfer-Aktivisten

Den Täter-Opfer-Schablonen stehen Meinungsautarkie und echter Diskurs, Widerspruch und konstruktive Opposition im Wege, denn deren Existenz ließe das Paradigma einer binär-banalen Soziologie von Gut und Böse ad hoc in sich zusammenfallen, die sich natürlicherweise vor der meinungsfreiheitlichen „Augenhöhe“ zwischen Konformisten und Individualisten fürchten muss. Schablonen und Individualisten sind sich fremd.

Die Täter-Opfer-Schablonen sind notwendige Kommunikationsmuster einer in sich verstummten Republik, die lauthals Meinungsfreiheit, offene Gesellschaft und Diskurs beschwört, aber eben genau deren Verweigerungen betreibt. Wer Täter und Opfer ist, bestimmen nicht die (mundtoten und toten) Opfer, sondern neue Täter im Gewand von Opfer-Aktivisten. Heute muss anscheinend jeder erst einmal ein Opfer sein, um Erfolg zu haben. So ist ein Moralismus wiedererstarkt, der zum Himmel stinkt, weil er die Erinnerungskultur von der falschen Seite her aufzieht. Nämlich von der Seite der Wiederholung der Fehler.

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Leserpost

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Gerhard Huitl / 15.04.2023

Vielen Dank für diesen Beitrag Herr Nicolay, der mir aus dem Herzen spricht. Sie bringen die Falschheit und Blasiertheit im Gedenken und Denken in diesem Lande genau auf den Punkt.

Peer Doerrer / 15.04.2023

Es sind keine Nazis ( Nationalsozialisten ) , denn sie hassen die deutsche Nation , das deutsche Volk , die deutsche Sprache ( Gender - Sprache ) und Kultur . Die sogenannten heutigen Antifaschisten sind Linksfaschisten , antidemokratisch , ausgrenzend ,gewaltorientiert ( Angriffe auf AfD- Mitglieder ) und in Teilen linksextrem . So lange das bürgerlich konservative Lager in Deutschland nicht endlich vereint (auch MIT DER AFD ) zusammenarbeitet , wird das links -grüne Parteien Bündnis die Politik auf Jahrzehnte weiter bestimmen . Auch die wunderbar formulierte Texte auf der Achse werden daran nichts ändern . Kurz statt JAMMERN und KLAGEN ...endlich ZUSAMMENARBEIT wagen . Werde ich in meinen alten Tagen einmal hier einen Text von der klugen Frau Dr, Alice Weidel lesen können ? Nein…die is sooo NAZI . Aber das Ausgrenzen der ANDEREN beweinen .

Heiko Stadler / 15.04.2023

Der Staatschef einer aufstrebenden Weltmacht sagte kürzlich nach der Belehrung einer nicht so ganz hellen gebärt Habenden aus einem runtergemerkelten ehemaligen Industrieland: “Wir brauchen keine Belehrung aus dem Westen”. Dem schließe ich mich an: Wir brauchen keine Belehrung von Inselbegabten, die kaum einen unfallfreien Satz stammeln können und die nie über das Schubladendenken hinausgekommen sind. Fortschrittsland ist kein normales Irrenhaus. Forschrittsland ist eine Klapse, in der die Bekifften und Bekloppten über ihre Pfleger herrschen.

Lutz Liebezeit / 15.04.2023

Die Deutschen gibt es nicht mehr. Wenn ich in die Bahn steige, bin ich in einer rammelvollen Bahn der einzige Biodeutsche. Sie beschwören Tote.

S. Andersson / 15.04.2023

Was das wieder? Gras/ Hasch für das große Vergessen? Erinnerungskultur? Diskurskultur? Wer kiffen will soll es machen, egal was Kalle & Co sagen. Das ist hier evtl noch nicht angekommen aber das machen alle Kiffer so oder so. Kalle & Co haben nur eins im Sinn .... noch mehr Steuern ab zu greifen, wird sicher schwierig da die geilsten in D schon zu lange geschlafen haben und das Geschäft in den Händen anderer ist. Und die Schablone .... der Michel braucht nur ein Argument was er einiger massen versteht und zack ... werden keine Fragen mehr gestellt. Ist einfach. Ich denke man sollte Anfangen den Menschen wieder bei zu bringen was Anstand & Respekt bedeutet. Diskurskultur ... ist eher ein Marketing Begriff. Erinnerungskultur .... kannste vergessen .... konnten wir die letzten Jahre sehen .... konnte sich offenbar kaum einer daran erinnern wie das alles bei Hitler gelaufen ist. Nicht ein Häuptling bestimmt was passiert .... die Idioten die dem Idioten folgen sorgen dafür.

Sam Lowry / 15.04.2023

p.s.: Bei dem Bild vom Gardasee sieht sogar ein Blinder, dass da mit Farben und Helligkeit manipuliert wurde. Für wie doof… ??? Ah ja, ein Bällchen Eis. Mittlerweile um die 2 Euro. Können´se behalten, so wie während der letzten 3 Jahre, als ich ohne Impfe und/oder “Smartphone-Äpp” nicht reingelassen wurde… wenn alle so denken würden, hätten die Mitläufer und Ja-Sager nicht EINEN, sondern ALLE Kunden verloren und könnten ihre Drecksbuden schließen. Nee, auch das Geld für neuen Perso und Fööööhrerschein spare ich mir. Zumindest, bis die AfD über 50 % hat.

Sam Lowry / 15.04.2023

Aber sie haben doch recht. Schaut nur, wie die Eisbärenpopulation von 5 auf 25 Tausend gefallen ist. Wie während der Ausgangssperren weltweit der CO2-Gehalt von exakt x auf exakt x gesunken ist. Schaut nur (n-tv), wie der Gardasee auf dem gezeigten Vergleichsbild (vorher/nachher) irgendwie geschrumpft sein muss. Man muss nur feste genug dran glauben, dann hat man immer recht. Was sagte eine Freundin neulich? Ein schwarzes Loch bewegt sich jetzt plötzlich auf uns zu. Woher bezieht sie solchen Schwachsinn?

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