Syrien: Die Sprache Christi ist in Gefahr

Am 29. Mai 2019 veröffentlichte AFP, neben Reuters die führende europäische Presseagentur, Maher Al Mounes Bericht „Dans le village syrien de Maaloula, la langue du Christ menacée“, zu deutsch: „Im syrischen Dorf Maaloula ist die Sprache Christi in Gefahr“. Darin geht es um den Überlebenskampf der uralten Sprache Aramäisch im Dorf Maaloula, die zur Zeit Christi Lingua Franca im Nahen Osten war, und der heute, vielleicht mehr denn je, eine eminent wichtige Bedeutung für die christliche Minderheit der Region zukommt.

Über ein Buch gelehnt entschlüsselt George Zaarour mit einer Lupe Schriften auf Aramäisch. Er ist einer der letzten Spezialisten für die Sprache Christi, die die letzten 2000 Jahre im syrischen Dorf Maaloula überlebt hat, nach gegenwärtigem Stand der Dinge dort jedoch in Kürze zu verschwinden droht. „Aramäisch ist in Gefahr“, beklagt der 62-jährige Lehrer mit dem weißem Haar und dem gezeichneten Gesicht. „Wenn es so weitergeht, wird die Sprache innerhalb von fünf bis zehn Jahren verschwinden.“

In seinem kleinen Geschäft, in dem er religiöse Ikonen, Kruzifixe und Haushaltsgegenstände verkauft, hat er Bücher und Enzyklopädien über das Aramäische gesammelt. Beinahe sein ganzes bisheriges Leben verbrachte er damit, diese alte semitische Sprache zu studieren und zu übersetzen, deren erste schriftliche Spuren bis ins zehnte Jahrhundert vor Christus zurückreichen. Heute „sprechen 80 Prozent der Einwohner von Maaloula kein Aramäisch mehr und die verbliebenen 20 Prozent sind älter als 60 Jahre“, stellt der Experte fest.

Durch den Krieg entvölkert

Eingebettet in die steilen Felshänge des Qalamunberglandes, etwa sechzig Kilometer nördlich von Damaskus, befindet sich Maaloula, ein kleines Dorf mit ein paar tausend Einwohnern. Der Ort ist aber mehr als einfach nur ein Dorf. Er ist ein Symbol für die Jahrtausende andauernde christliche Präsenz in der weiteren Umgebung von Damaskus. Einst war ein Besuch dort absolutes Muss für Touristen und Pilger, die begierig darauf waren, Aramäisch auf Syriens Straßen zu hören und uralte Sakralbauten zu besuchen. Aber seit 2011 hat der Krieg alles verändert. Rebellen und Dschihadisten von Al Kaida brachten den Ort Ende 2013 unter ihre Kontrolle. Um Macht, Entschlossenheit und religiösen Eifer zu demonstrieren, entführten sie damals 13 christliche Einheimische.

Drei Monate später konnten diese aus der Geiselhaft der Islamisten befreit werden, also kurz bevor die syrische Regierung die Region im April 2014 von den Dschihadisten zurückeroberte. Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu verständlich, dass die Einwohner Maaloulas die Regierung in Damaskus eher als Befreier denn als Unterdrücker wahrnehmen. Der Krieg hat den traditionsreichen und symbolträchtigen Ort entvölkert. Die mehr als 6.000 Bewohner, die dort vor dem Winter 2013 lebten, verließen während des Konflikts alle ihre Heimat. Bislang wagten lediglich 2.000 von ihnen die Rückkehr. Mehr als rund zwei Drittel fanden Zuflucht in und um die Hauptstadt Damaskus oder flohen sogar ins Ausland.

„Die Kriesgenerationen wurden außerhalb von Maaloula, in Damaskus oder in anderen Regionen geboren und haben dort zuerst Arabisch gelernt“, erklärt Zaarour. Er ist Autor von dreißig Büchern und eine renommierte Persönlichkeit in den akademischen Kreisen Syriens. An der Universität von Damaskus betreute er zahlreiche Doktorarbeiten zur uralten Sprache Aramäisch. 2006 half er bei der Gründung eines Zentrums für Aramäischunterricht in Maaloula, das im Krieg geschlossen und bis dato nicht wieder eröffnet wurde. Auch heute noch übersetzt er weiterhin Texte, um Kollegen in Syrien und im Ausland bei ihrer Forschung zu helfen.

Die letzten Sprecher des Aramäischen

Der Bürgermeister des Dorfes, Elias Thaalab, lobt den Lehrer. „Ich denke, George Zaarour ist derzeit der einzige Lehrer und Spezialist für die aramäische Sprache in Syrien“, sagt er. „Es gibt junge Lehrer, die versuchen, die Sprache zu lernen, aber im Moment verfügt nur Zaarour über wirklich fundierte Kenntnisse“, fügt er hinzu. „Seit mehr als 2000 Jahren bewahren wir die Sprache Christi in unseren Herzen. Wir gehören zu den letzten Menschen auf der Erde, denen die Ehre zu Teil wird sie zu beherrschen“, äußert sich der 80-jährige Bürgermeister in bewusst lyrisch angehauchter Wortwahl.

Maaloula, was auf Aramäisch „Eingang“ bedeutet, ist das berühmteste der drei Dörfer rund um Damaskus, in denen man noch immer die Sprache Jesu Christi spricht. Außerdem wird sie auch im Nordosten des Landes gesprochen, ebenso wie Syrisch beziehungsweise Syriakisch, eine Variation des Aramäischen, die man im deutschsprachigen Linguistenjargon auch als Mittelostaramäisch kennt.

Weitere Dialekte, die vom historischen Aramäisch abstammen, werden auch in der Türkei oder im Nordirak praktiziert, sagt der französische Nahostexperte Jean-Baptiste Yon. „Die Bewohner von Mesopotamien, Syrien, Judäa und Palästina sprachen einmal alle Aramäisch“, führt der Wissenschaftler vom französischen Institut für den Nahen Osten fort.

Für Grundschüler eine Aramäischstunde täglich

Während die Zerstörung durch den Krieg in Maaloula insgesamt nicht so verheerend war wie in vielen anderen Teilen Syriens, traf sie hier insbesondere religiöse Stätten. Uralte Kirchen und Felsenklöster wurden von Dschihadisten geplündert und durch Artilleriefeuer bei der Gegenoffensive beschädigt, Ikonen zerstört, viele weitere, unschätzbar wertvolle Kunst- und Kulturschätze gestohlen. Seit dem Frühjahr 2014 wurden mittlerweile viele dieser Stätten restauriert und wieder aufgebaut. In der Kapelle des Klosters der Heiligen Sergius und Bacchus haben die goldenen Leuchter ihren Platz auf dem Altar aus weißem Marmor wieder gefunden.

Die überwiegende Mehrheit der typischen kleinen Häuser mit ihren Dachterrassen und roten Ziegeln bleibt jedoch leer. Die massive Abwanderung von Maaloula wird unter anderem durch die Zahl der Schüler an der einzigen Grundschule des Dorfes deutlich. Laut Verwaltungsangaben schrumpfte sie von noch einhundert im Jahr 2010 auf weniger als dreißig im Jahr 2019. In einem Raum, in dem Kinderzeichnungen an den Wänden hängen, rezitieren Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren, hinter Holztischen sitzend, aramäische Gedichte unter den wachsamen Augen und Ohren ihrer Lehrerin Antoinette Mokh. Um das Überleben der Sprache zu sichern, erhalten die Schulkinder jetzt eine Aramäischstunde pro Tag.

„Das Aramäische wird in Maaloula von Generation zu Generation weitergegeben. Der Sohn lernt die Sprache des Vaters, der sie selbst vom Großvater als Sprache des Hauses einst näher gebracht bekam“, sagt die Lehrerin. „Diese Kinder aber wurden in Jahren des Exils außerhalb von Maaloula geboren.“ Im Alter von nun 64 unterrichtet sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert. „Ich kann meinen Job nicht aufgeben und in Rente gehen. Es würde keinen Ersatz geben.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Julian T. Baranyan.

Foto: Baranyan.

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Manfred Lang / 12.06.2019

@Ilona G. Grimm: Ich freue mich zu lesen, dass Sie “Open Doors” unterstützen und damit verfolgte Christen. Ich selbst unterstütze verfolgte Christen in Syrien und auch in dem aramäischen Sprachgebiet über “Kirche in Not” schon seit vielen Jahren. Wir müssen als Christen etwas tun, damit Islamisten nicht unsere Glaubensbrüder vertreiben und vernichten. Viele, die hier auf diesem Blog sich äußern, tun dies häufig mit antichristlichen Attacken. Nichts gegen sachliche Kritik. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass es schick ist, Christen anzugreifen. Und noch etwas: Ich bin begeisterter “Achgut”-Leser und schreibe hier gerne meine Leserbriefe. Denn ich halte die etwas andere Sicht der Politik dieses Blogs in der heutigen Zeit für unsere Demokratie für sehr wichtig. Trotzdem denke ich, dass Herr Border und sein Blog ganz gerne auf meine finanzielle Unterstützung verzichten, wenn sie wissen, dass dieses Geld für verfolgte Christen gegeben wird.

Wilfried Cremer / 12.06.2019

Die Sprache Christi ist ein Zweig der inspirierten Sprache der Semiten und geht deshalb nie verloren. Stichwort: Pfingsten!

Hubert Bauer / 12.06.2019

Zur aramäischen Sprache kann ich nichts sagen. Aber ein anderer Gedanke geht mir dazu durch den Kopf. Ob sich KGE, Merkel, HBS, Kässmann, Marx, Wölki und der fromme Franz klar darüber sind, dass es ohne Putin und Assad (trotz all ihrer Fehler) heute kein Christentum in Syrien und dem Irak mehr geben würde?

Robert Jankowski / 12.06.2019

Das wäre doch Etwas, für das sich eine Stiftung finden müsste. Helfen die Kirchen dabei nicht zumindest ein wenig? Letztlich ein Resultat der Islamisierung: wo immer dieser Zug durchfährt hinterlässt er ausgelöschte Kulturen.

Wolfgang Kaufmann / 12.06.2019

Orientalische Christen werden derzeit mehr verfolgt denn je. Nur fokussiert sich die deutsche Presse nicht auf die wirklichen Opfer, sondern auf die Marktschreier, die sich als Opfer gerieren. – Aber durch profunde Sachkenntnis fallt der deutsche Intellektuelle ohnehin schon längst nicht mehr auf. Sein Multikulti beschränkt sich auf Tschianti und Gritscho, und dazu bestellt er Falafel mit Taqiyye, oder wie heißt diese Sesamsoße?

Ilona G. Grimm / 12.06.2019

So erreicht der Islam auch durch Überwucherung der Sprache Jesu Christi durch Arabisch sein Eroberungsziel. Und in Europa – geschweige denn Deutschland - will kaum jemand etwas davon wissen. Ich unterstütze die Organisation „Open Doors“, die sich für unterdrückte, verfolgte, bedrohte Christen auch in Syrien einsetzt.

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