Zu den Geißeln der so genannten antiautoritären Bewegung gehörte neben der Nürnberger Indianerkommune und Jutta Ditfurth auch eine Frau namens Helga Goetze. Sie ging in den frühen 70er Jahren als „Deutschlands Supersau“ in die Annalen der Boulevardpresse ein; einen Titel, den sie bald stolz spazieren führte. Geboren 1922, war sie aus einer langjährigen Unglücks-Ehe entflohen und demonstrierte ihren Anspruch auf sexuelle Entschädigung unter Papptafeln mit der Aufschrift „Ficken ist Frieden“ in Berlin, Hamburg und an anderen frequentierten Plätzen. Sie machte irgendwas mit Kunst und schrieb auch Sexgedichte („Guten Morgen, liebes Schwänzlein!“). Im Grunde war sie wohl nur eine ganz normale Durchgeknallte, der ihre Wechseljahre schwer zu schaffen machten…
.Da der damalige Zeitgeist aber gebot, bloß niemanden „auszugrenzen“, mussten die Delegierten von Grünen-Versammlungen, zum Beispiel, Helgas Fickt-mich-ich-bin-dauergeil-Nummern ebenso ertragen wie die Tiraden der zänkischen Ditfurth oder die Aufrufe zur Kinderschändung seitens der Nürnberger Kommunarden. Den Rat, mal einen Seelenklempner aufzusuchen, mochte der Helga niemand geben.
Zu ihrem Pech war sie für die Medien nur begrenzt verwertbar. Sie sah mit ihren schlechten Zähnen nicht gerade sexy aus, und Trash-Sender, denen sowas im Prinzip egal ist, gab es noch nicht. Wäre sie heute auf dem Markt, und sähe sie dazu aus wie Gabriele („St.“) Pauli, und hätte sie auch noch ein Buch geschrieben, sie schösse damit ruckzuck auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste und würde von Talkshow zu Talkshow herumgereicht. Wie eine gewisse Charlotte Roche, die eine unappetitliche Betrachtung über weibliche „Feuchtgebiete“ verfasst hat. Die frühere Fernseh-Moderatorin ist der Hit dieses Frühjahrs, da kann Martin Walsers liebender Mann machen was er will. Anmerkungen zu Intimpflege, Analverkehr und Masturbation sowie ein flammendes Plädoyer „gegen die gesellschaftliche Pflicht zur Entfernung der Körperbehaarung“, so lässt uns Wikipedia humorfrei wissen, haben Frau Roche blitzartig zum Superstar befördert. Gleich einem Kind, das vor sich hinbrabbelt: „Ich darf nie mehr Scheiße sagen, Scheiße ist ein böses Wort; ich darf nie mehr Scheiße…“ suhlt sich ihre Leserschaft im schönen Gefühl, dass durch die Charlott unerhörte Tabus gebrochen werden.
Mit Verlaub: nicht ganz neu. Schon Helga Goetze, laut eigener Einschätzung die „primäre Tabubrecherin“, gab ihren Gedichten gern viel versprechende Titel wie „Sperma, Piss und Menschenkot“. In Rosa von Praunheims Filmporträt „Rote Liebe“ berichtet Helga von Michael, „der beim Ficken immer kotzt, so dass sie jedes Mal vorher einen Eimer holen muss“ (aus einer Rezension von Dietrich Kuhlbrodt). Der „Tagesspiegel“ erkannte im Helga-Film „die gesprochene Geschichte einer Generation von Frauen, der meine Mutter angehört.“ Für den Kritiker Peter Buchka vermischen sich im Erscheinungsbild der Helga Goetze „Sprache und Tat zur sexualrevolutionären Sprechweise“. Hellmuth Karasek, der olle Schweinigel, fand den Film auch gut. Das nur nebenbei.
Da staunste, was, Charlotte? Alles schon mal da gewesen. Ficken lecken blasen, alles auf dem Rasen – das, Mädchen, haben wir doch schon als Kinder skandiert! Bitte glaube uns: wir neiden dir deinen Bucherfolg kein bisschen. Aber es ist nun mal furchtbar langweilig, im 21. Jahrhundert noch mit den Tabubrüchen von 1968 ff belästigt zu werden. Bitte glaube uns: Peter Zadek ist tot (jedenfalls fast). Und die Jelinek törnt nur noch ein paar Opas von dieser verstaubten Akademie in Stockholm an.
Immerhin verstehen wir jetzt, da wir dein Buch angelesen haben, den verstorbenen Dieter Gütt besser. Das journalistische Urgestein soll mal auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, homosexuell zu sein, geschnappt haben: „Schwul?! Das Normale ist doch schon eklig genug.“