Wolfgang Zoubek, Gastautor / 21.04.2024 / 11:00 / Foto: Pixabay / 19 / Seite ausdrucken

Sumo: Der japanische Nationalsport

Sumo ist in Japan äußerst populär. Dort wird er professionell und traditionell betrieben – im Ausland existiert er nur als Amateursport.

Vor wenigen Tagen ging die Meldung durch die internationale Presse, dass der ehemalige Sumoringer Akebono im Alter von 54 Jahren an Herzversagen verstorben ist. Er war bereits seit einem körperlichen Zusammenbruch vor sieben Jahren gesundheitlich angeschlagen. Akebono stammte aus Hawaii, trat erstmals 1988 als Sumoringer in Japan an und gewann sein erstes Sumoturnier 1992. 1993 wurde er Yokozuna und hielt den Rang bis 2001, er hatte damit als erster Ausländer den höchsten Rang im Sumo inne. In der vierhundertjährigen Geschichte des in der heutigen Form praktizierten Sumo gab es bisher nur 73 Yokozunas. Aus diesem Rang kann ein Ringer nicht mehr absteigen, nur wenn ihn dauerhafte Verletzungen oder andere Gründe hindern, bei Turnieren anzutreten, muss er zurücktreten.

Da Sumo als japanischer Nationalsport mit mythischem Ursprung gilt, war der Aufstieg eines Ausländers in den Rang eines Yokozunas eine Sensation. Allerdings leben alle Sumoringer, egal woher sie kommen, ganz in der japanischen Tradition, nehmen japanische Kampfnamen an, sprechen Japanisch, unterwerfen sich dem Ehrenkodex des Sumo, müssen die typische, Chonmage genannte, Frisur tragen und zumindest in der Öffentlichkeit stets japanisch gekleidet sein. Viele nehmen im Lauf der Zeit die japanische Staatsbürgerschaft an, weil sie damit nach ihrer sportlichen Karriere in Japan als Trainer oder in ähnlicher Funktion im Rahmen des Sumo tätig bleiben können.

Akebono war über 2 Meter groß, und brachte mehr als 200 kg auf die Waage, sein höchstes Kampfgewicht war 230 kg. Seine Kampfweise war nicht besonders ausgefeilt, er hatte lange, relativ schlanke Beine und einen bulligen Oberkörper. Er gewann nicht durch Wurftechniken, sondern stemmte sich meist gegen seine Kontrahenten und schob sie einfach aus dem Ring. Diese Methode war simpel aber effektiv, der Fachausdruck dafür heißt Yorikiri oder Yoritaoshi.

Raubbau am Körper

In den 1990er Jahren waren mehrere Ringer aus Hawai in Japan beim Sumo aktiv, der neben Akebono populärste Kämpfer war Konishiki. Er war nur 1 m 84 groß, wog aber über 270 kg. Der Dritte im Bunde war Musashimaru, der zwar aus Samoa stammte, aber auch über Hawai zum Sumo nach Japan kam, er wurde 1999 Yokozuna. Akebono und Konishiki hatten sehr oft mit Verletzungen zu kämpfen, was ihre Karrieren beeinträchtigte. Akebono kämpfte nach dem Rücktritt vom Sumo auch gegen Kickboxer und im Freistilringen. Doch speziell gegen Boxer hatte er wenig Chancen, da Sumoringer zwar auf Kraft und Stärke trainieren, aber nicht auf Kondition. Ein Sumokampf dauert höchstens ein paar Minuten, das entspricht einer Runde im Boxen. Akebono musste daher immer viele Schläge einstecken. Dieser Raubbau am Körper dürfte zu seinen schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen beigetragen haben.

In den 2000er Jahren beendeten dann nach und nach alle hawaianischen Sumoringer ihre Karrieren und wurden durch Ringer aus der Mongolei abgelöst. 20 Jahre lang dominierten im Sumo mongolische Kämpfer und, seit der populäre japanische Yokozuna Takanohana 2003 verletzungsbedingt abtreten musste, sah es lange Zeit so aus, als hätten japanische Ringer gar keine Chancen mehr in den höchsten Sumorang aufzusteigen. Asashōryū wurde 2003 Yokozuna, Hakuhō 2007 und er blieb es für 14 Jahre, und Harumafuji war von 2012 bis 2017 Yokozuna, alle drei stammten aus der Mongolei.Die mongolischen Ringer hatten aber keinen guten Ruf. Hakuhō wurde zwar nach der Zahl seiner Siege zum erfolgreichsten Sumoringer und ist auch nach seinem Rücktritt immer noch populär, doch Asashōryū und Harumafuji mussten ihre Karrieren ruhmlos beenden, weil sie abseits des Rings in Schlägereien verwickelt waren. Erst als 2017 der Japaner Kisenosato zum Yokozuna aufstieg, wurde die Dominanz der mongolischen Ringer gebrochen.

In den letzten dreißig Jahren hat sich die Zahl ausländischer Sumoringer in Japan sukzessive erhöht. Es fanden sich auch Osteuropäer darunter, populär wurde zum Beispiel Kotoōshū aus Bulgarien. Er war der erste Europäer, der ein Sumoturnier gewann. Er war wie Akebono über 2 Meter groß, wog aber „nur“ 160 kg, was ein Nachteil für seine Stabilität im Ring war. Er schaffte es daher nie zum Yokozuna, hatte aber abgesehen von einer kurzen Unterbrechung zwischen 2006 bis 2014 den zweithöchsten Rang als Ōzeki inne. Ein ehemaliger Judoka aus Estland, Baruto, stieg ebenfalls zum Ōzeki auf und war auf gutem Weg, ganz an die Spitze zu kommen und den Rang eines Yokozuna zu erreichen. Er war 1 m 97 groß, wog fast 190 Kilo, war technisch versiert und brachte beste Voraussetzungen dafür mit. Doch leider musste er 2013 seine Karriere verletzungsbedingt beenden.

Hohes Kampfgewicht

Es gab auch einen georgischen Sumoringer namens Tochinoshin, der nach langwierigen Verletzungen gezwungen war, 2023 dem Ring den Rücken zu kehren. Und es gab den Ägypter Sunaarashi, der das Sumoringen aufgeben musste, weil er 2018 in Japan mit einem Auto einen Verkehrsunfall verursacht und danach seine Frau gedrängt hatte, die Schuld auf sich zu nehmen, denn der Sumoverband hatte den Ringern das Autofahren verboten. Auch ein Brasilianer war unter dem Namen Kaisei als Sumoringer aktiv, er gab aber seine Laufbahn 2022 nach einer Serie von Misserfolgen auf. Und der Kuriosität halber sei auch der aus Prag stammende Tscheche Takanoyama, mit bürgerlichem Namen Pavel Bojar, erwähnt. Er war bis 2014 Sumoringer, erreichte aber nie die höheren Ränge, denn er war zwar 1 m 85 groß, wog aber nur 98 Kilo.

Sumoringer brauchen ein hohes Kampfgewicht und einen niedrigen Körperschwerpunkt, damit sie nicht so leicht aus der Balance zu bringen sind. Zu dem Zweck müssen sie sich mit einer bestimmten Diät, genannt Chankonabe, mästen, damit sie stark zunehmen, Es gibt aber einige, wie der erwähnte Takanoyama, bei denen die Diät nicht wie gewünscht anschlägt und die kein Kampfgewicht über hundert Kilo erreichen. Auf höhere Ränge oder gar einen Turniersieg haben sie damit keine Chancen, aber sie können Popularität erringen, wenn ihnen in Kämpfen, die wie David gegen Goliath anmuten, ab und zu spektakuläre Außenseitersiege gelingen. Von den großen Fleischbergen beim Sumo schaffen es nach dem Karriereende die wenigsten, wieder abzunehmen, was diverse gesundheitliche Probleme bedingt. Abgesehen von Gelenksbeschwerden leiden viele ehemalige Sumoringer an Diabetes oder unter Herz-Kreislauf-Problemen und nicht wenige sterben wie Akebono in relativ jungen Jahren.

Trotz der zahlreichen Ausländer im Sumo ist anders als beim Judo oder beim Karate die Internationalisierung des Sports nicht gelungen. Professionelles Sumo gibt es ausschließlich in Japan, nur im Amateurbereich finden auch außerhalb Japans Bewerbe statt, in denen modifizierte Regeln des Sumo zur Anwendung kommen. Zum Beispiel unterscheidet sich die Sportkleidung, denn viele Nichtjapaner genieren sich, halbnackt anzutreten, und es gibt verschiedene Gewichtsklassen. Die Grundregeln sind aber gleich, man muss den Gegner entweder aus dem Ring drängen, oder ihn zu Fall bringen, dass er mit einem anderen Körperteil als den Füßen den Ringboden berührt. Stöße und Schläge mit der flachen Hand sind erlaubt, aber nicht mit der Faust. Viele Kampftechniken aus dem Judo finden im Sumo Anwendung, allerdings lassen sich die schweren Brocken nicht so leicht umwerfen.

Randsportart außerhalb Japans

Eine entscheidende Änderung erfuhr die Art des Kampfbeginns, des sogenannten Tachiai. Die Ringer müssen dabei mit beiden Händen den Ringboden berühren, ehe sie sich auf den Gegner stürzen. Bei den Profis in Japan wird das Timing zum Kampfstart den Kämpfern selbst überlassen, im internationalen Amateursumo wird dagegen ein Zeichen zum Start gegeben. Da dies die taktischen Möglichkeiten, den Gegner durch Überraschungsangriffe zu überrumpeln, einschränkt, wirken die Kämpfe vorhersehbar und entsprechend langweilig.

Diese Art des Amateursumo lässt sich in punkto Zuschauerinteresse in keiner Weise mit Turnieren in Japan vergleichen. Von der japanischen Kultur entkleidet fristet Sumo außerhalb Japans nur ein Dasein als Randsportart. In Japan spielen nämlich traditionelle Zeremonien noch eine große Rolle, zum Beispiel muss es ein gestampfter Lehmboden und nicht nur eine Sportmatte als Ring sein, dazu kommen verschiedene Rituale zwischen den Kämpfen, die die besondere Atmosphäre der Veranstaltungen prägen.

In Japan finden sechsmal im Jahr Turniere statt, wo sich die besten Kämpfer miteinander messen. Jeder Ringer muss in zwei Wochen 15 Kämpfe absolvieren, und obwohl die Kämpfe selten länger als eine Minute dauern, stellen sie für die Teilnehmer physisch und psychisch eine große Herausforderung dar. Kein Kämpfer scheidet bei einer Niederlage vorzeitig aus, sondern es zählt beim Turnierende, wer die meisten Siege errungen hat.

Persönliche Erfolgsbilanz

Alle 15 Kämpfe zu gewinnen, ist die Ausnahme, meist gewinnen die Ringer mit einer Bilanz von 14 – 1 oder 13 – 2 Siegen. Es gibt auch noch andere Preise, zum Beispiel für gute Kampftechnik oder für besonderen Kampfeifer. Doch im Grunde zählen alle Ringer, die am Ende 8 oder mehr Siege errungen haben, das heißt mehr Siege als Niederlagen am Konto haben, zu den Gewinnern, denn es ermöglicht ihnen, in höhere Ränge aufzusteigen. Die erfolgreichsten Ringer sind in Japan Stars, die jeder kennt, sogar jene, die sich keine Kämpfe ansehen. Die berühmtesten sind auch abseits des Sports in den Medien präsent und werden gern zu Fernsehshows eingeladen.

Es wird oft gesagt, dass sich nur ältere Japaner für Sumo interessieren. Das ist nicht ganz falsch, doch bei den Turnieren finden sich auch junge Leute unter den Zuschauern und darunter nicht wenige Frauen. Meistens hält jeder im Publikum einem bestimmten Ringer die Daumen und wartet auf seinen Auftritt. Dabei geht es nicht nur um den Gesamtsieg, sondern auch um dessen  persönliche Erfolgsbilanz. Weniger aufregende Kämpfe, die daneben stattfinden, nimmt man dabei in Kauf, denn der Turnierbesuch ist nicht nur als Sportevent sondern als Ganzes etwas Besonderes.

Spannend sind jene Turniere, wo es den Favoriten nicht gelingt, makellose Siegesserien hinzulegen, sondern auch mal Niederlagen gegen Außenseiter einstecken müssen. Richtig spannend wird es dann aber in den letzten Turniertagen, wenn die Favoriten gegeneinander antreten und noch mehrere Chancen auf den Gesamtsieg haben. Manchmal, wenn zwei Kämpfer bis zuletzt gleich viele Siege verbuchen konnten, fällt die endgültige Entscheidung erst am letzten Tag im letzten Kampf. Die großen Sumoturniere werden in Japan immer live im Fernsehen übertragen, doch wer Interesse und dazu die Gelegenheit hat, sollte sich unbedingt für ein Turnier eine Tageskarte kaufen. Man erlebt dort noch ein authentisches Japan und aufgrund des schwachen Yen sind Japanaufenthalte derzeit sehr günstig.

Wolfgang Zoubek lebt seit fast zwanzig Jahren in Japan und arbeitet an einer Universität. Ihn beschäftigt seit langem der Vergleich zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen in Japan und in Deutschland.

Foto: Pixabay

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Leserpost

netiquette:

Gerd Quallo / 21.04.2024

Was will der Autor damit eigentlich sagen? Dass diese Klopse-Hüpferei tatsächlich ein Sport sein soll? Vermutlich ebenso wie Minipfeile-Schmeißen oder dieser neue Ohrfeigen-Mumpitz. Man kann’s mit der Fremdkultur-Offenheit auch übertreiben. Vielleicht haben die Japaner einfach nur einen an der Waffel?

Gerd Maar / 21.04.2024

@Wilfried Cremer: Fritten gehören aber nicht zur klassischen Sumo-Diät…

Gerd Maar / 21.04.2024

@ Thomas Schöffel: Japan ist offensichtlich nichts für Sie- ok, Geschmacksache. Aber warum haben Sie dann überhaupt ein Jahr in Japan gelebt, wurden Sie gezwungen?

Gerhard Schmidt / 21.04.2024

Leider ein reiner Männersport, sonst hätte Ricarda Lang da gute Chancen auf eine zweite Karriere nach der Politik…

Hans-Joachim Gille / 21.04.2024

Die Japaner heißen dann Gai-Jin herzlich willkommen, wenn sie sich (fast) bedingungslos in die Japanische Kultur einfügen. Am berühmtesten wird hier William Adams sein. Es gibt zwar den Anjin-chō nicht mehr, aber immerhin noch die Anjin-dōri in Tokio….

Volker Seitz / 21.04.2024

Danke, Herr Zoubek für diese anschauliche Erklärung des japanischen Nationalsports. Ich habe noch eine lebhafte Erinnerung an ein solches Turnier in Osaka mit den traditionellen Zeremonien , während meiner Zeit am Generalkonsulat in Kobe. Lange ist es her. Es ist schön zu lesen, dass es dieses authentische Japan noch gibt.

Thomas Schöffel / 21.04.2024

Daß man so viel darüber schreiben kann, Chapeau. Ich habe ein Jahr in einer japanischen Familie gelebt und es war ganz schön anstrengend. Soo vieles ist soo ganz anders als bei uns. Die Sache mit den Eßstäbchen hatte ich ja schnell darauf, ich kann heute noch einzelne Erbsen sicher aufnehmen, aber das Drumherum zum Beispiel bei der japanischen Nahrungsaufnahme war stellenweise schwer zu ertragen. Das Geschmatze und Geschlürfe, sorry… Ich finde das abstoßend widerlich und ich mußte anfangs sogar einen Würgereiz mühsam unterdrücken. Und wenn ich sehe, daß -abermals sorry- feiste Fettwanste sich schwabbelnd gegeneinanderreiben, dann habe ich eher so den Reflex, sofort ein anderes Programm einzuschalten. Jaja, ich weiß, jetzt kommen sofort alle diese Superversteher, die mir einreden wollen, daß das alles doch tolle andere Kulturen seien.. und alles prima… Toleranz…. Miteinander…blabla. Nein, muß ich nicht und will ich auch nicht. Warum soll ich das zwangsweise tollfinden müssen? Ich habe auch mitbekommen, daß sich in all´den vielen Kulturen, die ich kennenlernte, es auch überall den Impuls gab, sich ihrerseits über uns lustigzumachen. Und warum auch nicht? So what? Jeder lacht über den anderen und alle haben recht. Das gleicht sich doch prima aus. Und wenn sich die Ausländer bei uns völlig zurecht über unsere groteske Spießigkeiten auslassen, dann ist das doch auch völlig okay. Ich habe versucht, dem Schwabbelkamfsport etwas abzugewinnen, habe es aber nicht geschafft. Wenn andere das tollfinden und lange Kampfsportberichte darüber schreiben und abertausende Japaner das auch noch lesen… okay.

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