Sebastian Biehl, Gastautor / 08.06.2024 / 14:00 / Foto: Wiki Commons / 13 / Seite ausdrucken

Südafrika auf Messers Schneide

Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit muss der ANC koalieren. Das ist für das Land eine neue und potenziell gefährliche Situation.

Nachdem es sich bestätigt hat, dass der machtverwöhnte African National Congress (ANC) erstmals seit dem Ende der weißen Minderheitsherrschaft 1994 seine absolute Mehrheit verloren hat, herrschte zunächst ungläubiges Staunen. Es dämmerte einigen, dass nun nach 30 Jahren eine neue Phase eintrete, ein Reset sozusagen, den Südafrika dringend nötig hat.

Der ANC verlor deutlich, von 56 Prozent auf jetzt 40 Prozent. Schon lange sind große Teile der Bevölkerung höchst unzufrieden mit der korrupten und uneffektiven Regierungspartei, aber immer wieder konnte der ANC mit seinem Befreiungsmythos, sozialistischen Wahlgeschenken, Einschüchterungen und Mobilisierung dank seiner zahlreichen Vorfeldorganisation am Ende die Wahl gewinnen. Diesmal reichte es mit den alten Rezepten nicht mehr.

Allerdings wird diese Zeitenwende dadurch relativiert, dass es keine Wahl für eine andere Politik war, sondern nur eine Kräfteverschiebung innerhalb der Lager. War der ANC früher der Monolith im schwarznationalistisch-sozialistischen Lager, ist er nur noch der große Bruder. Seine Verluste bevorteilten fast vollständig die Parteineugründung Mkontho we Sizwe (Speer der Nation) des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, der aus dem Stand über 14 Prozent bekam. Zumas Regierung von 2009 bis 2018 war ein neuer Tiefpunkt an Korruption und Zerstörung. Seine volkstümliche Art und populistischen Sprüche sowie sein zur Schau gestellter Zulu-Nationalismus verhexten allerdings viele in den Zulu-Wohngebieten.

Die Hauptoppositionspartei Democratic Alliance, die 22 Prozent bekam und zu dem Lager gehört, welches für eher westliche Werte wie Individualismus, Liberalismus und Marktwirtschaft steht, gewann nur unwesentlich dazu und dies auch aus dem eigenen Lager.

Wie dem auch sei, dass die Allmacht des ANC und vielleicht auch sein Hochmut gebrochen sind, ist erst mal eine gute Entwicklung. Nun ist der ANC gezwungen, eine Koalition zu formen, und das ziemlich schnell, da in zwei Wochen beim Zusammentreten des neuen Parlaments eine Regierung stehen muss.

Koalitionen sind Neuland

Koalitionen sind und waren in Südafrika immer die absolute Ausnahme. Vor dem ANC regierte die burische Nationale Partei (NP) mit absoluter Mehrheit mehr als 40 Jahre lang, begünstigt durch das britische Wahlkreissystem (seit 1994 gilt ein Verhältniswahlrecht). Lediglich in der Übergangszeit von der ersten allgemeinen Wahl 1994 bis zur neuen Verfassung 1996 gab es eine „Regierung der Nationalen Einheit“, bestehend aus den damals drei größten Parteien ANC, NP und Inkatha Freedom Party (IFP). Allerdings hatte der ANC schon allein eine satte absolute Mehrheit und nahm die anderen Parteien als Teil der Übergangsvereinbarungen mit an Bord.

Kurz nach der Wahl keimte die Hoffnung auf, der ANC würde über seinen Schatten springen und eine stabile Koalition mit der DA, unter Einschluss der gemäßigten IFP, verhandeln. In der Tat kam die DA dem ANC sehr weit entgegen, stellte nur minimale programmatische Forderungen und war selbst bereit, auf Ministerposten zu verzichten. Aber sofort rebellierte der starke linksradikale Flügel des ANC und seine ewigen Allianzpartner, die Südafrikanische Kommunistische Partei (SAKP, die sich nie reformierte und im Marxismus-Leninismus festhängt) und der sozialistische Gewerkschaftsverbund COSATU sowie die ebenfalls linksradikale Studentenunion COSAS. Ihnen gilt die DA unverändert als Reinkarnation des verhassten „rassistischen und kapitalistischen Apartheidsystems“, ungeachtet der Tatsache, dass die DA die Apartheid ablehnte und längst eine multiethnische Partei ist, die liberale und sozialdemokratische Elemente vereint.

Der linke Flügel des ANC berauschte sich an der Aussicht einer Koalition mit den Economic Freedom Fighters des roten Faschisten Julius Malema und/oder der MK. Aus Sicht der Wirtschaft und der DA wäre dies eine „Doomsday Coalition“ (Weltuntergangs-Koalition).

Cyril Ramaphosa, der Präsident des ANC und des Landes, der einer Koalition mit der DA scheinbar nicht ganz abgeneigt war, ruderte ob des Widerstandes von ganz links gleich zurück und versprach Beratungen des ANC-Politbüros. Diese fanden am Donnerstag statt und es wurde verlautbart, dass man eine „Regierung der nationalen Einheit“ wolle und mit zahlreichen Parteien Gespräche führen würde. Weder EFF noch MK wurden ausgeschlossen, auch nicht die DA, aber ANC, EFF oder MK in einer Regierung mit der DA sind schwer vorstellbar und letztere wäre dadurch isoliert und würde bald herausgedrückt werden. Ihrerseits wollen auch EFF und MK nicht mit der DA in einer Regierung sein.

Ein Koalitionsübereinkommen wird zweifellos auch eine Auswirkung auf die Regierungen der Provinzen haben. Anders als in Deutschland, wo die Parteien der Länder relative Autonomie gegenüber der Bundespartei haben, wird im ANC alles zentral bestimmt. Da der ANC auch in einigen Provinzen die Macht verloren hat, könnte er als Preis für eine Einbindung in die nationale Regierung eine Unterstützung auf Provinzebene von der DA oder IFP fordern.

Auch die Gefahr eines Bürgerkrieges, zumindest in der Provinz Kwazulu-Natal, besteht durchaus. Dort hatte Zumas MK 45 Prozent bekommen und beansprucht die Regierung für sich. ANC, IFP und DA auf der einen Seite, und MK und EFF auf der anderen Seite halten sich bei der Sitzverteilung die Waage. Den Vorgeschmack eines Bürgerkrieges gab es im Juli 2021, nachdem Zuma verhaftet wurde und seine Anhänger tagelang Teile der Provinz verwüsteten.

 

Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin.

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Leserpost

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Irene Luh / 08.06.2024

@Günter H. Probst, “guckst Du” Vodoo in Haiti. ;)  ++ Gibt es auch im neuen Apartheid-Südafrika, das die Linken toll finden.

Sam Lowry / 08.06.2024

Apropos Rasierklinge: Für mich ist absolut unfassbar, dass unsere Sonne exakt den richtigen Abstand zum Zentrum der Milchstraße hat, die Erde zur Sonne, der Mond zur Erde. Genauso verhält es sich mit den Naturgesetzen. Sie sind exakt genau ao, um Leben überhaupt möglich zu machen. Deshalb sind wir hier und können unseren Sermon ins Net schmieren. Wäre irgendetwas nur geringfügig anders, dann wären wir nie geboren worden. Kann man, muss man aber nicht, sich mal vor Augen halten. Das mal so im ganz Großen betrachtet… wer sind wir denn? Und Südafrika interessiert mich einen feuchten…

gerhard giesemann / 08.06.2024

Das Ubuntu tut sein Übriges dort: Keiner will erfolgreich sein, weil ihm sonst die weitverzweigte Verwandtschaft sofort alles wieder wegnimmt, was er geschaffen hat; “oder willst du, dass deine Nichte verhungert”? Niemand kann sich diesem druck entziehen. Nur die Häuptlinge können ihren Besitz verteidigen, alle anderen nicht. Mit IQ hat das nichts zu tun. Ein generelles Problem in Afrika. Deshalb geht da auch nichts.

Ralf.Michael / 08.06.2024

Bevor der Weisse Mann kam, ist das Getreide von Alleine gewachsen….ganz ohne Aussaat !  Und als der Weisse Mann das Land verlassen musste hat er das ganze Land mit einem bösen Zauber belegt und es wächst überhaupt Nichts mehr.,......jedenfalls Nichts ohne eine vorherige Aussaat .o(((

Günter H. Probst / 08.06.2024

Es gibt einen schwarzen Musterstaat, der gleich zu Anfang alle Weißen umgebracht hat, und seit über 200 Jahren nur von Schwarzen regiert wird. Haiti. Wenn alle Weißen Südafrike verlassen haben oder umgebracht worden sind, kann das Land endlich den gleichen Weg gehen. Die Zukunft kann man in Haiti besichtigen.

Karsten Dörre / 08.06.2024

Demokratie und Afrika. Ein Widerspruch in sich. Grundsätzlich ist moderne Demokratie ein Fliegenschi.. in der Evolution des Menschen. Die Vorstellung, alle regieren gleichberechtigt, sah und sieht die Natur nicht vor. Mensch ist weder Gott oder steht drüber. Man konnte im Nachgang den Sozialismus als gescheitertes Experiment bezeichnen, die Demokratie wird ebenso enden. Sozialismus gehört zu den Gesellschafts- und Herrschaftsformen, die seit über drei Jahrtausende nur andere Namen hatten (Königreich, Kaiserreich, Diktatur, Autokratie, Dorf- und Stammeshäuptlinge, Einparteiherrschaft usw.). Demokratie und dessen Revolutionen sind exzessive Wunschvorstellungen, die gelegentlich ausbrechen, um nach spätestens einigen Jahrzehnten von den Bürgern schleichend wieder abgewählt zu werden.

Zdenek Wagner / 08.06.2024

L. Luhmann / 08.06.2024 Wenn es um Länder Schwarzer geht, ist eine Besprechung des durchschnittlichen IQ ...” Gutes Stichwort. Es gibt Länder in Afrika, dort beläuft sich der Durchschnitts IQ auf sage und schreibe 65! (Quelle: WHO, nicht AfD!) Das reichte im Rest Der Welt noch nicht einmal zum Flaschen sortieren in einer entsprechenden Einrichtung. Aber wie ich bereits schrieb, schuld kann nur der verhasste weiße Mann sein. Am besten noch der deutsche, alte weisse Mann, mit der blonden Enkelin mit Zöpfen, der gerne im Wald spazieren geht, Briefmarken sammelt und sein Haus mit einem Bausparvertrag gebaut hat.

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