Zu den Highlights der diesjährigen Leipziger Buchmesse gehört Charlotte Roches Debütroman „Feuchtgebiete“. Roche ist keine Schriftstellerin. Das ist eine gute Voraussetzung, um im heutigen Deutschland mit einem Buch zu reüssieren. Zumindest auf dem Markt. Erfüllt sie doch sämtliche Kriterien für eine aktuelle Erfolgsautorin. Sie ist eine junge, wortgewandte Frau und prominent ist sie auch. Dass ihre Prominenz nicht literarischer Natur ist, spielt praktisch keine Rolle.
Charlotte Roche machte sich einen Namen als Moderatorin der mittlerweile eingestellten Avantgarde-Pop-Sendung „Fast Forward“. Sie wurde bei VIVA rausgeworfen, weil sie die Quote, das höchste Gut des Fernsehens, missachtete und, trotz aller Belehrung, uneinsichtig blieb. Zwei Themen, die jetzt, beim literarischen Start der Ex-Moderatorin eine Rolle spielen, waren schon zu VIVA-Zeiten erkennbar: Die Neigung zu spätpubertären Provokationen und zu linksgestrickten politischen Parolen. Die Pubertätsphantasien scheinen das einschlägig unterversorgte Teenie-Publikum, folgt man der Stimmung bei den ausverkauften Lesungen, glänzend zu unterhalten. Es ist wie im angesagten Club, wo man nicht problemlos reinkommt.
Erstaunlich bleibt allerdings, dass der Verlag und die Autorin das Buch als Tabubruch präsentieren konnten. Wieso ist die Verhandlung von Analverkehr und ähnlichen Intimitäten in einer gerade in solchen Fragen höchst permissiven Gesellschaft ein Tabubruch, ein Vergehen? Oder ist es tatsächlich schwieriger öffentlich über Sex zu reden als ihn vor aller Augen zu praktizieren? Wie spießig muss eine Gesellschaft sein, dass sie ein Buch lesenswert finden kann, das mit einem Kicherbekenntnis zu Hämorrhoiden beginnt. Ist Charlotte Roche vielleicht sogar subversiv? Immerhin wurde ihr bereits „Mut zum Körpergeruch“ bescheinigt.
Damit kommen wir zum zweiten Thema, dem der linken Parolen. Roche hatte Anfang März einen Auftritt beim Literaturfestival Lit.Cologne, zusammen mit den beiden bekannten rotgepuderten Salonlöwen Roger Willemsen und Claus Peymann. Das Stichwort des Abends lautete „radikal“. Was aber ist an Willemsen oder an Peymann radikal? Der eine frisiert das Gutmenschentum, der andere versendet von seinem hochsubventionierten Intendantenschreibtisch aus regelmäßig Amnestieforderungen für den Leichnam RAF.
Indem die Roche sich bei diesen beiden Fellow Travellers einhakt, beruhigt sie das intellektuelle Mainstream-Biotop der Republik. Sie signalisiert dem Establishment: Ich will euch nicht euer Theater aus der Hand nehmen, ich will bloß mit auf die Bühne. Damit hat sie freie Bahn, um gegen die Intimhygiene zu wettern, als wäre es die nächste Station des langes Marsches, kurz nach der Entlarvung der Magersucht. Die revolutionäre Botschaft des Buches wäre, so gesehen: Mädels ihr dürft wieder stinken, lasst euch nicht vom Kapitalismus zur Hygiene zwingen!
Da das aber nicht alles sein kann, jedenfalls nicht das einzige Problem und schon gar nicht das ganze, folgt noch eine weitere Phantasie. Die 18jährige Heldin des Buches, die sich nach einer misslungenen Intimrasur in einer Klinik befindet, wartet sehnsüchtig auf den Besuch der geschiedenen Eltern, in der Hoffnung diese würden sich an ihrem Krankenbett endlich versöhnen. Ist das nicht schön? Ist es nicht wie bei Eva Herman? Ja, aber mit Hämorrhoiden.