Hansjörg Müller / 10.01.2011 / 14:29 / 0 / Seite ausdrucken

Subventionen essen Kreativität auf

1979 trat Thomas Bernhard aus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung aus. In einem Brief an die Akademie begründete er seinen Austritt: „Das Schriftstellergeschwätz in den Hotelhallen Kleindeutschlands ist ja wohl das Widerwärtigste, das sich denken lässt. Es stinkt aber doch noch viel stinkender, wenn es vom Staat subventioniert wird. […]. Dichter und Schriftsteller gehören nicht subventioniert, und schon gar nicht von einer subventionierten Akademie, sondern sich selbst überlassen.“ Der deutsche Literaturbetrieb, der Bernhard für gewöhnlich frenetisch feierte und jede Provokation des Dichters, solange sie seiner österreichischen Heimat galt, mit feixender Schadenfreude begleitete, hat diese Aussagen des großen Grantlers bezeichnenderweise ignoriert. Dies ist nichts als konsequent, stellte Bernhard mit seiner Kritik an der staatlichen Kunstförderung doch den deutschsprachigen Kulturbetrieb schlechthin in Frage.

Vor einigen Tagen saß ich in Neukölln, Berlins kommendem Trendbezirk, einem jungen Mann gegenüber, der irgendwas in der Filmbranche machte. Es sei ja so schwierig, an Gelder für neue Projekte zu kommen, klagte er, aber Gott sei Dank gebe es wenigstens eine staatliche Filmförderung, die dazu führe, dass wir in Deutschland eine viel größere kulturelle Vielfalt hätten als in Amerika. Die passende Entgegnung fiel mir leider erst am nächsten Morgen ein: der Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist folgender: in Hollywood geht ein Regisseur zu einem potentiellen Investor. Hat er Glück, sagt ihm dieser: „Ihr Projekt gefällt mir, dafür gebe ich mein Geld her.“ In Deutschland geht der Regisseur zu einem staatlichen Filmförderer. Hat er Glück, sagt ihm der: „Ihr Projekt gefällt mir, dafür gebe ich anderer Leute Geld her, nämlich das des Steuerzahlers.“ Abgesehen davon, dass ich nicht möchte, dass andere Leute darüber entscheiden, wofür mein Geld ausgegeben wird, muss das deutsche Modell auch zwingend zu schlechteren Filmen, Büchern und Kunstwerken führen. Der amerikanische Geldgeber sagt nämlich „ja“ zu einem Projekt, weil er es wirklich für gut oder zumindest für kommerziell erfolgversprechend hält. Der deutsche Kulturbürokrat winkt das Projekt möglicherweise durch, weil ihm der Regisseur oder Schriftsteller sympathisch ist oder wenigstens leid tut, oder weil das Drehbuch verspricht, die herrschende, sogenannt „links-alternative“ Weltsicht zu verbreiten. Oder er gibt ganz einfach seine Zustimmung, weil er dem Künstler persönlich verbunden ist. Und so haben wir in Deutschland neben dem „Kulturföderalismus“, der so häufig in Sonntagsreden beschworen wird, auch einen Kulturfeudalismus.

In Amerika muss sich Kultur dagegen an der Theater-, Kino- oder Buchladenkasse durchsetzen – und nicht in irgendwelchen Jurys. Der kulturellen Vitalität des Landes hat das nicht geschadet, im Gegenteil: denken wir nur an Philip Roth oder John Updike, an Jonathan Franzen oder E. L. Doctorow. Sie alle haben Erfolg, weil sie erzählen können. Günter Grass hat dagegen Erfolg, weil er belehren kann. Freilich fragt man sich, ob seine Bücher, wenn sie einmal gekauft sind, auch gelesen werden. Am schlimmsten geht es naturgemäß in den deutschen Theatern zu: hier muss sich keiner darum kümmern, was den Zuschauern gefällt. Das Gehalt des Intendanten wird auch gezahlt, wenn der Zuschauerraum leer bleibt. Er gehe nie ins Theater, sagte Henryk M. Broder neulich in einer Zürcher Podiumsdiskussion, es reiche ihm, das Theater mit seinen Steuergeldern zu subventionieren. Neben ihm saß Frank Castorf, der Chef der Berliner Volksbühne und einer der schlimmsten Stückezerhacker und schaute drein, als hätte er fürchterliche Magenschmerzen. Ob der Theatermann unter dem schrecklich niedrigen Niveau der Diskussion litt oder ob er sich einfach nur das Lachen über Broders Pointen verkneifen musste, bleibt sein Geheimnis. 

Die deutscheste aller Künste ist übrigens das sogenannte politische Kabarett. Erzählt man davon einem Ausländer, denkt der an das „Moulin Rouge“ oder die „Folies Bergère“ und fragt sich, was daran politisch sein könnte. Politisches Kabarett ist für gewöhnlich langweilig, politisch links, voraussehbar und, wie könnte es anders sein, hochsubventioniert. Jede Kleinstadt vergibt ihren Kabarettpreis: da gibt es die „St. Ingberter Pfanne“ und den „Obernburger Mühlstein“, die „Krefelder Krähe“ und die „Tuttlinger Krähe“, den „Herborner Schlumpeweck“ und die „Elbrinxer Rampensau“, den „Wilhelmshavener Knurrhahn“ und den „Stuttgarter Besen“ (http://www.kabarett-news.de/kabaprei.htm). Die Kreativität deutscher Kulturdezernenten beim Ausdenken derartiger Namen scheint keine Grenzen zu kennen und tatsächlich wäre es schon an sich eine Kabarettnummer, die Namen all dieser Preise einmal vorzulesen, allerdings ausnahmsweise eine lustige, denn so viel angestrengte Originalität führt unweigerlich zu unfreiwilliger Komik. Hat ein Kabarettist erst einmal einige dieser Preise gewonnen, ist ihm der Aufstieg in den Subventions-Olymp sicher: von nun an wird er für die nächsten drei Jahrzehnte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftreten dürfen, seine Rente ist damit definitiv gesichert.

Warum diese ganzen Subventionen, Preise und Stipendien vergeben werden? Ganz einfach: aus Eigennutz. Ministerpräsidenten, Landeshauptmänner, Bürgermeister und Gemeinderäte wollen sich – auch so ein schönes deutsches Wort – „kulturbeflissen“ zeigen. Den Preis für diese Selbstdarstellung zahlen andere. Thomas Bernhard hat die eigennützigen Motive der Politiker durchschaut: einen Preis entgegenzunehmen bedeute nichts anderes, als sich von den Stiftern „auf den Kopf machen zu lassen.“ Praktische Konsequenzen hat der Dramatiker aus dieser Einsicht freilich keine gezogen. Zwar provozierte er hin und wieder einen Skandal, aber am Ende ließ er sich doch jeden Literaturpreis zwischen Flensburg und Bozen vor die Füße werfen. Nun ja, der Mensch ist ein egoistisches Tier, wir wissen es ja aus eigener Erfahrung. 

Hansjörg Müller schreibt auch für „El Certamen“, eine kolumbianische Online-Zeitschrift (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/       

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