Sturm in Brasilien

Von Paul M. Seidel.

Nach dem Regierungswechsel kommt das größte Land Südamerikas nicht zur Ruhe. 

Es war erwartet worden, dass es Brasiliens neuer linkslastiger Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, nicht leicht haben würde. Kein Wunder, der Sieg des 77-jährigen früheren Gewerkschaftsbosses in der Stichwahl gegen Amtsvorgänger Jair Bolsonaro (in deutschen Staatsmedien stereotyp mit dem Attribut "rechtsradikal" apostrophiert) war hauchdünn. Lula, der in Brasilien schon von 2003 bis 2011 herrschte, hat die Hälfte des Landes gegen sich, vor allem den produktiven Süden, große Teile des Mittelstandes und viele Bauern.

Schon direkt nach der Stichwahl protestierten brasilianische Lkw-Fahrer mit Straßensperren. Inzwischen ist der Widerstand gegen den wegen Korruption zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Lula noch deutlich heftiger geworden. Nur wenige Tage nach seiner Machtübernahme am Neujahrstag demonstrierten Tausende bei einer Großkundgebung in der im Landesinnern gelegenen Hauptstadt Brasilia. Mit brasilianischen Flaggen stiegen sie aufs Dach des Parlamentsgebäudes, um lautstark ihrem Unmut Luft zu machen.

Fotos davon gingen um die Welt. Radikale Aktivisten besetzten Amtsräume im Parlament, im Palácio do Planalto, dem Präsidentenpalast, und im Obersten Gerichtshof. Als die Revolte immer mehr aus dem Ruder lief und in Plünderungen ausartete, wurde sie von der Polizei, die anfangs - zumindest teilweise - mit den Demonstranten zu sympathisieren schien, aufgelöst. Die neuen Machthaber ließen sehr schnell Köpfe rollen. Der Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, Bolsonaros ehemaliger Justizminister, wurde gefeuert, der Gouverneur des Bundesbezirks rund um Brasília, Ibaneis Rocha, vorübergehend seines Amtes enthoben und für zunächst 90 Tage suspendiert. 

Jair Bolsonaro selbst verurteilte den Tumult auf Twitter mit aller Deutlichkeit. "Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter", schrieb Bolsonaro, der sich in Florida aufhält. Schon einige Tage vor Lulas Amtsübernahme am 1.Januar war er mit seiner Familie in die USA geflogen. Möglicherweise hatte er gute Gründe dafür: Lula ergebene Juristen sollen bereits ihre Absicht erklärt haben, Bolsonaro jegliche weitere politische Aktivität zu untersagen und ihm sogar den Prozess machen zu wollen. Außerdem soll ein Gesetz gegen „Fake News“ geplant sein, das die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken würde. Das alles hatte den Zorn in Bolsonaros Lager weiter angeheizt. Einige seiner Anhänger, die in ihm einen Helden im Kampf gegen Korruption und Kriminalität sehen, sprachen von Wahlbetrug und riefen gar das Militär zum Putsch auf, um die „Demokratie zu retten“. 

Deutsch-brasilianische Beziehungen durchlitten eine Eiszeit 

Das politisch-mediale Kartell in Deutschland zeigte sich entsetzt über die Vorgänge in Brasilia, trübten sie doch die große Erleichterung und Genugtuung darüber, dass die Brasilianer mit Lula nun endlich – wenn auch um Haaresbreite – den „richtigen“ Präsidenten gewählt hatten. Mit ihm darf man sich wieder sehen und fotografieren lassen, ihn kann man freudestrahlend ans Herz drücken. Es fühle sich an, „als ob Brasilien wieder zu sich fände, als ob ein Alptraum nach vier Jahren vorbei wäre“, begeisterte sich etwa der Berliner Tagesspiegel.

Bolsonaro dagegen wurde von Beginn seiner Amtszeit an rabiat auf Abstand gehalten. Funkstille. Die deutsch-brasilianischen Beziehungen durchlitten eine Eiszeit. Brasilienkenner wie der Wirtschaftsjournalist Carl Moses oder Gloria Rose, Brasilien-Direktorin der Außenwirtschafts-Förderungsagentur „Germany Trade and Invest“ (GTAI), kritisierten nachträglich den knallharten Blockadekurs. „Um strategisch zu handeln, brauchen wir starke Partnerschaften, die über Amtszeiten von einzelnen Personen hinausgehen“, mahnte Gloria Rose kürzlich in einem Interview mit „The Pioneer Briefing“, das von Gabor Steingart, Ex-Chefredakteur des Handelsblatts, herausgegeben wird. 

Da mag man der Expertin nur zustimmen. Gerade im Fall eines großen und emanzipierten Landes wie Brasilien, flächenmäßig der fünftgrößte und einwohnermäßig mit rund 215 Millionen der siebtgrößte Staat der Erde. Auch wirtschaftlich ist Brasilien ein selbstbewusstes Schwergewicht. Es hat sich zu einem der größten Getreideproduzenten der Welt entwickelt, verfügt über immense Rohstoffvorräte und mit dem auch in Europa bekannten Hersteller Embraer über eine eigene zivile und militärische Flugzeugindustrie.

Mit China, Indien, Russland und Südafrika zählt Brasilien zur Gruppe der BRICS-Länder. Mit Peking fühlt man sich wirtschaftlich besonders eng verbunden, dorthin gehen rund ein Drittel der brasilianischen Ausfuhren, ein Viertel der Einfuhren kommen aus China. Ob sich die Hoffnung mancher westlicher Politiker erfüllt, in Lula einen neuen Verbündeten im Kampf gegen Russland zu finden, darf bezweifelt werden. Bisher jedenfalls sind die großen brasilianischen Häfen für russische Importe offen, Agrarindustrie und Landwirte freuen sich über russische Düngemittel. 

Es werde für Lula schwer werden, seine linksradikalen Ziele durchzusetzen, lautet das Fazit von Brasilienexpertin Gloria Rose. Im Kongress fehle ihm die Mehrheit und die brasilianische Bevölkerung bleibe gespalten. Lula sei deshalb auf den Dialog mit seinen zahlreichen Gegnern angewiesen. Zudem muss der neue Präsident seine breite Anhängerschaft von linksaußen bis zur linksliberalen Mitte zufriedenstellen. Einen Vorgeschmack davon gab die Präsentation der neuen Regierung Anfang Januar. Die Zahl der Minister stieg von 23 unter Bolsonaro auf 37 unter Lula. 

Foto: Marcello Casal Jr/ABr.(Agencia Brasil) via Wikimedia Commons

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Leserpost

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W. Renner / 11.01.2023

Wundert das jemand, wenn rin verurteilter Verbrecher zum dritten Mal an die Macht kommt und sich auf macht, das land nun endgültig zu ruiniren?

Didi Hieronymus Hellbeck / 11.01.2023

Falsche Wahlergebnisse liegen noch in Ungarn vor. In Polen eigentlich auch, aber Polen wird nun gebraucht. In Italien war das Wahlergebnis eher falsch, aber dann doch wieder nicht (Italien ist letztlich folgsam). Gleiches gilt für Schweden. In Deutschland-Österreich-Schweiz sind falsche Wahlergebnisse nicht zu befürchten, Mehrheiten von ca. 80 % plus x sind sicher.

Silas Loy / 11.01.2023

Die Wahl in Brasilien stinkt bis über den Grossen Teich und ein Vorbestrafter sollte nirgendwo Regierungschef werden können. Solche Zustände und ähnliches Personal haben wir aber auch schon im sogenannten Wertewesten.

Gus Schiller / 11.01.2023

@Sara Stern, falscher Optimismus: Hier kommt die nächsten Jahre gar nichts mehr!! Es gibt schon mehr als 25% Migranten im Land und täglich werden es mehr. In den Schulen sind in manchen Klassen bereits mehr als 90% Migrantenkinder, von denen die meisten ohne Abschluss die Schule verlassen. Durch Abwanderung und Tod schrumpft die urdeutsche Bevölkerung jährlich weiter, da die Geburtenrate der Kartoffelfrau nur 1,54 beträgt. Sehen Sie sich doch die Länder der neuen Hoffnungsträger an. Überall Chaos, Korruption, Unvermögen, Überbevölkerung (deshalb verlassen sie ihre shitholes) und die sollen hier künftig anstatt der Deutschen etwas auf die Beine stellen??

Werner Arning / 11.01.2023

Kaum ein gewählter Präsident schafft mehr als eine Amtszeit, wenn er maßgeblichen Kreisen in den USA und damit den westlichen Medien und der linkslastigen westlichen Polit-Kaste ein Dorn im Auge ist. Solche Präsidenten stehen mit dem Rücken zur Wand.

Fred Burig / 11.01.2023

@giesemann gerhard:”...... Brasilien, das Land der Zukunft. Und das bleibt auch so. Aber die Weiber sind geil.” Aus ihren Erinnerungen heraus glaube ich ihnen das wohl - doch was soll’s, wenn das Fahrrad nur noch zum Klingeln benutzt wird ...... MfG

sybille eden / 11.01.2023

Kommt mir vor wie ein Dejavu von Trump und Biden.

Ralf Pöhling / 11.01.2023

Lula ist eine von den Amerikanern platzierte Marionette. Rechtsnationale Regierungen machen ein Land stark, sozialistischer Pöbel macht ein Land schwach und schießt es damit aus der internationalen wirtschaftlichen Konkurrenz, Genau deswegen musste Bolsonaro weg. Und die Sozis und Commies in Lateinamerika und bei uns hier in Deutschland unterstützen das auch noch und halten sich für die Sieger. Der Pöbel lässt sich schon seit Jahrhunderten ganz einfach durch die internationale Wirtschaft (nein, ich meine nicht das “Weltfinanzjudentum”, sondern global agierende Konzerne) fremdsteuern und als Waffe gegen die jeweils lokal ansässige Wirtschaft instrumentalisieren. Und der Pöbel begreift einfach nicht, dass er nur Mittel zum Zweck für genau die ist, die er meint zu bekämpfen. Das Problem des Pöbels ist seine mangelnde Bildung und sein mangelnder Durchblick. Marx hilft da nicht, er verschlimmert das ganze nur, weil Marx auch keinen Durchblick hatte, das aber immer noch viel zu viele fälschlich meinen. Insbesondere In Lateinamerika und in Deutschland.

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